Kapitel 3: Ein leeres Gefühl
Ich saß am Tisch und guckte überwiegend auf meinen leeren Teller. Manchmal ging mein Blick auf die Menschen vor Ort, doch kurze Zeit später fixierte ich ihn zumindest rein optisch immer wieder zurück auf meinen Teller. In diesem Moment spürte ich eine unbeschreibliche Leere. Dabei fand gerade meine Abschlussfeier statt, weshalb es eigentlich genug Anlass zur Freude geben sollte.
Es war ein Gefühl der Perspektivlosigkeit. Ich dachte, es wäre einfach auf mein persönliches Leben bezogen. Damals erschien mir diese Erklärung schlüssig, denn mir stand ein neuer Lebensabschnitt bevor, der auch schon zuvor Bedenken in mir hervorgerufen hatte.
Ich spürte, dass es nichts würde, weil die Vorgeschichte bereits das ganze Vorhaben belastet hatte. In der Zeit vor dem Abschluss habe ich mich durch mein politisches Interesse von meinem Freundeskreis distanziert; unsere Ansichten über das Leben als Ganzes haben sich zu sehr auseinandergezogen. Ich habe diese Tatsache damals sehr bedauert, blieb jedoch meinem Interesse treu und opferte es nicht, um zu einem fragwürdigen Freundeskreis dazuzugehören.
Zudem muss hinzugefügt werden, dass ich mich nicht selbst ausgeschlossen habe, sondern diese Initiative von meinen damaligen Freunden ausging.
Anscheinend war ich als naturwissenschaftlich, geschichtlich und politisch begeisterter Mensch nicht erwünscht, denn all dies unterschied sich zu sehr von den eher banalen Interessen der anderen. Diese Entwicklung zog sich über ein Jahr, bis ich schließlich im indirekten Sinne verbannt wurde.
Daher hatte ich im zweiten Halbjahr der zehnten Klasse deutlich weniger Freunde als die Jahre davor. Ich wollte mir zu keinem Moment ausmalen, was für Unwahrheiten über mich verbreitet wurden und wie über meine Person allgemein geredet wurde. Das Ganze nahm ich sogar damals relativ auf die leichte Schulter, denn die Menschen werden immer reden und verbreiten dabei gewollt oder ungewollt Unwahrheiten über jeden und alles Mögliche. Im Zeitalter des Internets war es für mich einfach, die weggefallenen Freunde durch für mich interessantere Bekanntschaften zu kompensieren.
Dennoch empfand ich die Tatsache als sehr bedauernd, dass langjährige Freunde aus meinem Leben weitgehend verschwanden. Ich versuchte grundsätzlich, bei jedem Thema mitzureden, wenn ich gesehen habe, dass der Gesprächspartner darauf besteht; sowas habe ich persönlich leider während meiner Schulzeit auf mich bezogen selten erlebt. Dementsprechend war auch verständlicherweise mein Selbstwertgefühl etwas angeschlagen, da ich danach auch Zweifel an mir selbst hegte.
Das Gefühl der Leere auf der Abschlussfeier war mir also bei Weitem nicht unbekannt.
Es war knapp ein Jahr vor dem Abschluss, ich bemerkte eines Tages eine besondere Verbindung zu einer Person. Ich blickte ihr ein erstes Mal in die Augen und verliebte mich in sie. Dieses Gefühl war echt und wiederholte sich im späteren Verlauf meines Lebens bei keiner einzigen Beziehung wieder, unabhängig davon, wie viel Freude und Spaß vorhanden waren.
Nach einem Abend und einem Gespräch mit dieser Person konnte ich mein Glück nicht fassen, es schien alles seinen richtigen Lauf zu nehmen. Jedoch kam nach zwei Tagen das gleiche Gefühl in mir hoch, dass ich dann am Abschlussball erneut verspüren durfte.
Es hielt nicht lange an, hinterließ aber in mir einen tiefen Zweifel, der sich in meinem Gedächtnis verankert hat. Ich verstand damals nicht, weshalb ich so etwas dabei empfinden könnte, da es einfach unpassend erschien.
Ich ahnte, dass sich unsere Wege irgendwann schmerzlich trennen würden und dass alles schon feststünde. Selbstverständlich versuchte ich, das alles nicht ernst zu nehmen, und maß dem zu der Zeit auch keine allzu große Bedeutung bei. Dessen ungeachtet wurde alles Mögliche meinerseits getan, damit diese damalige Art trotz der Vorahnung nicht zur Realität würde, allerdings ohne Erfolg.
Letzten Endes musste ich akzeptieren, dass wir beide keine gemeinsame Zukunft hatten. Umso schmerzhafter wird das alles, wenn die ergriffenen Maßnahmen nichts bewirkt haben. Dennoch bleiben die schönen Erinnerungen in mir bestehen, vor allem jene beiden Tage, an denen ich noch an sie denken konnte, ohne dabei im Hintergrund etwas Negatives zu spüren.
Diese Zeit nimmt sogar nach elf Jahren einen besonderen Platz in meinem Herzen ein, denn in meinem Fall bleibt nur die Erinnerung. So schleppte ich den ganzen Tag an meiner Abschlussfeier dieses Gefühl erneut mit mir herum; schließlich musste ich es an dem Abend so hinnehmen.
Als ich mich dazu entschloss zu gehen, blickte ich noch einmal auf den Saal mit seinen Leuten und merkte umso deutlicher, dass alles bald zur Vergangenheit gehören würde.
Draußen blickte ich für eine Weile in den dunklen Himmel. Dadurch verstärkte sich zwar für einen kurzen Augenblick in mir deutlich das Gefühl der Leere, aber zum Glück hatte auch das am nächsten Tag sein Ende.
Ich frage mich immer wieder, wie es wohl ist, dauerhaft mit so einem Gefühl zu leben, denn diese Leere hat mich verschlungen, zumindest für eine kurze Zeit in zwei unterschiedlichen Situationen.
Vor allem musste ich zuerst dahinterkommen, durch was genau dieses Empfinden bei mir ausgelöst wurde. Ich vermute, dass mein ehemals widersprüchliches Verhalten in diversen Lebenssituationen dazu beigetragen hat. Zwar änderte ich mich schon in sehr jungen Jahren in eine eher positive Richtung, zumindest im allgemeinen Leben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in jüngeren Jahren einen gewissen Schaden angerichtet und damit auch einige Menschen im Leben sehr negativ beeinflusst habe.
Ein Gewissen war bei mir grundsätzlich immer vorhanden, dementsprechend stellte ich dieses Verhalten auch schnell ein. Dennoch änderte es nichts an den bereits begangenen Taten, wobei diese sich im Vergleich zu den Taten anderer Menschen mehr als begrenzt in Bezug auf ihre Bösartigkeit verhalten. Ich wurde in keinem Sinne jemals verurteilt, aber mein Bewusstsein hat mir eines Tages die Augen geöffnet. Jedoch ist es sogar mit einem eher harmlosen Vergehen deutlich komplizierter zu leben, wenn man ein wirkliches Gewissen besitzt.
Daher haben sich die im Verhältnis zahlenmäßig geringen schlechten Taten in meinem Kopf verankert und lösen manchmal ein schlechtes Gewissen aus, selbst wenn ich mich in jeder Hinsicht gebessert habe.
Grundsätzlich denke ich nicht an diese Geschehnisse aus der Vergangenheit, aber mein Bewusstsein scheint mir in wichtigen Lebensereignissen zu signalisieren, dass sich schlechte und verlogene Taten von früher negativ auf die weitere Entwicklung auswirkten.
Zwei wichtige Lebensereignisse waren in diesem Sinne die Bekanntschaft mit einer sehr geliebten Person und mein Abschluss sowie die damit verbundenen Pläne für das weitere Leben.
Menschen mit einem weniger ausgeprägten Gewissen werden vermutlich niemals so ein Empfinden verspüren und können sich grundsätzlich mehr erlauben, ohne jegliche Zweifel zu bekommen.
Außerdem ist es für sie auch leichter, zu jeglichen Erfolgen zu gelangen. Allerdings frage ich mich, ob es sich dabei wirklich um gute Geschöpfe handelt.
Diese Art von Leuten wird vermutlich auch nur eine angebliche Reue spüren und zeigen können, wenn die Situation es verlangt. Jedoch handelt es in diesem Fall nur um ein künstliches Verhalten, das nichts mit dem inneren Empfinden zu tun hat. Ich empfand bei keinem Mal Trauer, Hass oder etwas dergleichen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich eine Art Vorahnung, dass die Zukunft nicht die gesetzten Erwartungen erfüllen würde; womöglich haben die schlechten Erwartungen aus der Vergangenheit irgendeinen entscheidenden Einfluss darauf genommen.
Mein Leben gestaltete sich auch ganz anders, als ich es jemals geplant hätte. Zwar konnte ich einige Ansätze während meiner Existenz verwirklichen, doch das Entscheidende ist mir nicht gelungen.
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