Wenig später lag das Untersuchungsergebnis über die Brandursache vor: Eine Mischung aus Fahrlässigkeit und technischer Unzulänglichkeit hatte zu dem Brand geführt. Die Deckenlampe war direkt an das verputzte Strohgeflecht geschraubt worden - ohne wirksame Wärmeisolierung. Die starke Glühbirne hatte den Deckenbereich aufgeheizt und einen Schwelbrand ausgelöst. Also keine Sabotage, doch Hans Mahle musste auf der symbolischen Armesünderbank verbleiben. Für eine gewisse Zeit nach Schwerin geschickt, zur Bewährung in der Produktion , wie es damals hieß, blieb er später, wo er seinen Platz sah: Politisch unbeirrbar links, geografisch weiterhin in Westberlin. Im Mai 1999, mit achtundachtzig Jahren, ist er in Berlin-Steglitz verstorben.
Sein Nachfolger im FERNSEHZENTRUM erhielt vom Leiter der Abteilung Information beim Zentralkomitee der SED, Hermann Axen, den Auftrag, ungeachtet des Rückschlags durch den Brand eine erste, kleine Fernsehredaktion aufzubauen.
Nun gab es im Berlin des Jahres 1952 nicht nur drei-plus-eins Sektoren mit zwei Währungen, sondern auch zwei Fernsehtestsender. Bereits am 6. Oktober 1951 war auf dem in Westberlin stehenden Funkturm ein 1-KW-Sender in Betrieb genommen worden. Als Bundeskanzler Adenauer am 25. Oktober 1951 die Berliner Industrie-Ausstellung für eröffnet erklärt hatte, galt das auch für die erste deutsche Fernsehstraße , die täglich Tausende von Besuchern in ihren Bann zog. Das dort gezeigte Programm stammte aus den bereits sendetüchtigen Hamburger Studios des NWDR und wurde per Richtfunkstrecke über das Gebiet der DDR hinweg nach Westberlin gestrahlt.
In Hamburg hatten sich auch einstige Programmgestalter des großdeutschen REICHSFERNSEHENS zusammengefunden. Dr. Werner Nestel, der den Krieg als Leiter der Abteilung Groß-Sender und als Prokurist des Telefunken-Konzerns überdauert hatte, war 1948 bereits technischer Direktor des gerade gegründeten Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) . Ein konstruktiver Kontakt zu Hugh Greene, dem von der englischen Militärbehörde eingesetzten Rundfunk-Koordinator ermöglichte es ihm, sich das gleichfalls als kriegswichtig vor dem Fronteinsatz bewahrte Personal der ehemaligen Reichspost-Fernsehgesellschaft nach Hamburg zu holen. Man war also bereit, ihre Verantwortlichkeiten aus ihrer früheren Tätigkeit zu übersehen. Sie durften die einst gewonnenen Erfahrungen für eine neue Zielstellung einbringen und zogen in einen Luftschutzhochbunker, der recht einsam zwischen Trümmern auf dem Heiligengeistfeld im Stadtteil Lokstedt stand. Dort trafen sie auf einstige Autoren, Redakteure und Regisseure des REICHSFERNSEHENS. Gemeinsam konnten sie sich ihre Zukunft unter dem Dach der damals reichsten Rundfunkanstalt der Westzonen sichern.
Die winzige Ostberliner Fernsehredaktion bestand dagegen ausschließlich aus jungen Mitarbeitern des Hörfunks. Experten mit Erfahrungen aus der Programmarbeit beim Fernsehsender des GROSSDEUTSCHEN RUNDFUNKS gab es im Bereich der sowjetischen Besatzungszone nicht. Nur einige wenige Techniker um den Oberingenieur Ernst Augustin konnten auf fernsehelektronische Spezialkenntnisse aus früherer Zeit zurückgreifen. Sie aber konzentrierten sich auf den Bau von zunächst einem Fernseh-Dia-Geber, einem Fernseh-Filmabtaster und der vielgestaltigen Begleittechnik.
Was mit den vorgegebenen Mitteln zu gestalten war, lag für die kleine Redaktionsgruppe entweder auf der Hand oder sollte nach dem Prinzip Versuch und Irrtum herausgefunden werden. Noch schien es dafür ausreichend Zeit zu geben. Die jungen Leute vermochten sich nur mit vereinter Phantasie auszumalen, was eines Tages möglich sein würde, denn von einer einsatzfähigen Studiokamera konnte man in Berlin-Adlershof zu diesem Zeitpunkt nur träumen. Man wollte folglich - eines nach dem anderen - die sieben Siegel des noch rätselhaften Mediums Fernsehen lösen. Dann aber kam alles ganz anders.
Am 3. Juni 1952 ließ Kurt Heiß, Generalintendant des DDR-Rundfunks, den neuen Leiter des FERNSEHZENTRUMS BERLIN zu sich kommen und eröffnete ihm: "Wir müssen morgen anfangen zu senden, so, als ob wir ein richtiges Programm haben! Wir müssen jetzt jeden Tag mit mehr als einer Stunde draußen sein zu einer feststehenden Zeit, um die Frequenz zu belegen, die uns auf der Internationalen Wellenkonferenz zugeteilt worden ist." (1)
Noch am selben Abend löste Wolfgang Kleinert einen Rundruf aus, und der folgende Tag wurde zu einem, die künftige Programmarbeit bestimmenden Arbeitstag. Wie konnte ein sofort realisierbares Notprogramm aussehen? Eine Fernsehkamera in einem einsatzfähigen Studio gab es noch nicht. Das vorhandene Ikonoskop war für einen Einsatz am Dia-Geber oder als elektronischer Bildabtaster an einem Normalfilmprojektor ausgelegt worden. Man konnte also Diapositive übertragen und Filme ausstrahlen, komplett allerdings nur Kurzfilme, denn in den einen Projektor passten nur Zelluloidrollen von knapp zwanzig Minuten Spieldauer. Große Spielfilme hätten also aktweise , mit Pausen für den Rollenwechsel, gesendet werden müssen. Das Problem stellte sich jedoch nicht, denn das FERNSEHZENTRUM verfügte für die bisherigen Testzwecke alles in allem lediglich über drei Kurzfilme: Einen über das Segelschulschiff der DDR, einen mit dem vielversprechenden Titel Pferde und dann noch einen über die Gebote der Zahnpflege. Kein umfangreiches, dazu noch ein sehr gemischtes Angebot. Es fehlte der unverwechselbar eigene Beitrag.
Ein markantes Ereignis vom Vortag bot sich als Lösung an: In den Frühstunden des 3. Juni hatte britische Militärpolizei den Gebäudekomplex des Funkhauses an der Masurenallee abgeriegelt.
Ende April 1945, während der letzten Kriegstage, war der Gebäudeblock, Haus des Rundfunks genannt, von den sowjetischen Sturmtruppen nicht mit schweren Waffen beschossen worden. Man kannte die Funktion des Gebäudes und wollte es möglichst unversehrt übernehmen. Nach dem Abzug der letzten deutschen Truppen am Morgen des 2. Mai 1945 hatte erst die Rote Armee, dann die Militäradministration der UdSSR die Oberhoheit über das wertvolle Terrain ausgeübt. Die sowjetische Seite behielt auch nach der Übergabe der Berliner Westsektoren an die Westalliierten das Hoheitsrecht für diesen Komplex, der sehr bald dem sowjetisch lizenzierten BERLINER RUNDFUNK und etwas später dem gleich gelagerten DEUTSCHLANDSENDER zur Verfügung gestellt worden war.
Dass die Sender des Ostens noch Jahre nach der Spaltung Berlins ihr Programm aus der Mitte der Westsektoren verbreiteten, missfiel den Repräsentanten der Westmächte. Da verbale Forderungen auf der Ebene der Stadtkommandanten nichts verändert hatten, wählte die britische Besatzungsmacht den Weg einer militärischen Abriegelung als Reaktion auf eine seit Mitte Mai vorgenommene stärkere Abgrenzung Westberlins von seinem Umland. Man durfte damit rechnen, dass über Nacht der größte Teil der Funkhaus-Belegschaft abwesend war. Dies schien die beste Voraussetzung dafür zu sein, die beiden unerwünschten Sender endlich verstummen zu lassen. General Coleman hatte angewiesen, dass "... niemand, auch kein sowjetischer Militärangehöriger, das Gebäude betreten dürfe, [jedoch]... Personen, die das Funkhaus verlassen wollen, ungehindert passieren zu lassen." (2)
Am Tag nach der Militäraktion am Haus des Rundfunks sahen es die Adlershofer Kollegen der nun Ausgesperrten als selbstverständlich an, ihr erstes Abendprogramm mit Bildnachrichten von diesem hochbrisanten Ereignis zu beginnen. Also setzte sich Wolfgang Kleinert mit Erich Zühlsdorf, dem Fotoreporter der Täglichen Rundschau , in Verbindung. Er und weitere Fotografen waren bereit, sofort und von nun an täglich, aktuelles Fotomaterial zu liefern. Kein Wunder, für jedes zur Sendung angekaufte Foto erhielten sie fünfzig Mark. Das konnte sich bei den Bildserien, die für Fernsehnachrichten gebraucht wurden, recht schnell summieren.
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