Ansonsten findet Micha Sandy klasse, weil sie so wenig Zeit hat. Wegen der Eltern und der Arbeit, und mit allem, was dran hängt von Einkaufen bis Mitputzen zu Hause, ist Sandy ja auch wirklich richtig eingespannt. Micha hat es nicht gern, wenn er sich auf seinen Fahrten quer durch Europa immer fragen muss, wo das Weib bloß steckt. Das hat er erst seit Caro so im Blut, die hat ihn nämlich betrogen, und seitdem fehlt es Micha an Vertrauen. „Mit mir nicht“, sagt er, denkt: Nicht noch mal, und haut auf den Tisch. „Ich tu mich damit schwer“, flüstert er im Vertrauen und klingt dabei schon viel mehr nach warmer Decke. Findet Sandy. Und die muss es wissen, denn bald deckt sie sich mit Michas Wärme ganz zu.
Und Micha freut sich, dass er mit Sandy so ein prima Mädel hat, das mit beiden Beinen im Leben steht und den ganzen Tag ackert. Für sie macht er sogar in seiner kleinen Bude Platz, was er noch nicht mal für Caro gemacht hat: zuerst für ihre Zahnbürste, dann für ein paar Wechselsachen. Und dann stört ihn nicht mal der Damenrasierer am Wannenrand – Micha wundert sich nur, wie schnell das Ding in sein Bad gekommen ist. Und dass überhaupt mit Sandy seine kleine Wohnung ordentlich aufgewertet wird.
So geht das eine ganze Weile und es geht gut so. Alle zwei Wochen hat Sandy Urlaub von ihren Eltern und ihrem Leben und hat Urlaub bei Micha. Und Micha hat Urlaub von seinem LKW und Litauen und Frankreich. Für Micha heißt dieser Urlaub: Sex, ohne bezahlen zu müssen. Und mit einer richtigen, also vorzeigbaren Frau – auch wenn Micha nicht dazukommt, Sandy irgendwo vorzuzeigen. Möchte er auch gar nicht. Für Sandy heißt dieser Urlaub kuscheln unter der Decke, die sie in sich fühlt.
Als sie sich auf einmal nur noch nach Kotzen fühlt, ahnt Sandy, dass sie nicht nur einfach ein par Wochen über der Zeit ist. Sie holt sich in dem Supermarkt einen Test (natürlich nicht in ihrem Supermarkt, wo sie ja jeder kennt) und dann weiß sie es auch: Sie ist definitiv nicht nur drüber, sagt der Teststreifen nach zehn Minuten.
Als Sandy Micha mitten in ihrem gemeinsamen Wochenendurlaub ihrer Beziehung sagt, dass sie so, wie’s aussieht, schwanger ist, schweigen sie sich spontan einen Weile an. Sandy denkt: Schmeiß mich nicht gleich wieder raus, schmeiß mich jetzt bloß nicht wieder raus. Das ist doch eigentlich was Schönes und wunderbar – die Decke wird größer – eine Familie entsteht – so schnell. Wir mussten nicht mal groß drüber nachdenken oder drüber reden – das passt doch zu dir, das fängt doch gut an, oder?
Micha denkt: Was verdient Sandy eigentlich da in ihrem Supermarkt? – Scheiße, jetzt müssen wir irgendwie zusammen sein, auch wenn wir nicht mehr wollen, so im Unterhalt sind Kinder bestimmt teurer als zu Hause. Aber auch gleich nach den paar Mal – was bist du für eine Wucht, dich hält nicht mal so ein Gummi auf! Du bist halt potent wie ein Zuchtbulle.
Und das sagt er Sandy auch, weil er nichts anderes weiß und Sandy findet das irgendwie auf eine ganz komische Weise, die nicht so poetisch ist wie im Film, doch ganz passend in diesem Moment.
Und Sandy schließt Micha fest in die Arme und noch fester ins Herz und lässt ihn nie wieder los. Bis Sonntag, wenn Micha wieder fahren muss. Auf zwei Wochen nach Estland diesmal. „Wir wollen also ein Kind“, sagt sie zu Micha, wobei sie ihn aber auch ein bisschen fragt.
„Hm“, macht Micha, „sieht wohl so aus.“
Mehr sagt er nicht mehr dazu, das ganze Wochenende nicht.
Er ist halt maulfaul, leider.
IV. Keiner weiß es, aber Karin
Keiner weiß es, aber Karin spürt etwas. Wenn sie nachts wachliegt und noch nicht einschlafen kann und sich fragt, was wohl das Baby in ihrem Bauch macht – dann ist es immer da: dieses Gefühl, das mit der befruchteten Eizelle in ihr irgendwas nicht stimmt.
Mit Stefan kann Karin nicht darüber reden, weil Stefan ein Mann ist und sie nicht versteht. Wie könnte er auch? Er freut sich, dass es gleich im zweiten Monat geklappt hat, er freut sich, weil sie jetzt ihre Tage nicht mehr hat. Neun Monate nonstop, denkt er, der Dumme (als ob Karin nur dafür da wäre). Er freut sich, weil alles nach Plan läuft: drei Kinder, und das ist ja auch Karins Plan.
Gerade Karins Plan.
Nur kann sie sich nicht so ganz freuen.
Denn immer, wenn sie es versucht, sind da diese komischen Ahnungen. Die hatte sie nicht, als sie damals mit Max schwanger war. Oder zumindest kann sich Karin nicht an so was erinnern. Manchmal versucht sie es, und dann fällt ihr ein, dass sie überhaupt ziemlich viel vergessen hat von all dem, was damals mit ihr und Max so alles war. Wie sie sich gefühlt hat. Wie sie sich gefürchtet hat. Wie fertig sie war. Und dann denkt Karin, dass es vielleicht nicht immer so richtig prickelnd ist, immer nach Plan und nach vorne zu schauen. Weil es dann eben manchmal echt schwer fällt, zurückzuschauen. Und jetzt ist Max schon wieder so groß und jeden Tag mehr – und Karin hat ihn doch gebaut und geboren und seitdem fast jeden Tag um sich – und weiß doch nicht mehr, ob sie diese düsteren Ahnungen schon damals mit ihm hatte. Und dieses Damals ist eigentlich nur ein paar Jahre her.
Werde ich alt und deshalb vorsichtig, überängstlich – ist es schon zu lange her seit Max, fragt sich Karin, obwohl sie es doch im Grunde besser weiß. Noch ist sie nicht in dem gefährlichen Alter, noch liegt sie in der Zeit. und im Plan. Und trotzdem fühlt sich diese Schwangerschaft anders an als die erste. Da ist sich Karin immer sicherer. Dieses Mal ist es anders als mit Max. Naja, tröstet sie sich, jedes Kind ist halt auch anders. Vielleicht wird es ja auch ein Mädchen. Das wäre dann halt eben auch nicht zu ändern.
Wie Stefan so seelenruhig schlafen kann, versteht Karin nicht. Er hat sie geschwängert und ist davon so erschöpft, dass er einfach nur noch schlafen will. Karin hat ihn aber auch gefordert. Jetzt, wo sie schwanger von ihm ist, hat sie keinen Bock mehr auf Stefan. Das sagt sie ihm aber nicht, weil es so ganz auch nicht stimmt. Sie liebt Stefan. Und sie liebt ihn, obwohl er herzkrank und vielleicht bald nicht mehr da ist. Das ist ihr Schicksal. Wo die Liebe hinfällt, bleibt sie liegen – daran glaubt Karin ganz fest. Außerdem liebt Karin Stefan, weil er ihr Kinder macht, Kinder, die Karin vergessen machen, dass Stefan irgendwann nicht mehr da ist. Dann hat sie seine Kinder und damit auch ihn und dadurch ist er nicht ganz so weg und sie nicht ganz so allein. Und wenn alles nach Plan geht, hält Stefan wenigstens bis 53 Jahre durch. So alt ist sein Vater geworden.
Und wenn Stefan früher stürbe, wäre Karin, da ist sie sich felsenfest sicher, zuerst enttäuscht darüber und dann erst traurig deswegen.
Schon wieder hat Karin an den Tod gedacht. Schon wieder liegt sie deswegen wach. Ob das mit der Schwangerschaft zusammenhängt, wegen Leben und Tod und beidem so nah beieinander – oder nur wegen dieser einen Schwangerschaft, bei der irgendwas, das Karin nicht benennen kann, anders wirkt, und bei der vielleicht sogar irgendwas nicht stimmt.
Das Kind in ihr treibt Karin um und macht Karin zu schaffen. Morgens ist ihr übel, da verkraftet sie das Aufstehen nicht. Dreimal die Treppe rauf und runter und Karin tun schon die Füße weh. Es zieht im Rücken und dann presst sich ein unbeschreiblicher Druck durch ihre Innereien, bis er am Magen angekommen ist. Dann ist Karin wieder übel. Aber das hatte sie alles auch bei Max, das hat sie vorher gewusst und von daher macht sich Karin deswegen keinen Kopf. Karin, so viel steht fest, ist vorbereitet, die Schwangerschaft war ja geplant. Stimmungsschwankungen verkneift sie sich mit Rücksicht auf Stefan. Sie ruht sich viel aus, macht zwischendurch immer mal eine Pause, sie lässt Stefan ihre Füße massieren – im Gegenzug für ihre Rücksichtnahme, von der er nichts weiß, weil sie ihm das nicht sagt, weil er es eh nicht verstehen und zu würdigen wüsste. Er ist halt so. Karin kennt ihn, Karin kannte ihn schon immer – deshalb passt er ja so gut zu ihr und in ihren Plan. Nur mit dem Herzproblem, denkt sich Karin, nur damit hat er sie hintergangen.
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