B. Born - die gekachelte Sonne

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"Dreckweiße Taxis preschten voran. Gelbes und rotes Licht zerteilte sich auf Peters Nickelbrille zu Sternen. Also nahm er sie ab und sah hoch, blinzelte, da die Regentropfen seine Augen trafen. Die Wolken spie­gelten das Licht der Straßen und glühten ihrerseits gelb-orange. In seiner Kurzsichtigkeit war die Stadt reines Licht. Das, was außerhalb lag, war das Nichts, unfassbar und nicht existent. Einige Prostituierte warteten quar­zend den Schauer in einem Hauseingang ab."
In einer sehr subjektiven und brutal ehrlichen Art wird der Alltag Peters und das Entstehen einer Künstlergruppe mit dem Namen 'die Zone' im West-Berlin der 1980er und 1990er Jahre skizziert. Der Roman handelt von Menschen, die sich von der Atmosphäre auf der Insel 'Westberlin' inspirieren lassen und genauso von solchen, die treiben oder nicht treiben, die ­straucheln, die außen vor stehen, die einen Neuanfang schaffen wollen, die aber nicht in der Lage sind, ihre mitgebrachten, klein­städtischen 'Alt-Lasten' abzuschütteln. Solchen, die viel zu viel oder viel zu wenig ris­kieren. Sie alle wollen 'trendy' und 'hip' sein, sind es aber meist nicht wirklich. Denn in Wahrheit verdorren sie im Alltag, in der Normalität, in Ängsten, Verlusten und im Schmerz.

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B. Born

DIE GEKACHELTE SONNE

Für C.H.

Inhalt

Buch 1: Stadt ohne Licht

Buch 2: Traumdosen, sonst nichts

Buch 3: Kugelmensch

1 Buch 1

2 Stadt ohne Licht

Die ersten Jahre in Berlin waren öde und relativ einsam. Bis Peter im Spätsommer 1987 zu einem Konzert ging. Es schien nur ein weiteres Konzert zu sein, wie all die vielen vorherigen. Vor der Hauptband spielte ein einzelner Gitarrist mit fitzigem Haar. Er bearbeitete seine E-Gitarre, ganz vorne am Rand der Bühne stehend und krächzte in das Mikrophon, das höher als er selbst eingestellt war, so dass er sich beim Singen auf die Zehenspitzen stellen musste. Da Peter keine Verbindung zwischen dem Gesang und dem Lärm der Gitarre erkennen konnte, schlängelte er sich in die Vorhalle und kaufte genervt an einem Stand, bei dem man eine Tischdecke über einen Tapetentisch geworfenen hatte, ein neues Bier in einem Plastikbecher.

Als der Alleinunterhalter endlich zum Ende kam, begleitet von den Pfiffen derer, die mit zwei Fingern pfeifen konnten und dünnem höflichen Geklatsche vereinzelter anderer, erhellte warmes, gelbes Licht aus einem Kronleuchter mit bestimmt hundert Kerzenglühbirnen den Saal. Der Umbau für die Hauptgruppe begann. Alle jüngeren Männer, wie auch Peter trugen eine schwarze Jeans, Armeestiefel und eine schwarze Militärjacke und sahen sich um. Peter erspähte kein bekanntes Gesicht in der Menge. Manche hatten kultig, aufgebretzelte Freundinnen mitgebracht. Voll war es eigentlich auch nicht. Die Berliner Szene interessierte sich vielleicht nicht für New Yorker Undergroundmusik oder nicht für diese Band oder keiner kannte das ‚Esplanade‘ am Potsdamer Platz.

Als das Licht des Kronleuchters wieder herunter gedimmt wurde, blieb ein oranger Schimmer. Die Band kam von rechts auf die knarrende Holzbühne gelaufen und griff nach den Instrumenten. Die Gitarren traten in eine Art Dialog. Eine Frau in einem schlichten hellen Kleid trat auf die Bühne und sang. Sie wirkte schüchtern und stark zugleich. Sie sang etwas falsch. Das Schlagzeug und der Bass setzten ein und die Gitarren schwollen an. Es wurde sehr laut. Die Gitarristen erzeugten ein Lärmfeld. Rückkopplungen und hohe, feine Melodien, fast Kindermelodien mixten sich zusammen. Aber auf dem Lärmteppich entstand eine andere, zweite Ebene. Man hörte etwas, was nicht gespielt wurde, eine Art transzendentaler Melodie. Peters Herz schlug heftiger. Es packte seinen Körper und verbreitete sich angenehm, verwandelte jede Zelle in Musik. Seine Hände sanken herab. Der leere Plastikbecher fiel einfach hinunter. Er heulte los, vor Glück und weil er dieses Erlebnis mit jemanden teilen wollte. Er glaubte, es würde ihn zerreißen.

Nach dem Konzert wankte er desorientiert durch die Straßen. So etwas wollte er unter allen Umständen öfter erleben. Um das zu schaffen, wollte er selbst Musik machen. Solche Musik. Die Frische der Nacht fraß sich in seine Jacke. Es regnete heftig. Das Konzertpublikum rannte in alle Richtungen auseinander, an den Mauern entlang, hielt sich etwas über die Köpfe. In der nächsten Straße: Scheinwerfer, Autogehupe, Gedränge bei den Kebabfritzen. Dreck weiße Taxis preschten voran. Gelbes und rotes Licht zerteilte sich auf Peters Nickelbrille zu Sternen. Also nahm er sie ab und sah hoch, blinzelte, da die Regentropfen seine Augen trafen. Die Wolken spiegelten das Licht der Straßen und glühten ihrerseits gelborange. In seiner Kurzsichtigkeit war die Stadt reines Licht. Das, was außerhalb lag, war das Nichts, unfassbar und nicht existent. Einige Prostituierte warteten quarzend den Schauer in einem Hauseingang ab.

Er trat in das Neonlicht der U-Bahnstation, hasste die dreckigen Kacheln, den Rotz, die Kippen, die Reklametafeln, aber auch die Leute, die vergnügt aussahen und die sich amüsierten. Wenn sie auf demselben Konzert gewesen waren, hatten sie die Musik nicht verstanden und hatten die verborgene Kraft nicht gespürt.

Mit der flachen Hand strich er sich den Regen aus den Haarstoppeln. Das Wasser spritzte auf die Fußbodenfliesen. In der Bahn auf einem Sitz legte er den Kopf nach hinten und schloss die Augen. Gedanklich veränderte er sein Leben. Er machte endgültig Schluss mit Beate, studierte eifrig und malte wie ein Besessener. Und gründete eine Band. Dafür wollte er alles andere vernachlässigen.

Am nächsten Morgen sprang er im Bett auf und schrie vor Schmerz. Er hatte tief geschlafen und Beates Kater hatte seine Zähne in seinen Arm gerammt. Er rannte umher, der Kater hing an seinem Arm. Aus vollem Halse schreiend, trat er barfuß eine Bierdose und ein Glas um. Dabei schlug er mit der flachen Hand den Rücken des Tieres: „Hau ab! Hau ab, du Mistvieh!“

Bevor der Kater endlich losließ, kratzte er noch einmal mit aller Kraft über seine Hand, hüpfte mit einem Buckel seitwärts durch das Zimmer, fauchte und als Peter nach ihm trat, fegte er los in Richtung Küche.

„Hey!“ schrie Beate beleidigt, die durch den Krach erwacht war. Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand.

„Dein Mistkater hat mich wieder zerfleischt! Sieh dir an, was er gemacht hat!“ Peter beeilte sich ein Papiertaschentuch zu finden und legte es auf den blutenden Rinnsal.

„Er ist eifersüchtig“, sagte Beate. Durch ihr hellblaues T-Shirt zeichneten sich ihre Nippel ab. „Scheiß auf diesen Quatsch! Das ist ein neurotisches Mistvieh.“

Prompt kam er zurück, wetzte zufrieden seine Krallen am Teppich, der an manchen Stellen schon ganz buschig war.

„Außerdem stinkt er aus dem Maul und es ist die einzige Katze auf der Welt mit Käsefüßen“, schimpfte Peter weiter.

„Was soll ich deiner Meinung nach also machen? Ihn zurück ins Tierheim bringen?“

„Genau“, sagte Peter leise.

„Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“ legte Beate los. „Tiere sind wesentlich freundlicher als Menschen. Und dankbarer! Mit Katzen verstehe ich mich besser, als mit allen anderen auf der Welt. Besser als mit dir sowieso!“ Sie drehte sich zur Wand.

Peter ging genervt die weinrot gestrichenen Holzdielen entlang zur Toilette. Während er urinierte kam der Atem in Wolken aus seinem Mund. Er besah sich die sauber gestrichenen weißen Wände und stöhnte über die Arbeit, die er damit gehabt hatte. Nichts war mehr davon zu sehen, dass die Wohnung, als Beate sie übernommen hatte, ausgebrannt gewesen war. Nichts mehr von der eingezogenen Zwischendecke, die er hatte herausreißen müssen, nichts von all dem Ruß, von den Asbestplatten. Und dabei hatte er nie gewollt, dass Beate nach Berlin nachkommt. Im Gegenteil, er hatte sich vorgestellt, dass sie ihre verkorkste Beziehung beenden könnten, ohne extra Schluss machen zu müssen, einfach durch Entfernung.

Er ging in die Küche und setzte Wasser für Tee auf.

„Alles ist total vertrackt“, fluchte er laut.

„Hau doch ab, wenn’s dir hier nicht passt“, schrie Beate aus dem Schlafzimmer. Unmöglich, dass sie ihn gehört hatte.

„Kann ich ja gar nicht!“ schrie er zurück. „Wer hat mir denn die Wichser aufgehalst, die sich in meiner Wohnung einnisten? Wer weiß, wie lange ich sie noch am Hals habe! Du weißt doch, wie schwer es ist, eine leere Wohnung zu finden.“ Er tat einige Schritte in Richtung Schlafzimmer, damit sie ihn auch verstünde und zeterte: „Wieso können die eigentlich nicht bei Ramona wohnen und Ramona wohnt hier bei dir? Schließlich wollte die ihnen unbedingt helfen.“

„Sie will halt nicht, dass ihr Ex mit seiner neuen Freundin bei ihr wohnt. Das hab‘ ich dir doch schon tausendmal erklärt. Den Gedanken, dass die dann in ihrer Wohnung Sex haben, findet sie total eklig und das kann ich gut verstehen“, rief Beate. Ihr Ton war nun etwas versöhnlicher. „Außerdem hängst du ja sowieso nur bei mir rum. Was macht das also?“

„Was? Wir hatten uns fast zwei Monate nicht gesehen! Bis du angerufen hast. Du wolltest unbedingt die beiden bei mir einquartieren und ich Depp habe mich weichklopfen lassen“, sagte er. Sie hatte leichtes Spiel gehabt. Sie hatte ihn zu einem Punkkonzert eingeladen. Sie hatten sich betrunken und sie hatte ihn abgeschleppt. Am nächsten Morgen hatte er sich in seiner alten, ätzenden Beziehung wiedergefunden: Anöden und gegenseitiges Runterziehen.

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