1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Als sich unsere Lippen berühren, erst vorsichtig tastend, dann immer leidenschaftlicher, gibt es kein Zurück mehr.
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Erschöpft liegen wir nebeneinander. Der Atem wird gleichmäßiger. Mit den Fingerkuppen streichelt Olga über meine Haut; das Vibrieren darunter lässt nur langsam nach. Ihre warmen Finger ziehen kleine Kreise um den Bauchnabel, wandern weiter nach unten. So hatte es Gisela auch oft gemacht.
Ich drehe mich zur Seite, nähere mich ihrem Arm, berühre ihn mit der Zunge, gleite weiter über die Armbeuge zu den Brustspitzen. Die Haut schmeckt salzig. Der Duft bringt mich zur Raserei. Sie riecht wie Gisela! Ich wandere mit meinem Mund weiter nach unten. Olga dreht und wendet sich lustvoll, zieht meinen Kopf nach oben, drückt ihren Körper eng an mich und öffnet die Schenkel. Langsam, zärtlich, sanft kreisend, dann wilder und immer leidenschaftlicher heben wir ab zu einem neuen Höhenflug. Genau wie bei Gisela!
Plötzlich sind da Olgas Worte aus dem Verhör: „Ihr habt sie beide zu Tode gefickt!“ Und ich liege nackt genau neben dieser Frau? Irgendwo bei Kuibyschew?
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Brandes sprang in die Höhe, stand plötzlich neben dem Bett, rieb sich die Augen und sah seine vertraute Wand: blassrosa, Kalender mit Steckwürfeln, minoische Doppelaxt und ein silberfarbenes Brettchen.
„Scheiß Träume! Ich muss wieder pinkeln!“
Auf dem Rückweg von der Toilette hatte er schon die Flurgarderobe und alle Schränke im Kombizimmer durchgewühlt. Jetzt versuchte er sein Glück in den Schubladen seines Schreibtisches. „Wo ist nur dieses verdammte Foto?“
Während der Fernsehbilder über den Anschlag in der Hochschule war es ihm in den Sinn gekommen: das Foto von der Karnevalsfeier, damals in Bad Ems.
Er erinnerte sich. Sie waren in bester Laune gewesen: Gisela, Berthold, er und die ganze ausgelassene Gesellschaft, die sich oft zu kleinen oder größeren Festen traf, mal im Offizierskasino der Bundeswehrschule, mal in der Kantine oder in diversen privaten Kellerbars.
Dieses Karnevalsfest hatte bei „Clarence“ geendet. Jeder Lehrgangsteilnehmer von Bad Ems kannte die Kneipe. Sie lag genau an der Ecke der Alten Kemmenauer Straße, die zur Nachrichtenschule hinauf führte. Bei „Clarence“ wurde der obligatorische „Schlürschluck“ genommen. „Clarence“ war die letzte Tankstelle vor dem Bett. Den richtigen Namen wusste er nicht mehr. Aber, dass die Wirtin „Clarence“ genannt wurde, weil sie so fürchterlich schielte, genau wie der gleichnamige Löwe in der Fernsehserie „Daktari“, die in den Sechzigerjahren über die Bildschirme flimmerte. Und, dass man bei „Clarence“ so richtig die „Sau rauslasse“ konnte, wie die Emser das nannten. Das müsste auch auf dem Foto zu sehen sein.
Brandes kramte nervös in der Schublade unten rechts: Videobänder, verschiedenfarbigen Kassetten des Diktiergerätes, Disketten, eine angebrochene Knäckebrotpackung. Und die halbleere Weinbrandflasche rollte ihm entgegen.
„Scheiß Fusel! Das Zeug muss weg. Ab in den Ausguss.“
Er zögerte, rollte sie wieder zurück, schob die Schublade zu, behutsam. Hilflos blickte er umher, kratzte sich an der Schulter, rieb über seine Brusthaare und murmelte: „Irgendwo muss das Scheißfoto doch zu finden sein. Gerade das habe ich nicht verbrannt.“
Dann fiel es ihm ein: die schmale Blechdose! - Mensch, die habe ich doch damals, kurz vor der Verhaftung, im Schreibtisch hinten festgeschraubt. Die passte doch genau zwischen Mittelschublade und Rückwand. Und davor hatte ich ein Sperrholzbrett geklemmt, damit sie nicht sofort zu sehen ist, wenn jemand die Schublade herausreißt und mit der Taschenlampe in die Öffnung leuchtet.
Es waren nur ein paar Handgriffe und schon lag alles auf seinem Schreibtisch, auch das Foto.
Genau so, wie er es in Erinnerung hatte: Gisela eingehakt zwischen ihm und Berthold, äußerst spärlich bekleidet, ordinär wie eine Hure. Berthold mit Augenbinde, als Bettler maskiert, reichlich heruntergekommen. Er trug einen Stoppelbart und eine kaputte Quetschkommode. Und er? Marco Brandes? Der war der große Millionär! Mit Monokel, am Hut festgehefteten Geldscheinen, und aus den vollgestopften Jackentaschen quollen dicke Bündel.
„Ob Berthold damals wusste, dass ich immer noch mit seiner Frau schlief? Sieht man das in seinen Augen?“ Die Finger zitterten, als er das Foto dicht unter die Schreibtischlampe hielt. Doch da war nichts zu sehen. Die Köpfe drehten Kreise, tanzten vor seinen Augen, kamen nicht zur Ruhe.
„Scheiß Alkohol!“
Brandes ließ das Foto auf den Schreibtisch fallen, löschte das Licht und schlurfte mürrisch zum Kühlschrank. Es war noch ein Rest Mineralwasser in einer Flasche. Den kippte er in sich hinein, knallte die Kühlschranktür zu, schlurfte zurück und kroch unter die Bettdecke.
Mit der Wärme, die sich langsam ausbreitete, stieg ein Gefühl der Genugtuung in ihm auf, so etwas wie Triumph - verspäteter Triumph! Egal ob Berthold damals von dem Verhältnis wusste oder nicht: Gisela hatte auch nach der Hochzeit nicht aufgehört, mich zu lieben, zumindest nicht das, was ich ihr an Manneskraft bieten konnte.
„Berthold ist wie die Pflicht beim Eislaufen“, hatte sie einmal gesagt. „Aber du, Marco, du bist die vollendete Kür.“
Es klebten aber auch Niederlagen und Demütigungen in seinem Gedächtnis. Berthold Ackermann hatte sich in die Beziehung hineingedrängt, rücksichtslos, wie ein Borkenkäfer zwischen Holz und Rinde. Und er hatte es sehr geschickt verstanden, die Aversion zu seinen Gunsten zu nutzen, die Giselas Vater von Anfang an gegen mich hatte und erst recht gegen ein allzu enges Verhältnis zu seiner einzigen Tochter.
„Kapitänleutnant Schulte“, hatte Oberst von Kanitz mehrfach gesagt, „immer wenn ich Sie sehe, geht bei mir eine rote Warnlampe an. Es ist besser, Sie kommen nicht zu oft in meine Nähe.“
Kapitänleutnant Schulte? - Es dauerte etwas, bis es Brandes wieder einfiel. Schulte! Genau. So hieß ich damals in Bad Ems. Hannes Schulte. Der flotte Kaleu aus Kiel.
Er lachte - aber nur kurz. Denn ein anderes Gefühl breitete sich jetzt aus. Ein Gefühl, das von der Magengegend in alle Richtungen ausschwärmte und sich nach und nach des ganzen Körpers bemächtigte. Ein Gefühl, das zu dem Schwur anschwoll: „Ackermann! Für all das wirst du jetzt büßen! Wie auf dem Foto, genau so heruntergekommen wirst du enden!“
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Brandes wälzte sich im Bett hin und her. Alle Rachepläne gegen Berthold Ackermann, die er in den zurückliegenden Jahren entwickelt, aber nicht vollendet hatte, waren durch seinen Kopf gegeistert. Er hatte sie erneut geprüft, variiert, kombiniert, verbessert und wieder verworfen. Sie waren nicht perfekt genug.
Dazwischen durchlebte er kurze Phasen mit skurrilen Träumen, die mit seiner Vergangenheit zusammenhingen. Auch jetzt nickte er wieder ein.
Er sieht sich plötzlich in dem Büro von General Wassiljenko. Es hat die Ausmaße eines Saales, der bei jedem Schritt länger, breiter und höher zu werden scheint. Wortlos und mit herablassender Handbewegung bedeutet ihm Wassiljenko, er solle in fünf Meter Abstand vor seinem riesigen Schreibtisch stehen bleiben.
Rechts, an einem der hohen Fenster, sitzt Olga Werenskaja. Sie schaut nur kurz zu ihm herüber, dann senkt sie ihren Blick auf einen großen Schreibblock. Kein Lächeln um die Mundwinkel, kein Strahlen in den Augen.
Missmutig blättert Wassiljenko in einer Akte, liest einen längeren Computerausdruck, schüttelt den Kopf, räuspert sich. Plötzlich knallt er die rechte Faust auf den Schreibtisch.
„Du hast mich enttäuscht“, sagt er, „tief enttäuscht!“ Mit jedem weiteren Wort schwillt seine Stimme an wie ein heraufziehendes Gewitter. „Da haben wir dich in einem Spezialprogramm fünf Jahre lang vorbereitet auf Italien. Und dann so was!“
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