„Alles klar bei dir?“ Sie grummelte nur leise vor sich hin.
„Alles klar bei dir?“, fragte er erneut. Sie schaute überrascht und verwirrt hoch. Ein halbes Lächeln spielte um ihren Mund. Sie kniff die Augen zusammen und sagte: „Entschuldige. Ja, alles klar, und bei dir?“ Das war ja noch schlimmer als kein Lächeln. Ohne auf seine Antwort zu warten, wandte sie sich wieder dem Bildschirm ihres Laptops zu. Das gefiel Wolfgang überhaupt nicht. Mit einem lauten Knall platzierte er schwungvoll seine Laptoptasche auf den Tisch. Lina zuckte erschrocken zusammen, sagte aber nichts und starrte wieder auf den Bildschirm, die Finger über der Tastatur, ohne zu tippen.
Besorgt sah er sie an. Also, so ging das nicht. Doch bevor er handelte, musste er sichergehen.
„Hey Lina, wusstest du, dass Van seit Längerem ´ne Freundin hat?“ Ihr Kopf schoss herum und sie schaute ihn mit großen, vor Überraschung geweiteten Augen an. Also hatte er richtig vermutet. Van und nicht der Pole, der seit einiger Zeit um Lina herumschlich und mit ihr auf Russisch plapperte. Mann, ging der ihm auf den Sack. Die sollten doch alle seine Logistik-Spezialistin in Ruhe lassen! Ein Drama und sie wäre weg. Dann würden sie ihm wieder einen Chinesen vorsetzen, der kein Englisch konnte.
„Wusste ich nicht“, sagte Lina und sah schnell wieder auf ihren Computer.
Wolfgang sprang auf und stürmte aus der Tür. Überrascht schauten ihm alle aus dem Logistik-Team nach.
*
Lina kauerte sich zusammen und versuchte, konzentriert auszusehen.
„... wusstest du, dass Van seit Längerem ´ne Freundin hat ?“, hallte es ihr durch den Kopf. Dieser Hund! Wie konnte sie nur so blöd sein? Don´t fuck the company ! Beruhige dich, ganz ruhig. Sie hatte nicht mit ihm geschlafen und das würde sie mit Sicherheit auch nicht tun. Sie mochte ihn ja nicht einmal, und wenn, dann nur als Kumpel. Etwas in ihr sagte, dass das nicht ganz richtig sei. Sie hatte sich sehr zusammenreißen müssen, um standhaft zu bleiben. Ihr Bett war ihr sehr einsam und leer vorgekommen, und obwohl schon Tage vergangen waren, musste sie immerzu an seine Finger auf ihrem Hals denken. Seine Hände auf ihrem Körper, wie sie ...
Sie war so blöd. Blöd, blöd! Natürlich hatte er eine Freundin. Wenn er das nächste Mal ... Bevor sie den Gedanken vollenden konnte, kam Van zur Tür hereinspaziert.
Lina blieb das Herz fast stehen. Er hatte eine lockere Jeans an und einen engen schwarzen Rolli. Mal im Ernst, waren seine Oberarme schon immer so durchtrainiert gewesen? Sie sah schnell weg und konzentrierte sich auf den Bildschirm, während sie versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Wie ein Mantra sagte sie sich immer wieder: „ Er hat eine Freundin, er hat eine Freundin, er hat eine Freundin . .. und hat mich trotzdem mehr als nur angebaggert! “ Die Aufregung wandelte sich in Wut. Das war gut; an ihr konnte sie sich festhalten. Er ging zu ihrem Schreibtisch.
„Lina.“
„Was?“, sagte sie kalt, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
„Kommst du mal bitte mit?“
„Ich hab zu ...“, sie verschluckte den Rest der bissigen Antwort, als sie zu ihm hochblickte. Seine Körperhaltung war zwar entspannt, aber in seinen Augen glühte Wut. Lina fühlte, wie sie schrumpfte und aller Ärger in ihr verflog. Hatte sie etwas falsch gemacht?
„Kommst du bitte mit?“, wiederholte er ruhig. Wortlos stand Lina auf und folgte ihm mit steifem Rücken. Sie konnte die neugierigen Blicke ihrer Kollegen hinter sich spüren. Van führte sie in die Küche und schloss die Tür hinter sich. Sie war gefangen. Es gab kein Entkommen und alle ihre Sinne schlugen Alarm.
„Wolfgang hat mich gerade gefragt, was ich mit seinem Mädchen gemacht habe.“ Darauf achtend, dass genug Platz zwischen ihnen war, bewegte Lina sich langsam nach hinten. Nur keine falsche Bewegung, sonst würde er beißen.
„Ich habe ihm nichts erzählt.“ Sie streckte verteidigend ihr Kinn heraus und drückte den Rücken durch.
„Es gäbe auch nichts zu erzählen.“ Sie hatte nichts Falsches getan. Langsam ging er auf sie zu. Jeden Schritt, den er vor ging, wich sie zurück. Bis sie die kalte Wand im Rücken spürte. Er blieb ebenfalls stehen und streckte seine Hand in ihre Richtung aus. Sie versteifte sich und blickte ihn geradeheraus an, auch wenn sie sich lieber im kleinsten auffindbaren Loch versteckt hätte. Er griff nach einer Strähne ihres langen Haares, das sie offen trug, führte es zu seinem Gesicht und ... schnüffelte daran?! Leise erreichten seine Worte ihr Ohr: „Kein Hundegeruch ...“ Lina sah ihn überrumpelt an.
Van ließ die Strähne wieder los, legte den Kopf seitlich und fragte, als sei gerade nichts passiert: „Gehst du mir aus dem Weg?“ Lina spürte, wie ihre Wangen heiß wurden und betete, dass sie genug Make-up aufgelegt hatte. Sie ging in Angriffsstellung über: „Ich glaube eher, dass du mir aus dem Weg gehst.“
„Ich hatte viel zu tun. Viele Meetings.“
„Aha. Wie geht es übrigens deiner Freundin?“ Das hatte sie nicht sagen wollen, vor allem nicht so plump. Er schaute sie ruhig an: „Ich habe keine Freundin.“ Warum grinste er so dämlich? Er machte sie wütend.
„Nicht, dass es etwas ausmachen würde. Du hast deutlich gemacht, dass du kein Interesse hast.“ Trotz seiner Worte kam er näher.
„Woher kommt dieser Gedanke?“
„Wuff hat das behauptet.“
„Wuff?“ Die Hitze stieg in ihre Ohren, sie hatte sich verplappert.
„Du musst dich verhört haben, ich habe Wolf gesagt.“ Er ignorierte ihre Ausrede.
„Die Bezeichnung passt zu ihm. Ich weiß nicht, wo er das her hat, aber ich habe keine Freundin.“ Lina konnte die Erleichterung, die sie empfand, nicht leugnen. Wollte sie doch mehr als Freundschaft?
„Hast du morgen Abend schon was vor?“, fragte er sie direkt. Sie schüttelte den Kopf.
„Na, dann können wir ja etwas essen gehen. Ganz unverfänglich.“ Lina nickte.
„Als Freunde.“ Sie nickte nicht. Er kam ihr wieder etwas näher, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Amin stand mit geröteten Wangen da und fragte sie auf Russisch, ob alles in Ordnung sei. Lina nickte.
Van funkelte ihn böse an: „Was willst du?“ Wie es Amins Art war, lächelte er und sagte: „Ich wollte mir in der Gemeinschaftsküche einen Kaffee machen.“
„Geh in deine Etage“, knurrte Van. Lina hatte noch nicht herausgefunden, was genau Amin machte. Aber seit einer Weile kam er öfter ins Logistikzimmer und unterhielt sich mit ihr auf Russisch. Sie genoss es, eine Sprache zu sprechen, die zur Abwechslung die anderen nicht verstanden, und er war lustig, immer gut drauf.
„Da ist der Kaffee leer“, sagte Amin mit einem unschuldigen Lächeln und ging von einem Schrank zum anderen, als würde er Kaffee suchen. Lina musste schmunzeln. So ein Lügner. Die Küche im Erdgeschoss war immer gut bestückt, und die anderen holten sich dort Nachschub, wenn auf den oberen Etagen etwas ausging. Amin nahm sich alle Zeit der Welt beim Kaffeemachen, verabschiedete sich mit einem Zwinkern und ließ die Tür offen stehen. Van ballte die Hände zu Fäusten. Ohne sich noch einmal zu Lina umzudrehen, sagte er: „Ich hole dich um acht ab“, und ging. Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und kehrte, kurz nachdem er weg war, an ihren Platz zurück.
*
Wolfgang saß wieder an seinem Schreibtisch und sah Lina mit einem Lächeln hereinkommen. Er kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass der Schuss für ihn nach hinten losgegangen war. Dann kam auch noch der Pole herein und Wolfgang verstand kein Wort von dem, was zwischen den beiden ausgetauscht wurde. Er sah nur, wie der Pole sie etwas mit besorgtem Gesicht fragte, sie ihn anstrahlte und er sie weiter ausfragte. Lina schien wieder gut gelaunt zu sein. Dann erklang ihr schallendes Lachen, der Pole verabschiedete sich und ging wieder. Wolfgang war nicht zufrieden. Davor war niemand in sein Reich eingedrungen. Jetzt stürmten sie einer nach dem anderen in sein Revier.
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