Als Jugendlicher wurde Ernst Israel Bornstein von den deutschen Besatzern aus Familie, Schule und Leben herausgerissen und zur Zwangsarbeit verschleppt. Vier Jahre lang wurde er in sieben verschiedenen Arbeits- und Vernichtungslagern geschunden und gequält. Nur knapp überlebte er Hunger, Krankheit, die körperliche und seelische Folter. Seine Leidensstationen, über die er in seinen Erinnerungen berichtet, waren die Konzentrationslager Grünheide, Markstadt, Fünfteichen, Großrosen, Flossenbürg, Leonberg, Mühldorf.
Nach dem Krieg studierte und promovierte er in München zum Dr. med. dent. und anschließend zum Dr. med. und gründete eine Familie. Seine Erinnerungen aufzuzeichnen, fiel ihm außerordentlich schwer, da das bedeutete, von Angstträumen gepeinigt, die Erlebnisse der Lagerzeit immer wieder neu zu durchleiden. Sie erschienen erstmals 1967 in der Europäischen Verlagsanstalt und 2015 in englischer Übersetzung mit einem Geleitwort von David Cameron. Die Neuausgabe mit einem Vorwort von Charlotte Knobloch richtet sich gegen das Vergessen: »Fast ein Menschenleben nach dem Holocaust verblasst die Erinnerung immer mehr, und manch einer meint heute sorg- und verantwortungslos, seine Stimme an Nationalisten und Menschenfeinde verschwenden zu können.«
Ernst Israel Bornstein
Die lange Nacht
Ein Bericht aus sieben Lagern
Neuausgabe
mit einem Vorwort von
Charlotte Knobloch
© E-book-Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Foto Umschlagseite: Ernst Israel Bornstein als Jugendlicher
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
Covergestaltung: Susanne Schmidt, Leipzig
eISBN 978-3-86393-551-1
Auch als gedrucktes Buch erhältlich, ISBN 978-3-86393-092-9
Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im
Internet unter www.europaeische-verlagsanstalt.de
Vorwort von Charlotte Knobloch
Einleitung zur Erstausgabe
Das Leben im Getto
Grünheide
Markstadt
Fünfteichen
Großrosen
Flossenbürg
Leonberg
Mühldorf
Anhang
Zum Andenken
an meinen Vater Usher Bornstein
der immer an das Gute im Menschen glaubte
meine Mutter Hella Bornstein
sowie meine Schwester Noemi Bornstein
und meinen Bruder Jehuda Bornstein
die 1943 von den nazistischen Barbaren
als Juden im Konzentrationslager Auschwitz
vergast worden sind
Charlotte Knobloch
Vorwort zur Neuauflage von »Die lange Nacht. Ein Bericht aus sieben Lagern« von Ernst Israel Bornstein
Wenn ein Buch über fünfzig Jahre nach der ersten Drucklegung erneut herausgegeben wird, dann ist dies meist eine Anerkennung der Tatsache, dass die Botschaft des Werkes aus Sicht von Verleger und Publikum ungeachtet der vergangenen Zeit noch immer aktuell ist. Dies trifft ganz besonders auch auf die Neuauflage von »Die lange Nacht« zu, die Sie in Händen halten.
Die Aufzeichnungen von Ernst Israel Bornstein (1922-1978), der während der NS-Zeit jede denkbare Hölle durchlebte, die das nationalsozialistische Regime für jüdische Menschen ersonnen hatte, haben in der Zeit seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1967 nichts an Bedeutung und Eindrücklichkeit verloren. Im Gegenteil: Wie viele andere Zeitzeugenberichte entfaltet auch Bornsteins Rückblick seine volle menschliche und historiographische Wucht erst mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den Vorkommnissen von damals. Das mag paradox erscheinen – und ergibt doch gerade vor dem Hintergrund der heutigen Zeit Sinn.
Wir leben längst in einer Epoche, deren Haltung gegenüber der Zeit des Nationalsozialismus von einer seltsamen Zweideutigkeit bestimmt ist; die sie zugleich ernst nimmt und ignoriert, sie einerseits ins Zentrum des politischen Diskurses stellt und andererseits in der politischen Praxis oft genug völlig ausblendet. Vordergründig betrachtet scheint unsere Gesellschaft die Schrecken der Vergangenheit präsent zu halten: Eine Fülle von Spielfilmen und Dokumentationen, Büchern und Hörspielen für alle Altersstufen sollen die Erinnerung medial bewahren, es gibt Gedenktage und -wochen, dazu öffentliche Orte der Erinnerung wie das besonders prominente Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Herzen Berlins und viele lokale Gedenkstätten, denen zu den entsprechenden Jahrestagen Spitzenpolitiker aller demokratischen Parteien ihre Aufwartung machen. Doch sagt all das mehr über die Sichtbarkeit des Gedenkens aus als über die Ernsthaftigkeit des Erinnerns. Kein Film kann aufrichtige Beschäftigung mit der Thematik ersetzen und kein Jugendbuch die ehrliche Ansprache durch Eltern oder Lehrer. Gedenkorte, die nach dem 9. November und 27. Januar voller Kränze liegen, sind den Rest des Jahres den meisten Menschen weder Besuch noch Beachtung wert. Insgesamt scheint unser Land, das seine demokratische Neugründung nach dem Zivilisationsbruch des Holocaust moralisch und politisch vor allem durch die nötige Abgrenzung von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft legitimierte, der praktischen Verantwortung, die aus diesem abstrakten Bewusstsein erwächst, heute nicht immer gewachsen zu sein.
Das zeigen Untersuchungen, die erschreckende Wissenslücken zur NS-Zeit unter Schülern offengelegt haben, ebenso wie die Wahlergebnisse der jüngeren Zeit. Beide Entwicklungen lassen erahnen, wie groß der Bevölkerungsanteil womöglich doch sein könnte, den die bundesrepublikanische Erinnerungskultur in den Jahrzehnten seit 1949 nie erreicht hat (um die unter dem bequemen Schlagwort »Antifaschismus« firmierende Ignoranz der ehemaligen DDR auf diesem Gebiet samt ihren negativen Folgen gar nicht zu erwähnen).
Die Gefahr von Rückfällen war bereits Ende der Sechzigerjahre, zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung dieses Buches, latent vorhanden. Vor ihr zu warnen, entsprang damals durchaus keiner übertriebenen Angst, sondern war die logische Folge vieler Entwicklungen in der Frühphase der Bundesrepublik. Die personellen Kontinuitäten zwischen Diktatur und Demokratie, die ausgebliebene Strafverfolgung hochrangiger Nationalsozialisten nach 1945 und die Widerstände überall dort, wo dies wie im Falle des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer doch versucht wurde, machten eindrücklich klar, dass die Entnazifizierung ein langer und steiniger Weg war, der mit Gründung eines demokratischen Staates noch lange nicht abgeschlossen war.
Ich selbst erinnere mich aus jener Zeit noch gut an die große Skepsis, die die jüdische Gemeinschaft hier in München Ende der Vierziger- und zu Beginn der Fünfzigerjahre der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft entgegenbrachte. Vorfälle wie die Auerbach-Affäre als Kulminationspunkte der nahezu täglichen Erfahrung, dass der Antisemitismus in Deutschland eben nicht im Mai 1945 verschwunden war, verstärkten bei vielen den Eindruck, im »Land der Mörder« könne es für jüdische Menschen keine Zukunft geben. Viele setzten diese Überzeugung auch in die Tat um und wanderten aus, sobald es ihnen rechtlich und praktisch möglich war. Zurück blieb eine kleine Gemeinschaft von wenigen Tausend, deren Verbleib zumeist mehr eine Folge äußerer Umstände als innerer Überzeugungen war.
Unter ihnen war auch Ernst Israel Bornstein, dessen Geschichte als in Polen Geborener und in Deutschland Hängengebliebener typisch war für viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden in der frühen Bundesrepublik. Während der NS-Zeit überlebte Bornstein nicht weniger als sieben Konzentrationslager und einen Todesmarsch. Nach seinem Studium der Zahnmedizin wurde er in München bald zu einem beliebten Arzt und einem angesehenen Mitglied der hiesigen Kultusgemeinde, in deren Vorstand er neben seinen zahlreichen anderen Verpflichtungen über Jahre tätig war. Die Akkuratesse und Genauigkeit, die die Beschreibungen in seinem Buch prägen, machten ihn auch als Person aus. Auch wenn ein uneingeweihter Beobachter ihm in jenen Jahren kaum etwas hätte anmerken können, vermochte er der gewaltigen Last des Erlebten doch nie zu entkommen. »Das KZ«, so schrieb er, »hält mich immer noch umklammert.«
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