1 ...7 8 9 11 12 13 ...27 »Also, was passiert jetzt? Bringst du mich in dieses Camp?«
Sie nickte. »Unsere…Leiterin wird dich willkommen heißen und du wirst die anderen kennenlernen und dann—«
»Moment – andere?«
»Wir sind insgesamt zehn, glaube ich. Eigentlich viel zu wenige. Aber wir können eben nicht alle finden.«
»Und was denkt ihr, ist uns passiert? Also denen, die das auch haben?«
Sie zögerte und sah ihm dann fest in die Augen. »Glaubst du an den Teufel?«
Sie fuhren so lange, dass Evan irgendwann den Überblick darüber verloren hatte, wo sie lang fuhren. Violet sagte ihm, dass es nicht mehr weit war. Aber das hatte sie vor circa zwei Stunden bereits gesagt.
Evan döste mit dem Kopf an die Fensterscheibe gelehnt, als sein Handy klingelte – Preston rief ihn an. Es war jetzt halb sechs Uhr morgens. Wieso rief er ihn jetzt an? Irgendetwas musste passiert sein.
Er nahm ab. »Pres, alles in Ordnung?«
»Ich werde ihn töten! Er wird sterben!«, ertönte am anderen Ende der Leitung eine ihm unbekannte Männerstimme.
»Wer ist da!? Wer spricht da!?«, wollte Evan wissen, doch es kam keine Antwort mehr. Und als er erschrocken zu Violet blickte, saß sie nicht mehr am Steuer. Sie war weg und das Auto geriet ins Schlittern. Er griff sofort nach dem Lenkrad und riss es herum.
»Evan, stopp!«, ertönte plötzlich Violets Stimme und dann sah er sie wieder dort sitzen. Sofort ließ er das Steuer los und Violet konnte sie gerade noch so vor einem Unfall bewahren.
Heftig atmend presste Evan sich in den Sitz. »T-Tut mir so leid«, stammelte er und versuchte, seine schwere Atmung in den Griff zu kriegen. »Die Träume vermischen sich mit der Realität.«
Stirnrunzelnd blickte sie ihn an. »Bei dir scheinen die Visionen um einiges heftiger zu sein, als damals bei mir.«
»Du bist auch nicht für die Ermordung deiner Freunde verantwortlich, Violet.«
Die Nacht war schwarz und düster, sie hatten die verlassenste Gegend erreicht, die Evan in Brighton je gesehen hatte. Violet parkte den Wagen am Rande eines riesengroßen Campingplatzes, neben einigen weiteren Autos. Der Platz, der sich vor ihnen erstreckte, schien bis auf einige Holzhütten und ein paar Zelte sehr verlassen. Evan glaubte, etwas weiter hinten einen kleinen See ausmachen zu können und sah ein Lagerfeuer brennen. Das musste das Angelus Clamor sein.
»Bereit?«, fragte Violet.
Evan nickte. »Ich will diese Visionen loswerden.«
Sie stiegen aus, Evan holte seinen Rucksack und nahm sofort einige Stimmen wahr, die vom Campingplatz ausgingen. Er folgte Violet näher an die kleine Siedlung heran, aber als sie fast da waren, hielt sie inne.
»Warte hier. Ich hole Mrs Shepard. Sie will bestimmt erstmal mit dir sprechen.«
Er nickte und Violet eilte davon. Nervös tippte Evan mit dem Fuß auf dem Boden auf und ab. Er konnte das alles noch nicht so ganz wahrhaben und hatte ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. Wie würde Violet das mit seinem Chef regeln? Das war unmöglich. Er würde definitiv seinen Job verlieren. Er würde kein Fotograf mehr sein, obwohl ihm so viel daran lag.
Evan beobachtete, wie Violet in eine der Holzhütten lief und nach ein paar Minuten gemeinsam mit einer älteren Dame wieder heraustrat und auf ihn zukam. Als sie direkt vor ihm standen, bemerkte er die Anmut dieser Frau. Sie war sehr groß gewachsen, hatte silbern leuchtendes Haar, tiefgrüne Augen und ein äußerst faltiges wenn auch elegantes Gesicht. Sie war gehüllt in ein rosafarbiges bodenlanges Kleid, das sie wie eine Hohepriesterin wirken ließ. Sie lächelte ihn offen an, mit einem gewissen Funkeln in den Augen.
»Evan, das ist Mrs Mary-Alice Shepard, Mrs Shepard, das ist Evan Randall«, stellte Violet sie einander vor.
Die alte Dame streckte ihm ihre dürre Hand entgegen und er schüttelte sie zögernd.
»Ich bin sehr froh, dass du hier bist, Evan Randall«, sagte Mrs Shepard. In ihren Augen flackerte etwas auf. »Violet ist der Meinung, dass du zu uns gehörst. Aber um das vollständig festzustellen und auch um unser Vorhaben nicht zu gefährden, musst du mir dringend einige Fragen beantworten.« Die Alte sprach langsam und mit Bedacht.
»In Ordnung.« Evan runzelte die Stirn. Welches Vorhaben? Was waren das hier für Leute?
»Aber du bist müde und ausgelaugt. Wir geben dir einen Platz zum Schlafen. Und später unterhalten wir uns, ja?«
Evan nickte. »Sehr freundlich.« Ihm schwirrte der Kopf.
»Violet, niemand soll ein Wort über unsere Aufgabe verlieren. Sag ihnen das. Ich rede noch mit unserem Neuankömmling«, sprach Mrs Shepard, Violet nickte folgsam und eilte wieder zum Camp.
»Ich will hoffen, dass Violet sich nicht in dir täuscht, Evan Randall. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht so ist.«
Er lächelte nervös. Was für eine Aufgabe war gemeint?
»Also nun, ich habe einige Angelegenheiten zu erledigen. Violet kann dich den anderen vorstellen. Sie wird gewiss am Lagerfeuer auf dich warten.« Mrs Shepard lächelte, nickte ihm zu und ging an ihm vorbei - zu einem der parkenden Autos.
Evan blies angestrengt die Luft aus und knackste nervös mit seinen Fingerknöcheln. Diese Situation war ihm nicht geheuer. Er war mit einer Frau hergefahren, die er kaum kannte und würde bei Leuten schlafen, die er überhaupt nicht kannte. Aber jetzt blieb ihm keine andere Wahl, als zum Camp zu gehen.
Der Geruch des Feuers lag in der Luft und die Flammen knisterten. Niemand war draußen, außer Violet und einem Mann; beide standen am Lagerfeuer.
»Hey! Evan, das ist Julian.«
Die Männer schüttelten sich die Hände. »Hi.«
Das war also derjenige, der Violet vor ihren Erinnerungen gerettet zu haben schien.
»Ich führ dich mal rum und stell dich allen vor«, meinte Violet. »Jules, wir sehen uns nachher.« Sie warf ihm ein verliebtes Lächeln zu und steuerte nun mit Evan eine der Hütten an.
»Was ist das hier für ein Ort?«, hakte Evan nach.
»Ein Zuhause.«
»Tja, ich hab aber schon eins.«
»Hör zu, ich darf dir nichts erzählen. Morgen erfährst du mehr.« Violet klopfte einmal an die Tür der Hütte und öffnete sie dann. »Aidan? Ryck?«, rief sie.
»Da ist also der Neue«, gab eine männliche Stimme zurück.
Sie traten ins Innere. Dort befanden sich Betten, Kommoden und lauter Krimskrams. Es war sogar sehr gemütlich eingerichtet und ein paar Kerzen spendeten warmes Licht. Evan war irgendwie überrascht. Das hier war mehr als nur ein Camp. Violet hatte vielleicht recht: Es wirkte tatsächlich, als könnte dieser Ort für manche ein echtes Zuhause sein.
»Leute, das ist Evan Randall«, verkündete Violet.
»Aidan Travis«, sagte der Größere der beiden Typen, die Evan etwas älter schätzte als sich selbst, streckte sich und schüttelte ihm die Hand.
»Deryck Silas«, stellte der andere sich vor - Ein Glatzkopf mit schauerlichen Augen und einem genauso schauerlichen Grinsen.
»Er wird auch herziehen.«
»Und später wird er von Shepard begutachtet?«, fragte Aidan und ließ sich lässig auf eines der Betten fallen.
»Sie wird ihn nehmen, keine Frage.«
»Was hast du denn verbrochen?«, wollte Deryck wissen.
Evan zögerte.
»Schon gut, sag’s einfach. Wir haben hier alle keine weiße Weste mehr. Deswegen sind wir ja hier.«
»Ich würde … lieber nicht darüber sprechen.«
Aidan zuckte mit den Schultern. »Wirst du früher oder später sowieso müssen.«
»Wir sehen uns dann beim Frühstück«, meinte Violet.
»Bis dann.«
Sie verließen die Hütte und betraten schließlich eines der großen Zelte. Dort fanden sie einen weiteren Mann vor, der im Schneidersitz auf seinem Schlafsack saß und gerade etwas auf einen Skizzenblock zeichnete. Evan fiel augenblicklich seine unübersehbare Anmut auf. Wie er da fast schon königlich saß; seine goldenen Haare fielen nach vorn und er hatte schrecklich lange Wimpern. Er sah aus wie einer dieser klassischen Schönlinge.
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