Ägypten ist von seinem Führungsstil her genau wieder das geworden, was es schon vor der Revolution 2011 war. Dementsprechend ist das Land drei Jahre lang im Kreis gegangen und am Ende war das Resultat nur ein neuer Herrscher mit altem Führungsstil. Der Arabische Frühling begrenzte sich bei einigen Staaten auf ein Signal, dass große Unzufriedenheit vorhanden ist und auch Taten seitens der Menschen folgen können. Die Proteste in Algerien fanden zwar auch statt und es kam teilweise zu großen
Auseinandersetzungen, andere wiederum wurden von der Staatsgewalt im Keim erstickt und bei einigen kam es zu heftigen Schlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Die Unruhen in Algerien dauerten zeitweise mit Unterbrechungen etwa zwei Jahre und verloren 2012 an Intensität, bis 2019 die Proteste erneut angeheizt wurden. Der Grund dafür war das der damalige Präsident Abd al-Aziz Bouteflika, der seit 1999 regierte und eine fünfte Amtszeit antreten wollte.
Allerdings waren die Proteste eindeutig gegen dieses Vorhaben gerichtet, da auch seine wichtigste Stütze, das Militär, für die Demonstranten Verständnis zeigte. So sah sich Abd al-Aziz Bouteflika gezwungen, im April 2019 aus der Politik austreten. Möglicherweise ein weiser und cleverer Schritt, denn er kann sein Leben in aller Pracht weiterführen, im Gegensatz zu anderen ehemaligen Machthabern im Nahen Osten.
Das Ganze mag davon zeugen, dass das politische System in Algerien zwar unbestreitbarerweise deutliche Defizite aufwies, allerdings von einem blutrünstigen Regime weit entfernt war und bei massiven Einsprüchen der Bevölkerung nachgegeben hat.
Zudem muss man Algeriens Neutralität in der Außenpolitik hervorheben, da die Strategie grundsätzlich auf Vermittlung und gegen Krieg in diversen Situationen ausgelegt war. Einen noch viel sanfteren Verlauf kann Marokko vorweisen. So kam es zwar auch dort teilweise zu gewalttätigen Protesten, allerdings in deutlich milderer Form im Vergleich zu anderen arabischen Staaten. Der König Muhammad VI. stimmte letzten Endes für eine Verfassungsreform, bei der er weitgehend viele seiner Rechte verlor. Die Judikative und Exekutive sollten deutlich voneinander getrennt und unabhängig ausgebaut werden. Dies alles mag bei Marokko wenig überraschen, denn dieses Land wies auch schon davor eine gewisse Demokratisierung auf, König Muhammad VI. galt bereits als Reformer und die Proteste waren grundsätzlich nicht gegen seine Person gerichtet. Marokkos Außenpolitik stand auch nie zur Diskussion und so ist Marokko ein treuer Wirtschaftspartner der EU und einer der engsten Verbündeten der USA als Nicht-NATO-Staat.
Deshalb drohte Marokko allein schon unter dieser Tatsache genau wie bei Tunesien kein Abrutschen ins totale Chaos, denn die verbündeten Mächte hätten allem Anschein nach immer im Fall der Fälle geholfen – auch zum Nachteil der Protestierenden, wenn diese eine Gefahr für die Außenpolitik Marokkos dargestellt hätten.
So zeichnete sich ein ähnlich milderes Bild in Jordanien, Dschibuti, Oman, Irak, Mauretanien, Kuwait und den palästinensischen Autonomiegebieten ab, in denen auf einige Forderungen der Demonstranten eingegangen wurde.
Zwar kam es nach einiger Zeit zu neuen Protesten, allerdings zeigte das herrschende System eine gewisse bis sehr deutliche Kompromissbereitschaft.
In Bezug auf Jemen muss noch dessen besonders komplizierte Lage berücksichtigt werden, da dort auch ohne den Arabischen Frühling großes Konfliktpotenzial lauert und teilweise schon lodert. So zieht sich der Huthi-Konflikt schon 16 Jahre hin und ein Ende scheint nicht in Sicht zu sein. Sogar der Sudan lässt sich zu den oben genannten Fällen auflisten, wobei im April 2019 ein Militärputsch den Präsidenten für abgesetzt erklärte. Es kam erneut zu einem Machtkampf mit dutzenden von Toten, bei dem jedoch der Militärrat und die Opposition auf einen gemeinsamen Nenner kommen konnten und gemeinsam eine Regierung bildeten.
Im Vergleich zu den noch folgenden Staaten hielt sich auch hier die Gewalt im Großen und Ganzen weitestgehend zurück. Es lohnte sich für keine große fremde Macht, diese Länder ins Chaos zu stürzen, denn dieses Vorhaben wäre für das eigene Interesse nicht rentabel gewesen.
Damit kann man tatsächlich davon ausgehen, dass bei diesen Ländern ein richtiger Volkswille ohne großartige Beeinflussung aus dem Ausland vorhanden war. Bemerkenswert bleibt die Tatsache, dass in Saudi-Arabien während des Arabischen Frühlings Demonstrationen stattfanden, vorausgesetzt, man weiß über das Demonstrationsverbot in jenem Land.
Wie zu erwarten war, brachten es die Proteste dort nicht sehr weit, denn das Regime scheute sich nicht davor, die Demonstranten mit aller Härte zu neutralisieren. Saudi-Arabien gilt als ein sehr unfreies Land, das unter anderem Homosexuelle hinrichtet, diverse Musik bzw. Kunst verbietet sowie bestraft.
Außerdem werden Truppen auf fremden Boden wie in den Jemen entsandt oder auch in den Bahrain geschickt, um da ebenfalls die Regierung gegen die Proteste des Arabischen Frühlings zu unterstützen. So wurde auch der Protest in Bahrain durch saudische Unterstützung mit aller Härte niedergeschlagen. Im Ganzen führt Saudi-Arabien eine Politik, die dem westlichen Verständnis zuwiderläuft.
Die Kritik seitens der USA, Deutschland und anderer westlicher Staaten hält sich weitestgehend zurück.
Anscheinend ist das geopolitische Interesse in diesem Fall viel zu groß, weshalb hier keine Möglichkeit vorhanden zu sein scheint, um sich für die Menschenrechte in jenem Land einzusetzen.
Das mag auch wenig verwundern, wenn man bedenkt, welches Potenzial Saudi-Arabien mit seinem Erdölvorkommen aufweist und welchen Einfluss es auf den Ölpreis und somit auf das Weltgeschehen ausüben kann. Außerdem ist das Land ein großer Kunde deutscher Waffenbauer. Nach der brutalen und hinterlistigen Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul wurden die Waffenlieferungen jedoch vorläufig gestoppt. Allerdings werde ich den Gedanken nicht los, dass diese Maßnahme nur ein symbolischer Akt war, denn bei solch einer Tat wäre das Ausbleiben einer Reaktion sehr schädlich für die eigene Glaubwürdigkeit gewesen.
Man kann jedoch davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Bundesrepublik Deutschland ihre Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien fortsetzt, denn Geld regiert bekannterweise die Welt.
Saudi-Arabien genießt eben einen besonderen Platz im westlichen Wertesystem, unabhängig davon, dass dieser Staat gegen alle Prinzipen ist, auf denen der Westen
angeblich basieren soll. Der Arabische Frühling war vom Grundsatz her der Wunsch nach einem gerechteren Leben; deshalb ist dieses Vorhaben in keiner Weise zu verurteilen. Viele Staaten ließen Reformen zu, vorausgesetzt, diese Veränderungen beeinflussten nicht die Außenpolitik des Landes im erheblichen Maße.
Weiterhin stellt sich die Frage, warum der Arabische Frühling an dem Ort, in dem er am meisten notwendig war, gnadenlos im Keim erstickt wurde und diese Tatsache von der westlichen Wertegemeinschaft einfach hingenommen wurde. Verständlicherweise handelt es sich hier um eine rhetorische Frage, denn der Punkt mit den eigenen wirtschaftlichen sowie militärischen Interessen erklärt natürlich dieses Verhalten.
Im Großen und Ganzen kann man den arabischen Staaten eine gewisse Freiheit zuschreiben, denn trotz anfänglichen Zögerns und Gegensteuerns haben viele Länder letztlich den Protesten Gehör geschenkt und gaben in gewisser Hinsicht nach.
Zwar haben die Proteste im wahrsten Sinne des Wortes ihre Opfer gefordert, bei einigen mehr und bei anderen weniger, aber diese Ungleichheit ist nun mal überall auf der Welt vorhanden.
Der Westen zögert auch nicht, bei gewalttätigen Demonstranten Knüppel und Wasserwerfer einzusetzen, denn die Gewaltbereitschaft der Protestierenden soll dieses Vorgehen rechtfertigen.
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