Karin weiß gar nichts. Ihr Biologieunterricht ist lange her. Und ihr Fruchtwasser, denkt sie sofort, das kann doch nicht schlecht gewesen sein. Ihre Eizelle kann doch nicht schlecht gewesen sein, Stefans Sperma kann doch nicht – Max ist doch auch völlig gesund. Da muss ein Fehler unterlaufen sein, ja so war es. Das erklärt ja alles! Karin denkt an den schlampigen Laboranten aus ihrem Traum und an seine Pisse. Das muss eine Vorahnung gewesen sein! Die Untersuchungen müssen wiederholt werden, von einem anderen Laboranten – vielleicht sogar in einem ganz anderen Labor. Heißt es denn nicht immer, es sollten zwei Meinungen eingeholt werden? Irren ist menschlich. Und sind Ärzte nicht auch Menschen? Aber der Arzt schüttelt nur den Kopf, egal was Karin sagt. „An dem Befund gibt es keinen Zweifel. Das ist mehr als eindeutig. Und das war kein Urin da im Test.“
„Aber wir wollen doch ein Kind!“, kommt es aus Karin hervor. „Und noch eins!“
Der Arzt nickt. „Und Sie können es doch auch kriegen. Da spricht nichts dagegen.“
„Ja, aber“, sagte Karin und weiß nicht, wie sie es so richtig sagen soll, als es schon ganz entsetzt einfach so aus ihr herausschreit: „Aber doch nicht so eins! Wir wollten doch ein richtiges Kind. Und dann noch eins – Das Kinderzimmer ist schon gemalert, ich bin schon beim zweiten Socken ...“
Mit einem Mal kommt ihr eine Idee. Eine hässliche Idee, die sie zittern macht, aber sie zittert ja eh schon, seit der Arzt ihr diesen Mist, diesen elenden Mist erzählt hat. Karin hält Max, der sich darüber doch wundern muss, sicherheitshalber die Ohren zu und fragt: „Und wenn ich es wegmachen lasse und wir es nochmal versuchen? Das geht doch, oder? Das da“ – sie nickt zu ihrem Bauch runter – „das ist doch nur eine Ausnahme, oder? Die zählt doch nicht so wirklich richtig.“
Der Arzt sieht sie erst lange an, dann schüttelt kategorisch und unerbittlich den Kopf. „Die Wahrscheinlichkeit wäre dann trotzdem enorm hoch, dass es wieder Down-Syndrom hätte. Ihr Kind da“ – er nickt zu Max und lächelt ihn dabei scheinheilig an – „ist die Ausnahme bei Ihnen, nicht das Kind in Ihrem Bauch.“
Karin hält noch immer Maxens Ohren zu, was der Junge jetzt lustig findet, weil er es für ein Spiel hält. „Und wenn wir es trotzdem wegmachen?“
Der Arzt aber schüttelt wieder den Kopf. „Sie sind schon im dritten Monat. Das geht nicht mehr.“
„Auch nicht bei so was?“ Karin ist entsetzt. Als hätte ihr jemand ganz unvermittelt das Bein weggeschossen. So fühlt es sich zumindest an.
Der Arzt seufzt. „Sie sollten sich das wirklich noch mal überlegen. Kommen Sie doch in der nächsten Woche noch mal wieder rein, ja? Passen Sie auf, ich weiß, das ist hart. Aber besprechen Sie das doch erst mal in aller Ruhe mit Ihrem Mann und dann kommen Sie noch mal her. Und dann sehen wir weiter, ja?“
Karin sitzt im Auto und hat Max neben sich im Kindersitz und kann trotzdem noch nicht losfahren. Sie muss sich erst sammeln und fassen. Sie muss es erst fassen. Sie ist noch immer fassungslos. Max ist gesund. Nummer eins. Das Baby in ihrem Bauch ist nicht gesund. Nummer zwei. Jedes weitere Kind wird ganz sicher nicht gesund. Nummer drei. Und sie wollte doch immer schon drei Kinder haben.
Jetzt rechnet sie noch einmal nach: Max ist schon da. Mit ihm lag sie voll in ihrem Plan. Das nächste Kind ist unterwegs und schon fest eingeplant. Und auch wieder nicht. Es steht noch nicht fest, ob es kommen darf, so völlig neben dem Plan. Aber eins ist sicher: Eine Nummer drei wird es nicht geben. Das geht doch nicht, denkt sich Karin, und man müsste doch verrückt sein! So was darf man doch nicht provozieren und mit Absicht machen, so ein – denkt Karin und denkt nicht weiter, weil sie nicht weiß, wie sie von dem Kind in ihrem Bauch denken soll, ohne es zu beschönigen und ohne es zu beleidigen, weil es ja trotzdem in ihr drin und schließlich auch ein Teil von ihr ist. Und sie muss automatisch weinen. Das kann man doch nicht machen, noch – eben so ein Kind. Zweimal eine Niete. Und geht das überhaupt auch nur einmal?
Sie weint noch, als sie den Motor anlässt, der jetzt nicht mehr so dynamisch und großartig wie im Film aufheult. Egal wie, sie wird sich nach diesem Kind definitiv die Gebärmutter rausnehmen und die Eierstöcke kappen lassen, beschließt sie, als sie über den Parkplatz zieht, und weint noch mehr. Sperrzone, verseuchtes Gebiet, unfruchtbare Steppe. Da wächst nichts Gutes, nur Krüppelkiefern. Und so was darf man nicht noch riskieren, so was will sie auch nicht noch einmal in ihrem Bauch haben, auf keinen Fall.
Weil sie so zögerlich fährt und überhaupt noch ganz bei ihren kaputten und furchtbaren Eierstöcken, die so was auf ihren Bauch loslassen, ist, nimmt ihr so ein dreckiger Saftsack die Vorfahrt. Karin merkt es kaum, so verheult guckt sie in die Landschaft.
Jemand hupt hinter ihr, weil sie wie ein Blindfisch durch den Kreisverkehr kreuzt, aber Karin achtet nicht darauf.
Ihr schöner Plan, ihr Lebensplan, wurde gerade durchkreuzt.
Und das ist viel schlimmer.
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