„Ich sag es Ihnen … morgen“, antworte sie und stand auf. - „Ich muss an die frische Luft“.
„Ach Moment“, hielt der Notar Charlie auf. - „Ich habe da auch noch einen Brief für sie“, und reichte ihr den Brief von ihrer Großmutter. Sie bedankte sich und ging an der weinenden und enttäuschten Familie vorbei nach draußen, um erst mal eine zu rauchen auf den Schreck. Sie hatte eine Erbschaft gemacht! Nicht zu fassen! Und dann noch als Alleinerbin. Charlie hatte zwei Züge ihrer Zigarette genommen, als Ihr Vater neben ihr erschien. Hinter ihm kamen seine Frau und seine Tochter aus dem Gebäude, die noch immer diskutierten, wie ihre Oma es nur wagen konnte den Rest ihres Vermögen einfach einer gemein nützlichen Einrichtung zu spenden. Vermögen! So was hatte Oma nie gehabt, aber egal. Charlie machte es Freude, dass ihre habgierige Familie nichts davon bekam.
„Na, mein Kind. Das war ja mal ein Ding“.
„Ja das war es. Eine Ranch in Wyoming. Amerika? Wie kommt Oma denn dahin?“
„Ich habe keine Ahnung. Weißt du, deine Großmutter hat uns auch nicht immer alles erzählt, auch wenn wir ihre Kinder waren. Aber vielleicht hat sie es ja dir geschrieben“, sagte ihr Vater und zeigte auf den Brief in ihrer Hand. -„Ich bring deine Mutter und deine Schwester nach Hause. Kommst du mit, oder …“
„Nein Paps. Ich geh noch ein wenig in die Stadt oder in den Park. Ich muss meine Gedanken ein wenig ordnen“.
Ihr Vater nahm sie kurz in den Arm. - „Ich bin stolz auf dich“, sagte er zu ihr, bevor er mit seiner Frau und seiner anderen Tochter zum Auto ging. Charlie hörte noch immer Clara schimpfen, - warum denn sie diese „blöde“ Farm geerbt hatte, obwohl diese eigentlich ihr zugestanden hätte.
„Jetzt beruhige dich endlich Clara. Deine Großmutter wird schon ihr Gründe gehabt haben, dass Charlie sie bekommt und nicht du. Und außerdem was wolltest du mit einer Ranch? Du bist für die Stadt geboren und nicht für das Landleben“, erläuterte ihre Mutter.
„Aber … ach vergiss es“, schnauzte Clara und stieg in den Wagen. Charlie ging lächelnd in den naheliegenden Park und setzte sich auf eine Parkbank. Vorsichtig öffnete sie den Brief und las.
„ Liebe Charlie.
Meine Zeit ist gekommen. Und auch die Aasgeier sind schon bereit.
Du als meine liebste Enkelin sollst nun das größte aller meiner Schätze bekommen.
Meine Ranch in Wyoming.
Sicher wunderst du dich jetzt, wo ich diese Ranch her habe, und ich kann es dir auch sagen. Sie gehörte deinem Großvater .
Großvater?, - dachte sich Charlie. Aber der kam doch nicht aus Amerika!
Dein anderer Großvater, Gregorys leiblicher Vater war amerikanischer Soldat und hier in Stuttgart stationiert, als wir uns kennenlernten. Er hieß Jack Collins und hat seinen Sohn nie kennengelernt. Als er damals zurück in die Staaten gegangen war, wusste ich nicht, dass ich schwanger war. Wir haben uns nie wieder gesehen. Vor Jahren bekam ich einen Brief von ihm. Ich war schon mit Albert verheiratet und dein Vater war schon auf der Welt, als er mir mitteilte, dass er mich zu sich holen will auf seine Ranch. Als ich ablehnte und ihm sagte, dass ich verheiratet sei hat er mir diese Ranch als Andenken geschenkt. Ich habe Jack gesagt, er solle auf der Ranch bleiben, bis wir uns wiedersehen. Sicherlich wunderst du dich nun, warum ich sie nicht deinem Vater vermache. Aber er hat seinen Vater nie gekannt und so soll es auch bleiben. Für ihn war Albert sein Vater. Daher bekommst du sie, allerdings erst nach deinem 25. Geburtstag. Flieg nach Amerika und sieh sie dir an und dann entscheide, ob du sie behältst oder verkaufst. Der Name lautet Collins Ranch!
Ich liebe dich – Pass auf dich auf – deine Oma.
„Ich werde verrückt! Amerika“, stammelte sie und faltete den Brief zusammen um ihn einzustecken.- „Ich werde dich nicht enttäuschen Oma, das verspreche ich dir“, murmelte sie vor sich hin. Charlie sah in die Ferne, dann nahm sie ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Auskunft.
„Hallo, können sie mich bitte mit dem Flughafen verbinden?“
Charlie kam spät am Abend nach Hause. Die Familie saß gerade beim Abendbrot, als sie hereinkam.
„Charlotte? Komm her und setz dich“, sagte ihre Mutter wieder mal herrisch zu ihr und Charlie setzte sich widerwillig mit ihnen an einen Tisch. Clara blickte sie grimmig an, während der Rest der Familie sich in Schweigen hüllte.
„Möchtest du vielleicht was essen?“ fragte ihr Vater doch Charlie schüttelte nur den Kopf. - „Aber du hast den ganzen Tag nichts gegessen“
„Lass sie doch, wenn sie nichts mag. Sie wird schon selber wissen, wann sie essen muss und nicht. Nicht wahr“, schritt ihre Mutter ein und Charlie lächelte ihren Vater an, bevor sie ihre Hände auf den Tisch legte und ihr Anliegen vorbrachte.
„Also Leute - wegen heute Morgen. Ich habe mich entschieden. Ich werde nach Amerika gehen. Ich werde mir die Ranch ansehen und dann entscheiden, was man damit anfängt“.
„Pah, das war ja klar“, giftete Clara.
„Was war klar Clara? Hast du wirklich gedacht, dass ich sage Nein danke? Ich hätte es tun können, aber als ich dann Omas Brief las wusste ich, dass ich es erst mal sehen muss, bevor ich entscheide.“
„Mir wäre sie zugestanden, nicht dir. Ich bin die ältere.“
„Was willst du auf einer Ranch? Du bist ein Weibchen. Das gehört an den Herd. Ich kann das nicht. Ich will die Welt sehen. Ich will nicht zu Hause hocken so wie du“.
„Hey, hört auf euch zu streiten“, mischte sich Gregory ein, doch Charlie und Clara waren schon voll in Fahrt und stritten weiter.
„Ach deshalb ist dann wahrscheinlich auch deine Ehe mit Michael in die Hose gegangen. Weil du nicht das Frauchen spielen wolltest“.
Charlie blickte ihre Schwester wütend an.
„Du weißt ganz genau, warum Michael und ich uns getrennt haben. Beziehungsweise ich mich von ihm“.
„So weiß ich das?“
„Ach halt doch die Fresse. Du … du blöde Kuh“, sagte sie und stand auf.- „Ich habe übrigens schon einen Flug für übermorgen früh gebucht“.
„Was? Für übermorgen schon?“ rief ihre Mutter.- „Aber Kind …“
„Lass sie. Sie ist alt genug. Wenn sie das will, dann soll sie“, sagte Gregory zu seiner Frau und wandte sich dann an seine Tochter.- „Bist du dir vollkommen sicher?“
„Ja. Und nun geh ich dann mal packen. Morgen muss ich noch zum Amt wegen der Papiere“.
Als Charlie zur Tür draußen war, nahm Gregory seine andere Tochter zur Brust.
„Musstest du die Sache mit Michael ansprechen?“
„Papa, du weißt doch …“
„Clara! Keinen Ton mehr davon. Du weißt, dass nicht Charlie am Scheitern ihrer Ehe mit ihm Schuld war - sondern er. Schließlich hat er sich mit seiner Sekretärin eingelassen, während unsere Charlie ihren Fachwirt gemacht hat“.
„Jaja, aber immer bekommt sie alles. Alles scheint ihr grade so vor die Füße zu fallen. Dass ich echt nicht fair. Oh! Ich hasse diese Frau“, motzte sie und verschwand nach draußen, während sich ihr Eltern nur schweigend anblickten. Charlie hatte ihre Sache gepackt und an der Tür abgestellt, als es klopfte.
„Herein“.
„Hallo Baby“.
„Mama, nenn mich nicht immer Baby. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt“.
„Entschuldige. Tut mir leid. Macht der Gewohnheit. Bisher warst du immer mein kleines Mädchen. Und nun?“
„Mama, bitte tue doch nicht so. Du konntest es nie verstehen, dass ich anders war als Clara. Dass ich nicht zu dieser schicki-micki-Gesellschaft gehöre. Ich bin wie ich bin. Akzeptiere es endlich oder lass es. Du brauchst also nicht so tun als wärst du die besorgte Mutter, deren geliebte Tochter das Nest verlässt. Denn es ist nicht so.“
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