»Hey!«, brüllte Will und sprang im selben Moment wie Evan auf, der Aidan reflexartig bereits von ihr weggezerrt hatte. Aber der Riese entriss sich seinem Griff, während Rayna sich das schmerzende Gelenk hielt, Aidan aber nach wie vor missbilligend anblickte.
»Das ist ja mal wieder ganz glanzvoll von dir«, spottete sie und machte schließlich Richtung Hütte kehrt. Diese Szene hinter sich zurückzulassen, schien sie ganz schöne Überwindung zu kosten.
Aidan brannte währenddessen auch die letzte Sicherung durch, er wirbelte herum und donnerte seine riesige Faust auf Evans Kiefer, der vor Überraschung für einen Moment nur Sterne sah. Er taumelte einige Schritte zurück, der dumpfe Schmerz breitete sich über seinen gesamten Schädel aus.
»Aidan!«, rief Will und ging auf ihn zu. »Aidan, er hat dir nichts getan!«
Deryck, der als Einziger an Aidans Körpergröße heranreichen konnte, sprang nun ebenfalls auf und gemeinsam mit Will zerrten sie ihn von Evan weg und hielten ihm die Arme auf den Rücken gedreht fest.
Violet war derweil ebenfalls hochgeschnellt und eilte Rayna in ihre Hütte hinterher.
Deryck, Will und Aidan brüllten sich an und Evan hielt sich den Kiefer, der in Intervallen Schmerz durch seinen Kopf jagte. Er folgte Violet und ließ den Streit, der draußen tobte, hinter sich zurück, um nicht noch tiefer in etwas hineinzugeraten, mit dem er nichts zu tun haben wollte. In der Hütte schluchzte Spencer heftig vor sich hin und Rayna lief aufgebracht umher.
Sie blickte Evan mit weit aufgerissenen Augen an und ging auf ihn zu, drehte sein Gesicht, sodass sie ihn besser betrachten konnte. Als sie den Bluterguss sah, wandte sie sich wütend ab. »Er hat dich geschlagen!?«, fragte sie, aber die Frage blieb unbeantwortet. »Wo ist Will? Sag mir bitte, dass er sich nicht auf irgendeine sinnlose Prügelei mit dem Arschloch eingelassen hat.«
»Er und Deryck versuchen nur, ihn wieder runterzubringen.«
»Als ob das möglich wäre«, schluchzte Spencer laut.
»Könnt ihr mir erklären, in was ich da gerade reingeraten bin?«, fragte Evan verwirrt. Er hatte eigentlich geglaubt, verrückter könnte das alles hier nicht werden und gehofft, hier zu bleiben und herauszufinden, wieso alles, was Shepard ihm erzählt hatte, ihm so logisch erschien, wäre die richtige Entscheidung gewesen.
»Aidan ist ein Arschloch, ganz einfach. Spence, soll ich ihm erklären, was los ist?«, fragte Rayna, immer noch geladen vor Wut. Spencer nickte, ihr Schluchzen ebbte ab und Violet strich ihr übers blonde Haar.
Rayna setzte gerade zu ihrer Erklärung an, als wie aus dem Nichts ein ohrenbetäubender Knall ertönte und alle entsetzt zusammenfuhren. Sie starrten sich an. Es war unverkennbar: Das war der Schuss einer Pistole gewesen.
»Bist du sicher, dass ich hier sein darf? Also ich meine … über Nacht?«, fragte Angel und streifte sich die Träger ihres weißen Spitzen-BHs wieder über.
Charles betrachtete ihren schlanken Rücken mit einem befriedigten Lächeln, nahm einen langen Zug von seiner Zigarette, inhalierte genüsslich den Rauch und gab ein tiefes Brummen von sich.
Sie stand auf, zog ihr Höschen an und schlüpfte wieder in ihr blaues Kleid. »Ist ja nicht so, dass ich das nicht will – Ich will es ja, aber was werden deine Eltern dazu sagen?«, bohrte Angel nach, legte sich wieder zu ihm unter die Decke und schmiegte sich an ihn.
»Siehst du hier irgendwo meine Eltern? Das ist denen scheißegal, was ich mache und mit wem ich es mache. Die sind weg, die Wohnung gehört mir allein, also mach dir keinen Kopf«, gab Charles zurück und nahm einen weiteren knisternden Zug von seiner Zigarette. Dann atmete er den Rauch direkt in Angels Gesicht aus, was ihr ein breites Lächeln entlockte und sie dazu brachte, ihn lang und fest zu küssen. »Ich will nur keine Probleme machen.«
»Du kannst so oft hier bleiben, wie du willst.« Er zog sie fest an sich und nahm dann den letzten Zug, drückte die Zigarette auf seinem Nachttisch aus und schmiss den Stummel beiseite.
»Hmm, das wird Chad nur so gar nicht freuen«, schmunzelte Angel.
»Chad ist mir egal. Was er will, zählt nicht.«
»Ist doch irgendwie unfair, dass ich alles habe, was ich mir wünsche, während er denkt, dass er alles ist, das ich will.«
»Und wer ist tatsächlich der, den du willst?«, erkundigte Charles sich, obgleich er die Antwort natürlich kannte und blickte sie durch seine langen Wimpern hindurch an.
Sie strahlte und ihre blauen Augen funkelten. »Ich liebe dich, Charlie.«
»Ich weiß«, gab er zurück und zog an ihrem Haar, in dem er seine Hand vergraben hatte.
»Du arroganter Arsch!«, japste sie und schlug gegen seine Brust, doch insgeheim gefiel es ihr doch, wie arrogant er war.
Charles grinste sie an. »Willst du was essen? Komm, ich mach uns ein paar Nudeln«, schlug er schließlich vor und hievte sich hoch, zog sich jedoch im Gegensatz zu Angel keineswegs wieder seine Sachen an, sondern stolzierte splitterfasernackt durch die Wohnung.
Angel blieb im Bett zurück und atmete trunken den Geruch seines Kissens ein.
Charles vergewisserte sich noch einmal, dass sie auch wirklich im Zimmer blieb und verschwand schließlich im Keller, ging hinab und fand sich an diesem feuchten dunklen Ort schließlich in seinem Reich wieder. Sofort nahm er das leise, gequälte und gepeinigte Wimmern von Mrs Grunberg wahr. Es war wie Musik in seinen Ohren und er bewegte mit Leidenschaft seine Finger hin und her, als würde er ihr Wimmern dirigieren. Und genau genommen tat er das ja auch.
»Mrs Grunberg!«, trällerte er erfreut und bog um die Ecke, wo er die fette, alte Dame vorfand, die Haut ihres Gesichts vom Knochen getrennt und schlaff herabhängend, aus ihren Wunden triefte nur so das Blut und Fliegen fanden bereits Gefallen an der Öffnung in ihrem Schädel.
Charles fand es wirklich faszinierend, was ein menschlicher Körper alles aushalten konnte, bevor er starb. Es war eine exzellente Wahl gewesen, einen Menschen für seine Ausgeburt zu erwählen.
Die Frau wimmerte und wimmerte, konnte aber keinen Laut von sich geben, dank des Tuchs, das er ihr zur Vorsorge in den Mund gestopft hatte. Er würde sie jetzt umbringen, sie gewissermaßen sogar erlösen, das wusste er und Charles freute sich darauf, wie ein Kleinkind sich auf seinen Pudding freute. Andere brauchten das Atmen, um zu Überleben und er brauchte nur den Tod, was auf eine bizarre Weise eine gewisse Ironie barg.
»Es ist gleich vorbei, Mrs Grunberg, keine Sorge.« Er nahm von einer der Ablagen ein riesiges funkelndes Messer - sein liebstes -, löste ihre Fesseln, schleifte sie zum Abfluss und sah ihr in die traurigen Augen, die jetzt das letzte Mal das Privileg besaßen, etwas zu erblicken. Und das sollte er sein. Er war das Letzte, das diese Frau sah.
»Wir begegnen uns wieder, Mrs Grunberg, ganz sicher. In der Hölle.« Mit diesen Worten setzte er das Messer an ihre Kehle und durchschnitt ihre Halsschlagader. Sofort ergoss sich das Blut in den Abfluss und er ließ ihren fetten Körper auf den Boden fallen. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, sich zu ihr zu legen und in ihren letzten Minuten bei ihr zu sein, ehe sie ausgeblutet war, aber dann würde Angel ihr Blut an seinem bloßen Körper erblicken. Denn er wusste, wie genau sie immer hinsah, wenn er nackt war, weil er einfach alles wusste. Weil er der Teufel war.
In der Hütte herrschte für einige Momente vollkommene Totenstille, ehe Rayna sich fing und das Wort ergriff. »Das war eine von Shepards Pistolen«, stammelte sie mühsam. »Sie hat uns erzählt, dass sie welche besitzt. Für den Fall eines Angriffs.«
»A-Aber niemand weiß, wo sie das Zeug versteckt!«, japste Spencer, die bei dem lauten Knall aufgesprungen war und mit völlig verheulten Augen entsetzt zu ihrer Freundin blickte.
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