"Wenn man ihn bekommt."
"Wollen Sie ihn verbrennen?"
"Ich hab' ihn vergessen, wenn sie ihn auf dem Revier fordern. Am nächsten Tag bringe ich eine Bescheinigung meines Arbeitgebers, dass er mich entlassen müsste, falls mir der Führerschein entzogen wird. Darauf gründe ich meinen Antrag auf Belassung, weil andernfalls nachweisbare Benachteiligung in meinen Arbeitsaussichten beständen und so weiter. Sie wissen ja, wie man denen kommen muss."
Mit verächtlichem Schnauben pustete Frau Bräutigam den Rauch durch die Nase. "Das unterschreibt Höhler nie."
"Sie haben doch Prokura, schmeißen hier sowieso den Laden."
"Danke für die Blumen. - Aber irgendwann würde er es erfahren." Sie seufzte und überdachte alle Möglichkeiten.
Ein Wagen fuhr draußen vor. Nach einem Blick aus dem Fenster drückte sie Anton nervös eine Pappschachtel in die Hand und flüsterte: "Sie haben das hier für Ehmsen geholt."
Anton ging gemächlich, in der offenen Tür sagte er laut: "Schön, Frau Bräutigam, werde ich Ehmsen bestellen." Eilig ging er zur Werkstatt. Höhler beachtete ihn kaum und hastete grußlos an ihm vorbei. Gern spielte der Herr Gefolgschaftsführer den überlasteten Chef.
Höhler saß bis zum Feierabend im Büro, deshalb war keine endgültige Antwort von der Bräutigam zu erwarten. Und morgen war der Gang zum Revier fällig. Nicht sehr fröhlich verabredete Anton mit Nitte den ersten Kinobesuch.
Am nächsten Morgen tauchte Höhler gleich nach Arbeitsbeginn auf. Antons Hoffnung sank noch tiefer. Der Herr Chef blieb den ganzen Vormittag. Kurz vor der Mittagspause kam Vera Bräutigam. In einem unbewachten Augenblick steckte sie Anton einen Briefumschlag zu.
Das Polizeirevier lag im ersten Stock. Anton war nicht der einzige Besucher dieser Art, und alles, was sich ständig wiederholt, wird Routine. Gruß, gebrummter Wiedergruß, kurzes Mustern des Zwangsbeauflagten, Eintragung ins Kontrollbuch, manchmal eine joviale Ermahnung, und der Auflage war von beiden Seiten Genüge getan. Anton war schon wieder an der Tür, als der Hauptwachtmeister leichthin sagte: "Übrigens, Born, Sie möchten mal zum Reviervorsteher kommen."
Der Reviervorsteher, ein Polizeiobermeister, hatte kein Bürokratengesicht, eher das eines Arbeiters. Wahrscheinlich ein Sozialdemokrat, der sich bis jetzt durchlaviert hat, dachte Anton.
"Herr Born - Sie haben sich eben eintragen lassen?"
"Ja."
"Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?" Er tat, als prüfe er sehr gewissenhaft, und forderte dann monoton: "Ihren Führerschein."
"Den habe ich nicht bei mir."
Der Uniformierte blickte den Mann vor sich müde und vorwurfsvoll an. "Sie kutschieren ohne Führerschein umher?"
Sie haben spitzgekriegt, dass ich ab und zu hier mit einem Wagen hergerutscht bin, dachte Anton innerlich amüsiert und sagte todernst: "Heute musste ich laufen, Herr Obermeister."
"Wenn Sie laufen, lassen Sie den Führerschein natürlich zu Hause."
"Nein, ich habe ihn heute vergessen, weil ich ein anderes Jackett angezogen habe."
Mit raschem Blick überflog der Reviervorsteher ein vor ihm liegendes Schreiben. "Jedenfalls verlangt die zuständige Stapoleitstelle Ihren Führerschein. Bringen Sie ihn nächstes Mal mit."
"Eine Bitte, Herr Obermeister: Darf ich die Anschrift der Leitstelle erfahren?"
Ohne aufzusehen, langsam und eintönig las der Reviervorsteher den Briefkopf vor, mit Aktenzeichen und Zimmernummer. Im gleichen Tonfall, immer noch auf das Blatt starrend, sagte er dann: "Und wenn jemals einer erfährt, wo Sie die Anschrift herhaben, mache ich Ihnen das Leben sauer. - Sie können gehen."
"Danke", stotterte Anton überrascht. Im Bemühen, die Anschrift seinem Gedächtnis einzuprägen, vergaß er zum ersten Mal den offiziellen Gruß. Er wurde nicht zurückgeholt.
Anton überlegte. In die Höhle des Löwen gehen, versuchen, denen dort die Belassung abzulisten? Nein, ihm graute vor der Bande. Er schickte seinen Antrag mit der Bescheinigung Frau Bräutigams per Eilpost an die Stapoleitstelle. Einige Tage später bekam er eine Vorladung. Betroffen fluchte er in sich hinein. Was er verhindern wollte, hatte er nun provoziert. Schweren Herzens machte er sich auf den Weg.
Durch mehrere Kontrollen gelangte er endlich in das Zimmer hundertneun. An der Tür blieb er gewohnheitsgemäß stehen. Sein Kontrahent saß vor einem Schreibtisch am Fenster und kehrte ihm den Rücken zu. Offenbar las er den Antrag Antons. Er las sehr lange. Man konnte im Zweifel sein, ob er wusste, dass der Antragsteller bereits im Zimmer stand. Anton, in derlei Dingen erfahren, dachte, mal muss er ja nach Hause gehen. Nach etwa zehn Minuten sagte der am Fenster, ohne sich umzuwenden: "Sie sind doch ein selten frecher Hund, Born. Nicht nur, dass Sie überhaupt den Antrag stellen, schicken Sie ihn noch per Eilpost."
"Wenn Sie das so aufgefasst haben, Herr Kommissar, tut es mir leid, und ich möchte mich entschuldigen", sagte Anton, "aber ich sitze in der Klemme, möchte ein ordentliches Leben führen, arbeiten ... "
Der Kommissar wandte sich jäh um. "Sagen Sie bloß, es gibt keine Arbeit!"
"Natürlich gibt es die. Doch für Leute meiner Straftat sind die großen Betriebe mit Staatsaufträgen gesperrt, und die kleinen Krauter in meiner Branche wollen alle Leute mit Führerschein."
"Passen Sie auf, Born, wir schicken Sie wieder ins KZ, und den Ärger mit dem Führerschein sind Sie los. Meinen Sie nicht, dass Tausende mit Ihnen tauschen würden, auch ohne Führerschein?"
"Selbstverständlich. Nur, weil man mir bei der Entlassung sagte, wenn ich still meine Pflicht tue, würden mir keine Hindernisse in den Weg gelegt, deshalb kam ich darauf, den Antrag zu stellen."
"Welcher Pinsel hat Ihnen denn den Religionsunterricht erteilt?"
"Oberkommissar Taege."
"Na, den werde ich mal brieflich fragen."
"Herr Kommissar, könnten Sie nicht ein Wort für mich einlegen, dass ..."
"Schluss jetzt! Geben Sie den Führerschein her."
"Ich habe ihn nicht bei mir."
"Vergessen, wie?"
"In der Vorladung stand nicht ... "
"Sie werden den Führerschein sofort holen, Born, verstanden?"
"Jawohl, Herr Kommissar." Anton ging. Verteufelte Situation, dachte er und grübelte auf dem Nachhauseweg, wie er die Gestapo überlisten könne. Plötzlich erinnerte er sich, dass ihn die Wache ohne Vorladung nicht hätte passieren lassen. Darauf gründete er den Plan.
Mit Bleistift kritzelte er auf einen Zettel: "Sehr geehrter Herr Kommissar, wie von Ihnen angeordnet, bin ich nach Hause gefahren und habe den Führerschein geholt. Da mich die Torwache ohne Vorladung nicht durchlässt, übergebe ich ihn hiermit derselben und verbleibe mit deutschem Gruß Anton Born." Den Zettel steckte er in einen Umschlag, aber nicht den Führerschein. Er adressierte den Umschlag, klebte ihn aber nicht zu. Dann fuhr er wieder zur Gestapo und gab den Umschlag bei der Wache ab. Anton kalkulierte: Den Umschlag wird der Kujon frühestens morgen Mittag haben. Natürlich wird er den Führerschein vermissen. Da der Umschlag offen ist, Anfrage bei der Torwache. Es ist nicht die Gleiche wie am Abend. Sie kann beim besten Willen keine Auskunft geben. Fraglich, wann der Kujon dazu kommt, die Richtigen zu fragen, fraglich überhaupt, ob jeden Abend die Gleichen da sind. Darüber geht Zeit hin, ziemlich sichere Gewähr, dass in dem Riesenapparat die Sache versandet. Das wäre der günstigste Fall. Und der andere? Der Kujon bestellt mich noch einmal zu sich und nimmt mich in die Zange. Dann heißt es eisern bleiben und beteuern, ich habe den Führerschein wie beschrieben im Umschlag abgegeben, er muss auf dem Wege nach oben herausgefallen sein.
Die nächsten Tage waren voll ekliger Spannung. Doch das kostbare Dokument war die Aufregung wert. Wochen vergingen, nichts geschah. Anton beglückwünschte sich mit dem Ausspruch alter KZler: Der liebe Gott lässt keinen guten Atheisten im Stich.
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