„Was willst du trinken?“, fragte Van, ganz Gentleman.
„Was haben die denn so?“, erwiderte Lina nervös.
„Alles was du willst.“ Sein schelmisches Zwinkern verunsicherte sie.
„Was trinkst du?“, Lina sah sich voller Unbehagen um, fühlte sich fehl am Platz.
„Rotwein.“
„Dann nehme ich auch einen.“ Lina saß steif da und fühlte sich sichtlich unwohl. Die Ruhe in Van war jedoch so präsent, dass sie aus ihm herausdrängte und die Luft um ihn herum erfüllte. Langsam kroch sie bis zu Lina und ergriff von ihr Besitz. Die immer leiser werdenden Alarmglocken, mit Wein umspült, verstummten. Noch bevor sie sich versah, hatte sie sich in den bequemen Sessel gekuschelt. Kurz fragte sie sich, wie viele Sterne ein Hilton eigentlich hatte, musste an „ One Night in Paris “ denken und kicherte leise vor sich hin.
Eingelullt von der Wärme, den Geist und die Glieder gelockert vom Wein, den sie nicht vertrug, und Vans tiefer hypnotisierender Stimme, ließ sie sich gehen. Er erzählte ihr von seinem Leben vor der Firma. Van war viel gereist, hatte einiges gesehen und die verschiedensten Menschen und Kulturen kennengelernt.
„Hat dein Tattoo eine Bedeutung?“ Van schaute sie eine längere Zeit einfach nur an. Dann krempelte er seinen Ärmel hoch, rutschte näher an sie heran und streckte ihr seinen Arm entgegen.
„Du kannst es gerne anfassen.“
Vorsichtig strich Lina über das Schwarz in der bronzenen Haut. Ihre kalten Finger hinterließen heiße Spuren. Feuer und Eis. Ein kleiner Stromschlag durchfuhr sie und Lina zog die Hand rasch zurück. Van griff nach ihr und umfasste Linas Handgelenk. Ihr Magen zog sich zusammen und ihr ganzer Körper kribbelte, während sie nur stoßweise atmete. Sein Griff verstärkte sich.
„Du solltest Angst haben.“ Er zog sie näher an sich heran und flüsterte: „Ich tausche ein Geheimnis gegen ein Geheimnis.“ Sanft fuhr er mit dem Daumen der freien Hand über die Innenseite ihres Unterarms und stoppte in der Armkuhle, wo er leicht den Druck verstärkte. Ein leises Stöhnen entschlüpfte Linas Lippen. Während ihr Geist nach einem Fluchtweg suchte, schrie ihr Körper nach mehr.
„In dem Kulturkreis, aus dem ich stamme, nennt man mich Skinwalker. Ein mächtiges dunkles Wesen, das Angst und Schrecken verbreitet.“ Die Hintergrundgeräusche der anderen Gäste vereinten sich zu einem leisen Rauschen, während seine Worte in ihren Ohren tief und gewaltig widerhallten. Sie hielt den Atem an und keuchte leise, als sich der Druck auf ihr Handgelenk verstärkte. Lina befürchtete, aus Sauerstoffmangel das Bewusstsein zu verlieren, als er sie leise lachend freigab.
Er machte sich über sie lustig! Ärger färbte ihr Wangen rosa und Lina sah ihn vorwurfsvoll an, während sie sich das Handgelenk rieb, das weniger wehtat als kribbelte. Als hätte er mit seiner Hand in ihre Haut tausende kleine Roboter gepflanzt, die jetzt durch ihren Körper schossen.
Lina wollte sich gerade über seine Frechheit empören, als er den Kopf seitlich legte, auf den Ring an seinem Daumen starrte und gedankenverloren mit ihm spielte. Der Ring fing Linas Blick ein und ließ ihn nicht mehr los. Er kam ihr bekannt vor. Ein Ring mit einem kaum sichtbaren Dreieck und einem Auge im Zentrum. Wo hatte sie so einen schon einmal gesehen?
„Dieser Ring ...“, entschlüpften ihr die Worte, bevor sie sich eines Bessern besinnen konnte.
„Willst du wissen, was das ist?“
Lina nickte.
„Er zeichnet mich als Mitglied des Armenen Ordens aus.“
„Armenen Orden?“ Irgendwo hatte sie diesen Namen schon gehört.
„Ritter in strahlender Rüstung, die die Welt vor dem Bösen beschützen.“
„Du machst dich über mich lustig!“
„Selbstverständlich“, erwiderte Van mit einem schiefen Grinsen.
„Was sind deine Geheimnisse?“, fragte er mit einem Augenzwinkern.
„Mir wurde prophezeit, dass ich die Welt vernichten werde.“ Lina schaute ihn ernst an, und er erwiderte ihren Blick. Ihr Glas war wieder voll. Wie viel Rotwein hatte sie schon getrunken?
„Dann sollten der weiße Ritter und die böse Hexe tanzen gehen, solange die Erde noch existiert“, er zwinkerte ihr wieder zu und fragte nach der Rechnung.
„Na, jemand, der behauptet, Skinwalker genannt zu werden, hat wohl kein weißes Hemd oder gar eine weiße Rüstung“, erwiderte Lina kokett und erhob sich. Ein bisschen Bewegung nach dem Wein würde sicher guttun. Sie war schon lange nicht mehr ausgegangen.
„Zu welcher Musik gehst du normalerweise tanzen?“, fragte Van, als er ihr die Autotür aufhielt.
„Aber nicht lachen! RnB, HipHop oder Black.“
„Gibt es hier gute Clubs?“
„Ich war noch in keinem. Im ‚Schwarzlicht‘ soll gute Musik laufen.“
„Na, dann lass es uns ausprobieren.“
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Wie hatte sie sich wieder in diese Bredouille gebracht? Lina stand mit dem Rücken zum Bartresen. Links und rechts von ihr waren seine Hände aufgestützt und versperrten jeden Fluchtweg. Lina hatte sich schon so weit zurückgelehnt, dass sich ihr Oberkörper hinter der Theke befand statt davor. Sein Körper war dicht an ihren gepresst. Er roch so gut. War er immer schon so groß gewesen? Sein Rücken erschien ihr breiter und seine Oberarme muskulöser. Sein Atem ging schnell und stoßweise und sein Gesicht war ihrem sehr nahe. Vor ihr stand ein Traum von einem Mann. Lina musste sich nur ein bisschen vorbeugen, dann würden seine Lippen ihre berühren. Wäre er nur kein Kollege ... Wenn irgendetwas schiefgehen würde, könnte man sich schlecht aus dem Weg gehen. Wie hatte sie sich nur in so eine Situation manövrieren lassen?
…
Anfangs war der Club fast leer, also waren sie an die Bar gegangen. Lina bestellte sich einen Vodka-Redbull. Viel reden konnte man bei der Lautstärke nicht. Stattdessen beobachteten sie die Leute. Eine junge Frau, die anscheinend allein da war, tanzte mit dem Rücken zur Wand. Sie tanzte gut, hielt den Rhythmus, war einfach cool und wunderschön. Lina konnte die Augen nicht von ihr wenden, beobachtete sie lange und bewunderte ihren Mut. Lina war noch nie allein in einen Club gegangen, ja, nicht einmal in ein Restaurant.
Später wurde es voller. Als der DJ ein Beyoncé-Lied nach dem anderen spielte, zog Lina Van auf die Tanzfläche und ließ los. Vergaß, dass sie mit einem Kollegen hier war. Vergaß, dass sie einen Mann vor sich hatte und keinen schüchternen Jungen und tanzte. Sie schloss die Augen und ließ sich von der Musik tragen.
*
Van schaute Lina fasziniert beim Tanzen zu. Als er sich losreißen konnte, fielen ihm die Blicke der anderen Männer auf. Lina war schön und so, wie sie sich bewegte, sah es einfach richtig aus. Das Tier in ihm knurrte laut „ MEINS “ und blutige Bilder von Eingeweiden jedes Mannes im Raum, der es wagte, sie anzuschauen, schossen durch seinen Kopf. Er musste zugeben, dass diese Lösung das Problem beseitigen würde, jedoch leider nicht wirklich eine Option war. Aber es gab einen anderen Weg, Männer von seinem Jagdrevier fernzuhalten. Er musste es nur deutlich genug markieren.
Van bewegte sich ebenfalls rhythmisch zur Musik, ging ganz nahe an sie heran. Lina öffnete die Augen und lächelte.
„ So ist´s fein. Immer schön auf mich achten “, dachte sich Van. Langsam, um sie nicht zu verschrecken, manövrierte er sie so, dass sie mit dem Rücken zur Box stand. Vorsichtig, ohne dass sie es merkte, kam er, ganz Raubtier, Millimeter für Millimeter näher, bis sich ihre Körper leicht berührten. Lina öffnete die Augen und erstarrte. Er war zu nahe gekommen. Sie hatte ihre Abwehr wieder hochgefahren. Gefrustet zog er sich ein wenig zurück, bis sie sich wieder entspannte und ihn anlächelte.
So würde das nichts werden. Van nahm sie an der Hand und führte sie zur Bar. Er bestellte ihr noch einen Vodka-Red und sich ein Wasser. Er musste einen klaren Kopf behalten, wenn er ein Blutbad verhindern wollte. Lina stellte sich an den Tresen und sog gierig an dem Strohhalm. Das Tanzen hatte sie wohl durstig gemacht.
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