Mit einem tiefen Stöhnen fiel Bens Oberkörper halb auf die Bettkante, sodass er sehen konnte, wie die Nervensäge zu Boden schlug – direkt neben eine geöffnete Zeitschrift, die dort lag. Er erinnerte sich, dass er gestern Abend vor dem Einschlafen kurz darin geblättert hatte. Jetzt lag sie offen da und Ben konnte nur zu genau das Bild eines Modells erkennen, das für einen Optik-Konzern Werbung machte.
Die Frau hatte brünette, naturgelockte Haare, eine schlanke Figur, die in einem enganliegenden, knielangen, schwarzen Lederrock und einem weißen Satin-Top mit Spaghettiträgern steckte, unter dem sich das zarte Schimmern kakaobrauner, sonnenverwöhnter Haut zeigte.
„Verdammt!“ brummte Ben. Das also war seine Traumfrau gewesen. Zugegeben war sie wirklich sehr attraktiv, aber doch eindeutig noch keine Dreißig, womöglich nicht einmal Zwanzig. Und ihr Gesicht war zwar sehr hübsch, aber längst nicht wundervoll oder gar atemberaubend, wie ihm das sein Traum vorgespielt hatte.
Mit einem weiteren Stöhnen drehte er sich zurück auf das Bett und ließ seinen rechten Arm achtlos auf die Matratze fallen.
Im nächsten Moment ertönte ein lautes Quieken. Ben erschrak sichtlich und riss seinen Arm wieder in die Höhe. „Leroy!“ Himmel, er hatte gar nicht bemerkt, dass sein Kater neben ihm geschlafen hatte. Mit einem Satz war das Tier auf den Beinen und starrte ihn aus großen Augen an. Offensichtlich hatte es so tief geschlafen, dass es noch ziemlich geschockt war. „Tut mir leid, ich…!“ Ben wollte dem Kater über den Kopf streicheln, doch er erntete nur ein wüstes Fauchen mit durchgedrückten Beinen und aufgestelltem Nackenfell. Ja, Leroy war eindeutig noch nicht wirklich wach. Mit einem weiteren Fauchen wandte er sich ab und sprang vom Bett. Während Ben seinen eigenen Schreck erst noch verdauen musste, trottete der Kater müde und ein wenig torkelnd aus dem Zimmer. „Alter, es tut mir wirklich leid!“ rief Ben ihm hinterher. „Ehrlich, es war doch nur…!“ Weiter kam er nicht, denn als er jetzt seinen rechten Arm wieder auf das Lacken senkte, bemerkte er eine feuchte Stelle dort. Als er dorthin sah, konnte er tatsächlich einen nahezu kreisrunden, etwa Handteller großen Fleck erkennen. „Hast du etwa?“ Sofort verdächtigte Ben seinen Kater, dass er vielleicht ins Bett gemacht hatte und warf seinem gerade um die Ecke biegenden Schwanz einen verärgerten Blick hinterher. Dann hob er das Laken an, um zu sehen, wie weit die Sauerei sich bereits ausgebreitet hatte, als er erneut innehielt und einen vollkommen entsetzten Gesichtsausdruck bekam. „Oh Scheiße!“ Er sah noch einen zweiten Fleck gleicher Art – auf seiner Schlafhose! „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Vollkommen entgeistert realisierte er, dass nicht Leroy der Verursacher war, sondern er selbst. Sein ach so wundervoller Traum, hatte ihn ganz offensichtlich weitaus mehr erregt, als er das gespürt hatte. Und das, obwohl er noch nicht einmal Hand an seine Traumfrau gelegt hatte, geschweige denn mit ihr in wilder Ekstase um die Welt geritten war. Knallhart erkannte er, dass es wirklich höchste, nein allerhöchste Zeit wurde, mal wieder eine echte Frau zu spüren, wenn ihn schon ein so verhältnismäßig harmloser Traum zum Höhepunkt treiben konnte. „So ein Mist!“ stöhnte Ben echt frustriert, stieg aus den Bett, zog sofort seine Schlafhose aus und das Laken vom Bett und brachte alles zusammen mit der Schlafdecke ins Badezimmer, wo er es missmutig in den Wäschekorb stopfte.
Dann ging er unter die Dusche, um seinen Kopf, aber auch seinen Körper wieder klar zu bekommen.
Das heute jedoch offensichtlich absolut nicht sein Tag werden würde, musste er nur wenige Minuten später schmerzhaft erkennen: Ihm fiel das Duschgel aus der Hand. Als er sich danach bückte, geriet sein Kopf in den Wasserstrahl, was ihm Shampoo in die Augen trieb, sodass seine Sicht für einen Augenblick getrübt war und er beim Aufrichten mit dem Kopf gegen den Wasserhahn knallte. Der Schlag war nicht gerade fest und tat eigentlich auch nicht wirklich weh, aber er erschrak so sehr, dass er seinen Kopf ruckartig zur Seite riss, dabei das Gleichgewicht auf dem rutschigen Boden verlor und der Länge nach hinschlug – was dann doch wehtat und Ben schmerzhaft aufschrie. „Verdammter Mist!“ stöhnte er, während er sich mühsam wieder aufrappelte.
In genau diesem Moment hörte er die Türklingel!
Er verharrte kurz in seiner Bewegung, als wäre er nicht sicher, ob er sie wirklich vernommen hätte, doch plötzlich bekam er große Augen. „Die Tickets!“ In einer flüssigen Bewegung drehte er den Wasserhahn ab, öffnete die Duschkabine und fischte ein Handtuch vom Halter. Während er aus der Kabine stieg, faltete er das Handtuch auf und legte es sich um die Hüften. Dann stürmte er los.
Seit klein auf schon war er ein großer Fan von Bryan Adams. Und nächste Woche gab der eines seiner seltenen Konzerte in dieser Stadt. Ben hatte sich früh um eine Eintrittskarte bemüht, aber er war schon zu spät gewesen. Einige Zeit schob er echten Frust darüber, letztlich aber hatte er sich doch damit abgefunden. Bis er durch puren Zufall im Internet jemanden getroffen hatte, der noch zwei Karten dafür besaß und bereit war, sie zu verkaufen, weil er selbst unglücklicherweise verhindert sein würde. Der Preis war dennoch nahezu unverschämt gewesen und er musste auch beide Karten abnehmen, doch Ben wusste, dass Bryan Adams jeden Preis wert war. Deshalb schlug er zu. Die Karten sollten in den nächsten Tagen per Post kommen. Das war vorgestern gewesen. Da er sonst nichts bestellt hatte, was ein Bote persönlich abliefern musste, konnte es sich jetzt normalerweise nur um die Tickets handeln. Und da er nicht riskieren wollte, dass der Bote unverrichteter Dinge wieder abzog und er die Karten nicht mehr rechtzeitig bekam, musste er jetzt so triefendnass, wie er war, eben zur Tür rennen.
Zumindest wollte er das, denn kaum hatte er mehr als drei Schritte in den Flur hineingemacht, da spürte er plötzlich etwa Weiches unter seinem rechten Fuß. Zeitgleich ertönte das halb überraschte, halb zornige Quieken einer Katze. „Leroy!“ rief Ben ebenfalls in einer Mischung aus Schreck und Verärgerung aus, während er seine Arme ausbreitete, um nicht umzufallen, was ihm jedoch nicht gänzlich gelang und er eine kleine Holzschale von der Flurkommode fegte, in der einige Schlüssel abgelegt waren. „Zum Teufel, verschwinde hier!“ Als Antwort bekam er ein bösartiges Fauchen, doch konnte er sehen, wie sich sein Kater umdrehte und in Richtung Wohnzimmer rannte. „Warte gefälligst, bis du dran bist!“ Natürlich tat es ihm leid, dass er den Kater schon zum zweiten Mal geärgert hatte, doch die Tickets waren jetzt einfach wichtiger. Entschlossen setzte er seinen Weg zur Wohnungstür fort. Dabei achtete er erneut nicht auf seine Schritte und als er mit dem linken Fuß auf einen der herabgefallenen Schlüssel trat, zuckte er zusammen, stöhnte mehrmals auf und humpelte dann mit schmerzverzerrtem Gesicht weiter.
Als er die Tür erreicht hatte, klingelte es zum wiederholten Male. Ohne zu zögern öffnete Ben und verharrte dann sichtlich überrascht, während er den weiblichen FedEx-Boten mit großen Augen anstarrte, weil die Frau etwa in seinem Alter mit Proportionen aufwarten konnte, die ihn in seiner momentanen Situation beinahe schon erschreckten. Bei einer Körpergröße von kaum hundertsechzig Zentimetern sprengte ihr Busen in Doppel-DD geradezu das enganliegende Polo-Shirt, wurde aber von einem leichten Rundum-Rettungsring noch daran gehindert, der Schwerkraft Tribut zu zollen. Ihr Kopf mit dem kurzgeschnittenen, hellblonden Haar wirkte seltsam klein auf den Schultern, ihr Gesicht mit den Pausbäckchen und den kleinen rehbraunen Augen auf den ersten Blick noch einigermaßen niedlich, auf den zweiten jedoch viel zu grell geschminkt. Als Ben sie ansah, bemerkte er, dass sie außer Atem schien und sich Schweiß auf ihrer Stirn zeigte.
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