Dementsprechend braucht man sich nicht zu wundern, wenn der normale Mensch, der kein intensives Interesse am Weltgeschehen hat, sich nur dieses eine Detail einprägt und gegebenenfalls noch unter seinesgleichen verbreitet; das wiederum beeinflusst die gesellschaftliche Wahrnehmung.
Die ganzen anderen Details, die in Wirklichkeit völlig andere Tatsachen offenbaren, geraten für die meisten in die ewige Vergessenheit. Es gibt und gab nur eine Wahrheit. Diese wird auch grundsätzlich nicht zu verändern sein, selbst wenn man vor der Wahrheit eine Attrappe platziert. Manchmal hat man nur ein Fragment; dabei ist dieses Fragment nur ein Bruchstück von etwas viel Größerem. Umso bedrückender ist es für mich, wenn ein Mensch dieses Bruchstück als ganz und vollendet betrachtet, ohne dabei überhaupt etwas vom überwiegenden Großteil zu wissen.
Kapitel 2: Abhängige Unabhängigkeit
Der 17.02.2008 war mich ein Sonntag wie jeder andere und die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos war mir zu dem Zeitpunkt noch unbekannt.
Erst als am nächsten Tag die Anerkennungen einiger Staaten, darunter der USA, Großbritannien und Frankreich, folgten, nahm ich das Geschehen überhaupt zur Kenntnis. Ich betrachtete die Angelegenheit damals unwissentlich eher positiv, da für mich der sogenannte Volkswille unabhängig von der Situation ausschlaggebend war.
Ich beschäftigte mich damals mit viel banaleren Sachen, die mich persönlich viel eher berührten. Die bloße Kenntnisnahme solcher Ereignisse war unter meinen damaligen Freunden und Bekannten keine Selbstverständlichkeit.
Deshalb hatte ich zu der Zeit nicht einmal eine Person im Bekanntenkreis, mit der ich darüber überhaupt ausführlich hätte sprechen können.
Die neusten Handymodelle auf dem Markt waren damals ein viel begehrteres Thema unter meinen ehemaligen Kontakten als alle politischen Angelegenheiten zusammen.
Im Nachhinein ist es für mich mehr als verständlich, denn das ist einfach nur ein Beispiel für unsere Gesellschaft inklusive der weitgehend verblendeten Jugend, die eine große Interesselosigkeit für die meisten Dinge an den Tag legt. Dieses Phänomen beobachte ich bis zum heutigen Tag; dabei ändern sich je nach Ära nur die Mode und die Statussymbole. Erst ein halbes Jahr später fing ich an, mich mit dem Kosovo zu beschäftigen, da die Grundfrage der Unabhängigkeit an sich immer wieder aktuell wird.
Das Verlangen eines Volkes nach Unabhängigkeit mag in erster Linie unantastbar sein, allerdings gestaltet sich eine Abspaltung von einem Staat als äußert kompliziert.
Dabei bestätigen Ausnahmen die Regel. So können wir mit Osttimor den ersten unabhängigen Staat im 21. Jahrhundert verzeichnen, über den sich die Geister nicht großartig stritten. Dennoch war auch der Weg von Osttimor für die Unabhängigkeit mit viel Gewalt verbunden, wenn auch die geopolitischen Interessen der Großmächte an der ganzen Angelegenheit sehr gering waren.
Durch die Vermittlung der Vereinten Nationen konnte tatsächlich ein angemessenes Ergebnis erzielt werden und so wurde Osttimor im Mai 2002 unabhängig.
Wie schon bereits erwähnt, hielten sich die Großmächte mit ihrem Interesse zurück. Dementsprechend waren sich die Vereinten Nation in der Angelegenheit einig.
Hinzu kommt, dass Portugal in den 70er Jahren nach der Nelkenrevolution Osttimor ohne großes Bedenken in die Unabhängigkeit entließ, Indonesien mit seinem territorialen Anspruch hingegen die ganze Angelegenheit bis zum Ende des 20. Jahrhundert anheizte, was letzten Endes nichts an der Unabhängigkeitsbestrebung Osttimors änderte.
Der Südsudan bekam auch eine sehr weitreichende Anerkennung der Weltgemeinschaft, wobei auch seine Vorgeschichte mit viel Gewalt verbunden ist. Da auch beim Südsudan das Interesse der Großmächte weitestgehend ausblieb, gestaltete sich dessen Unabhängigkeit ohne großes Theater auf der politischen Weltbühne.
Traurigerweise scheint sich der Südsudan jedoch zu einem gescheiterten Staat zu entwickeln.
Jedenfalls entsteht dieser Andruck, wenn man sich die Lage um ihn neutral ansieht.
Dabei sollte man aber nicht außer Acht lassen, dass es immer wieder auch positive Überraschungen in Bezug auf die Entwicklung gibt.
Man könnte zu der Auffassung kommen, dass unsere Welt tatsächlich im Großen und Ganzen objektiv in der Unabhängigkeitsfrage agiert, wären da aber nicht andere Fälle, in denen plötzlich alles komplizierter und widersprüchlicher wird. Interessant und teilweise sehr suspekt wird die Unabhängigkeitsfrage, wenn die Interessen der Großmächte betroffen sind oder sogar eine Großmacht in Bezug auf ihr Territorium selbst.
Umso erstaunlicher ist, dass diese Großmächte die treibende Kraft in der UNO bilden. Bemerkenswert ist auch, dass es Länder gibt, die gelegentlich die Unabhängigkeit einer Region aus einem Staatsgebilde befürworten, aber in anderen Fällen die Souveränität eines Landes kompromisslos unterstützen. Natürlich könnte man dieses Verhalten mit der jeweiligen Situation begründen, allerdings sind die Fälle im Prinzip ähnlicher, als man sich das am Anfang denken mag.
Dieses Verhalten der Großmächte kann nur mit einem geopolitischen Interesse zusammenhängen. Dementsprechend ist es umso auffälliger, dass man bei gewissen Fällen Argumente wie das Selbstbestimmungsrecht des Volkes, Menschenrechte oder die komplizierte und oft mit Krieg verbundene Geschichte des jeweiligen Landes verwendet, aber wiederum bei einem anderen Konflikt um die Unabhängigkeit diese Sachen komplett weglässt.
Daran sehen wir erneut die Doppelmoral der Politik sowie die Tatsache, dass es grundsätzlich nicht um Gerechtigkeit, sondern nur um den eigenen Nutzen auf der geopolitischen Bühne geht.
Selbstverständlich lassen sich nicht alle Unabhängigkeitsbestrebungen in einen Topf werfen.
So werden z. B. in den Mainstream-Medien angebliche gravierende Unterschiede aufgezeigt. Damit ist die vorgeworfene Doppelmoral auf den ersten Blick zwar noch nicht vorhanden, jedoch sollte man immer noch genauer hinsehen.
Im wissenschaftlichen und philosophischen Sinne gibt es auch überhaupt kein gleich: Nichts ist identisch und somit weist alles im Leben einen Unterschied auf.
Da verwundert es eigentlich niemanden, dass die ganzen Regionen auf dem Weltglobus, die nach Unabhängigkeit streben, Unterschiede aufweisen.
Was man aber grundsätzlich machen könnte, ist das Prinzip der territorialen Wahrung eines Staates oder die komplette Unterstützung jeglicher separatistischen Bestrebungen. Ganz knapp und kurzgefasst: Entweder unterstützt man den Separatismus oder distanzierst sich von diesem Vorgehen. Solche Prinzipien würden einen glaubwürdiger aussehen lassen. Nichtsdestoweniger galt die Anerkennung einer Region, in der die Gegenseite direkt oder indirekt eine größere Macht darstellte, eigentlich als ein verbotener Akt, denn solch eine Handlung könnte sich im Nachhinein als eine Art Büchse der Pandora herausstellen.
In dieser Hinsicht brach die westliche Welt mit der Anerkennung des Kosovos das erste Mal dieses Tabu.
Zweifellos wurde damit ein Präzedenzfall geschaffen. Kein halbes Jahr später wurden im August 2008 durch Russland die beiden Republiken Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt. Bemerkenswert ist, dass die westlichen Staaten den Kosovo in seiner Unabhängigkeit unterstützen, sich jedoch im Fall Abchasien und Südossetien auf die georgische Souveränität stützen; umgekehrt trifft dies aber im gleichen Sinne auch auf Russland zu.
Die Doppelmoral ist erneut in vollem Glanze sichtbar, denn beide Seiten vertreten zwei unterschiedliche Positionen in einer Grundfrage, je nachdem, wann die eine Position und wann die andere praktischer für einen ist.
Russland ist allerdings laut westlicher Ansicht ein autokratischer Staat mit einer eingeschränkten Freiheit. Da verwundert es auch nicht sonderlich, dass dieses Land die Dinge mit zweierlei Maß handhabt.
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