Immerhin war dank des entschlossenen Vorgehens der Kommunisten ein schöner Park entstanden. Und er war wohl nicht zuletzt deswegen so prächtig angelegt worden, die um eine Badeanstalt betrogenen Berliner zu versöhnen. Ein Stück hin zum Oranienplatz gab es sogar einen Goldfischteich mit Springbrunnen. An der kleinen Ausbuchtung des Schwanenteiches aber wölbte sich eine malerische Holzbrücke. Hier standen dauernd Krumenstreuende, die farbenprächtigen Enten verwöhnend. Schwärme von Karpfen machten den Enten das Futter streitig. Sie standen so dicht, dass man versucht war, sich hinzuknien, um einen Mehrpfünder mit bloßen Händen zu fangen.
Allmählich werde ich wieder Berliner, dachte Anton, als er vom Oranienplatz die Dresdener Straße hinunter schritt.
Donnernd fuhr am Kottbusser Tor ein Zug ein. Mit der Hochbahn muss ich auch wieder mal fahren, nahm er sich vor.
Wenige Minuten später stand er vor der künftigen Arbeitsstelle. Die elektrische Uhr über der Tür des Bürohäuschens zeigte fünf Minuten vor drei. Sie war das prächtigste Stück des ganzen Grundstücks. Unbarmherzig enthüllte das grelle Sonnenlicht Gerümpel in allen Ecken, und den bröckelnden Mauerputz. Es stank nach Benzin, Schmiere und Öl. In dem von der Sommerhitze weich gewordenen Asphalt des Platzes hatten sich Wagenspuren eingedrückt. Ein schmächtiger, käsegesichtiger Lehrling besprengte ihn. Ein langer Schlaksiger meckerte: "Wagenwaschen sollste!"
"Pluster dir nicht uff!" Der Kleine lenkte rasch den Wasserstrahl zu dem Langen, der sich hinter die Plane eines Schnelllastwagens rettete.
Anton verkniff sich ein Schmunzeln und ging langsam über den Platz. In der Mitte sechs Tanksäulen, rechts die Werkstatt, links die Garagen. Anton trat in das enge Büro. "Guten Tag", sagte er, doch die hinter dem Schreibtisch sitzende Frau telefonierte weiter, als sei niemand eingetreten. "Nicht doch, nicht doch, bester Herr, wir sind ein Betrieb mit allen Schikanen. Und als Dauerkunde können sie keine bessere Garage finden. - Na, großartig! - Wann sind Sie hier? - Gut, ich notiere. - Heil Hitler!" Sie legte den Hörer auf und betrachtete Anton ungeniert. "Vom Arbeitsamt?"
"Ja", sagte Anton und gab ihr die Vermittlungskarte.
Die legte sie achtlos beiseite und fragte: "Führerschein?"
Anton nickte. "Allerdings wurde mir gesagt, ich soll als Wagenwäscher anfangen."
"Sollen Sie. Aber mit Führerschein ist alles einfacher, können Sie sich vorstellen."
"Meine Vorstellungskraft ist unbegrenzt. Viel begrenzter scheint mir der Tarif für Wagenwäscher."
Sie lachte und wurde Anton sympathisch, trotz der frechen Bemalung. "Sie sind ein ganz gewiefter. Wenn Sie als Wagenwäscher gehn, ist mir manches klar. Aber Ihre Sache - interessiert mich nicht. Nur einen guten Rat: Wenn der Alte hier ist, grüßen Sie lieber immer 'Heil Hitler!'"
"Ich bin ja noch gar nicht eingestellt."
"Doch. Unterschreiben kann Herr Höhler. Und jetzt kommen Sie mal mit." Auf ihren Stöckelschuhen trippelte sie voraus und warf die Hüften. In der Garage bezeichnete sie drei Wagen. "Die fahren Sie solange raus. Um halb vier kommt der, mit dem ich eben telefoniert habe. Wenn er verschwunden ist, fahren Sie die Wagen wieder rein. Das machen Sie jeden Tag um halb neun, wenn er wegfährt, und um halb vier, wenn er kommt."
"Und wenn mal einer der drei andern Wagenbesitzer unangemeldet aufkreuzt?"
"Da werden wir schon eine Ausrede wissen, wie?"
Sie gingen wieder zurück. Auf dem Hof hielt sie der Käsegesichtige an. "Frau Bräutigam, der Roderich sagt, erst muss ick die drei Wagen waschen, ehe ick die Kupplung von dem Mercedes in Ordnung bringe."
Die Bräutigam rief in eine bestimmte Richtung, als hätte sie Röntgenaugen: "Herr Halpope, wenn der Mercedes bis Feierabend nicht fahrfertig ist, bumst es."
Der Schlaksige tauchte hinter einer hochgestellten Kühlerhaube auf. "Sind Sie der Gefolgschaftsführer?"
"Nein - genauso wenig wie Sie. Bloß, dass ich besser weiß, was notwendig ist."
"Und Prokura haben Sie auch", bekräftigte der Käsegesichtige.
"Halt deinen Mund, Nitte", fuhr ihn Frau Bräutigam an, "und mach dich an den Mercedes."
Beim Weitergehen sagte sie leise zu Anton. "Meine Kragenweite, dieser Herr Roderich Halpope. Schon zweimal durchgefallen bei der Gesellenprüfung. Aber weil sein Bruder ein hohes SS-Tier ist, darf er auch das dritte Mal."
"Wenn er nun wieder durchfällt?"
"Hoffentlich. Wenigstens ein Grund zum Rausschmiss."
"Untergehen wird er trotzdem nicht. Als KZ-Bewacher beispielsweise braucht man nichts zu können."
Sie blickte Anton an. Jetzt sah er einige Linien und Fältchen in ihrem hübschen Gesicht. "Sie wissen ja allerhand."
"Sogar aus eigener Anschauung", sagte Anton, "früher oder später erfahren Sie es doch."
Der Chef, Herr Höhler, verschloss verstohlen ein Schranktürchen, als sie beide ins Büro traten. Übergangslos sagte Frau Bräutigam: "Ich habe eben dem Halpope eins aufs Dach gegeben, Edmund. Um den Nitte zu kujonieren, mischt er sich in interne Betriebsdinge."
"Leg dich doch nicht dauernd an mit diesem - diesem ... ", er stockte und sah fragend auf Anton.
Sie stellte vor: "Der neue Wagenwäscher, Herr ... Herr ... "
"Born", sagte Anton und schob dem Gefolgschaftsführer die Karte vom Arbeitsamt vor die Nase.
"Tscha, Herr - Herr Born ..." Höhler zögerte und sah unschlüssig zu Frau Bräutigam hinüber. Sie kniff bejahend ein Auge zu und sagte: "Herr Born versteht was von Motoren und hat auch einen Führerschein. Für fünf Pfennig über Tarif will er anfangen."
Noch nie in Antons Leben hatte jemand für ihn seine ureigensten Angelegenheiten so resolut in die Hand genommen.
"Gegen zehn Pfennig über Tarif hätte ich auch nichts einzuwenden", sagte er.
"Da weiß ich nicht, warum Sie nicht als Autoschlosser arbeiten", wandte Höhler ein.
Frau Bräutigam hatte jenes Schränkchen geöffnet, sich einen Schnaps eingegossen und hinuntergekippt. Nachdrücklich hieb sie mit dem Handballen den Korken in die Flasche, trat zu Höhler und sagte betont: "Dafür wird er schließlich seinen Grund haben - nicht?"
"Meinetwegen", brummte Höhler, "also fünf Pfennig über Tarif und vierzehn Tage auf Probe. Morgen machen wir Ihre Arbeitspapiere zurecht."
"Na schön", sagte Anton.
"Erst mal Tagschicht", vervollständigte Frau Bräutigam die Einstellung, "von acht bis fünf. Vergessen Sie die drei Wagen nicht."
Anton wandte sich zur Tür, und die Mahnung Frau Bräutigams fiel ihm ein. Doch statt zu grüßen, fragte er an der Tür: "Wo sind denn die Zündschlüssel für die Wagen?"
"Die gibt ihnen Nitte."
"Nitte?"
"Der Krümel, unser Lehrling Heinz Nitzeband", erklärte Sie.
Anton fand Nitte, und der zeigte ihm das Fach mit den Zündschlüsseln. "Wann fangen Se an?" fragte er.
"Morgen früh."
"Jott sei Dank", entrang es sich Nitte, "vor lauter Wagenwaschen bin ick überhaupt nich mehr ans Fachliche gekommen."
"Ist das so wichtig?" reizte ihn Anton. "Spätestens nach dem Auslernen wirst du Soldat."
Nitte nickte tiefsinnig. "Leider. Aber als jelernter Autoschlosser habe ick mehr Chancen, zur motorisierten Truppe zu kommen."
"Totgeschossen werden kann man überall."
"Aber die Infanterie kriegt immer zuerst 'n kalten Arsch."
Anton wiegte den Kopf. "Schwer zu sagen. Am besten, es gibt überhaupt keinen Krieg."
"Glooben Se?" Nitte brachte seinen Mund nahe an Antons Ohr. "Der Halpope da, der weeß über so wat immer Bescheid. Der sagt, et jeht bald los."
"Wo denn?" Anton tat vertraut, ungläubig und neugierig.
"Im Osten, jejen den Russen."
"Wieso gerade gegen den?"
"Hör'n Sie denn keen Radio? Det ist doch der bolschewistische Todfeind."
"Deiner auch?"
"Wie meinen Se det?"
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