E.R. Greulich
Zum Heldentod begnadigt
Ein Tatsachenbericht
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Inhaltsverzeichnis
Titel E.R. Greulich Zum Heldentod begnadigt Ein Tatsachenbericht Dieses ebook wurde erstellt bei
Was diesem Buch …
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Lasst uns Zeit!
Verschollene Zeitzeugenschaft. Über Emil Rudolf Greulich (1909- 2005)
Impressum neobooks
vorausgeschickt werden muss, sind einige wichtige Daten und Tatsachen. So wie es auf der übernächsten Seite beginnt, habe ich es im Winter 1944/45 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft fertiggestellt. Es war nicht leicht, das Manuskript in die Heimat zu schaffen. Im vorigen Jahr bekam ich es endlich in die Hand. Die Versuchung lag nahe, es noch einmal vollständig umzuarbeiten, vielleicht in Romanform zu bringen. Welchen Autor lockte es nicht, seinem ersten größeren Werk literarische Brillanz zu verleihen? Ich habe es bei dieser Reportage, dem lebenswahren Bericht über ein Novum der Weltgeschichte, belassen, denn es geht hier nicht um mich, sondern um das, was ich schildere. Noch eine Gefahr wollte ich vermeiden, der ich mich bei einer Umarbeitung ausgesetzt hätte: das Werk nachträglich auf revolutionären Hochglanz zu polieren. Denn ich kenne seine Schwäche, die zugleich die Schwäche vieler 999er und überhaupt des Großteils der deutschen Hitleropposition war. Sie wurden nicht weich, sie behielten ihren klaren Kopf, ihr überzeugtes Menschentum, aber sie taten nichts oder zu wenig gegen Hitler. Darum ist dieses Buch nicht das Buch über die 999er, sondern eins. Es anders auszulegen, wäre ein Unrecht gegen jene unerschrockenen Angehörigen dieser unglückseligen Division, die trotz der fürchterlichen Erschwernisse gegen Hitler handelten. Dass es sie gab, ist Tatsache. Viele Angehörige unserer Division, die in Griechenland und Jugoslawien eingesetzt werden sollten, bezahlten ihre revolutionäre Zusammenarbeit mit den Partisanen mit ihrem Leben. Ihr Heldentum zu schildern ist Aufgabe ihrer überlebenden Kameraden.
Deshalb aber Abstand von der Herausgabe dieses Buches zu nehmen, halte ich selbst dann noch für ungerechtfertigt, wenn man einwendet, dass das Geschilderte lediglich Landserschicksal darstellt. Man kann wohl mit Recht fragen, in welch größerem Werk denn bisher dieses Schicksal des zweiten Weltkrieges zu gestalten versucht wurde. Die Degradierung des Landsers zur Nummer, zum willenlosen Befehlsempfänger, die Unsinnigkeiten der Heeresbürokratie, die moralische Verkommenheit der meisten Offiziere und Chargen der Hitlerarmee, alles das ist in unzähligen Leitartikeln, Essays, Glossen und Gedichten abgehandelt worden, aber am überzeugendsten bleibt wohl immer das Kleinmosaik eines Tatsachenberichtes. Das sei die Rechtfertigung für die Veröffentlichung, nicht für das persönliche Verhalten des Verfassers, der schon deshalb nicht sehr gut abschneiden kann, weil er sich bemüht, die Wahrhaftigkeit über die persönliche Reinwaschung zu stellen. Ihm bleibt nur die Entschuldigung, dass er seiner Überzeugung treu blieb und dementsprechend im Rahmen des von ihm als möglich Betrachteten handelte.
Wer das furchtbare Hitler-Jahrdutzend in Deutschland miterlebt hat, weiß, wie unsagbar schwer es war, organisierten Widerstand aufzubauen. Die es selbst versuchten, wissen es noch besser. Wie unendlich schwieriger musste es in der Strafdivision 999 sein, in der wir Tag und Nacht unter Druck und Beobachtung der Stammmannschaft standen, jener untadeligen Hitlersoldaten , die besonders für unsern Truppenteil ausgesucht und gesiebt waren. Dazu kamen jene Kriminellen, die sich genau wie in Zuchthäusern und KZs auch bei uns zum Verrat missbrauchen ließen, und mit denen unsere Reihen durchsetzt waren. Ihre Charaktere und auch alle anderen Typen habe ich mich bemüht, wahr zu zeichnen. Nur die Namen sind geändert.
Das Entscheidende an diesem Buch ist darum nicht der Nachweis einer festen politischen Organisation in unseren Afrika-Einheiten, sondern die Haltung der Politischen, die um so mehr Überzeugungsstärke erforderte, je weniger von einem organisierten Rückhalt die Rede sein konnte.
Ehemalige Politische, die umgefallen sind, gehören zu den Ausnahmen. Das beweisen eindeutig die nachfolgenden Geschehnisse in der Gefangenschaft. Die 999er waren die Kerntruppe antifaschistischer Aktionen in amerikanischer, englischer, französischer und später in ganz hervorragendem Maße in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft (Regiment 963).
Darum wütete auch in der angelsächsischen und französischen Gefangenschaft der Naziterror weiter gegen sie. Viele wurden seelisch und körperlich misshandelt. Einige wurden totgeschlagen oder aufgehängt. Eine ganze Anzahl entging der physischen Vernichtung mit knapper Not.
999er waren z. B. der Stamm des größten Antinazi-Camps in USA, Fort Devens. Jenes Lager, das sich schon zu einer Zeit in corpore dem Council for a d e m o c ra tic G e rman y anschloss, als es noch von jedem Einzelnen ein hohes Maß persönlichen Mutes und Zivilcourage erforderte.
Weitere Einzelheiten aus der Gefangenschaft zu erwähnen, ist hier nicht der Ort. Ich denke es in einer Fortsetzung dieses Buches zu tun, das ich hoffe, in Kürze veröffentlichen zu können unter dem Titel: "Späte Briefe an Lincoln". (Anm. des Verlages: Das Buch erschien 1965 unter dem Titel "Amerikanische Odyssee", als eBook 2014).
Wem der Titel dieses Tatsachenberichts zu übertrieben dünkt, der sei an den Geheimbefehl Hitlers erinnert, der für den Fall eines Zusammenbruchs des afrikanischen Abenteuers die Zusammenziehung unserer Einheit auf eine Halbinsel bei Bizerta vorsah und unsere dortige Liquidierung, sprich Niederkartätschung, durch die Hermann-Göring-Division. Dass es nicht dazu kam, verdanken wir nicht etwa menschlichen Anwandlungen der Verantwortlichen, sondern war eine zwangsmäßige Folge des katastrophalen moralischen und materiellen Zusammenbruchs des Afrikakorps, wie er in diesem Buch geschildert wird.
Berlin, im August 1949
Der Verfasser
"Sie haben sich am Montag, dem Soundsovielten 1942, in der Knabenschule Tempelhofer Ufer zu stellen.
Zeit: 14.30 Uhr.
Grund: Eintritt zum aktiven Wehrdienst.
So steht auf der Postkarte, die am Freitagabend in meinem Briefkasten steckt. Ich habe also praktisch zwei Tage Zeit, meine Siebensachen zu regeln und Schluss zu machen mit dem Privatleben.
Auf dem Rand der Karte steht mit roter Schreibmaschinenschrift: Für die Dauer Ihres Wehrdienstes sind Sie durch ein Gesetz des Führers wehrwürdig.
In den verbleibenden sechzig Stunden komme ich kaum mehr zum Schlafen.
Auf meiner Arbeitsstelle, zu der ich nach meiner Haftentlassung zwangsverpflichtet wurde, sind sie erstaunt. Es hatte immer so ausgesehen, als würde ich nie eingezogen.
Man zahlt mir meinen Akkordrest aus, ich verabschiede mich. Das übliche Händeschütteln. Übliche Segenswünsche. Die meisten verhehlen ihr Mitleid nicht und ihre Freude, dass es sie nicht erwischt hat. Es ist gut, dass ich so wenig Zeit habe. So kann ich die Abschiedszeremonien auf ein Mindestmaß herabschrauben.
Bei Bella geht das natürlich nicht. Sie bleibt die ganze Nacht. Und was bei ihr Abschiedskummer und Leid zu einem großen lodernden Gefühl zusammendrängt, bewirkt bei mir das Gegenteil. Ich möchte schlafen. Schlafen und vergessen. Noch ein einziges Mal als Zivilist in einem richtigen Bett träumen dürfen. Bella ist traurig darüber. Sie versteht mich nicht. Ich verstehe sie sehr gut. Gerade das macht mich nervös. Es ist ein gespanntes letztes Zusammensein. Gute Bella, verzeih mir, ich höre schon platzende Granaten, rieche Phosphor und sehe Menschenfleischfetzen in Stacheldraht hängen. Ich kann mich keiner Liebesstunde mehr hingeben.
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