Felix Leitner
TERM
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Inhaltsverzeichnis
Titel Felix Leitner TERM Dieses ebook wurde erstellt bei
Wieder ein Alter
Das Ende des Fleischdeputats
Der 99. Geburtstag
Rebellisches Verhalten
Der Nachhaltigkeitskoeffizient
Das Institut für Allgemeine Wohlfahrt
Sklaverei und Shave Ice
Farbball
Atlantic Mule III
Den Teufel austreiben
Überfall
Unabhängigkeitstag
Zombies im System
Der Unsterblichkeitsflügel
Terms Italienreise
Organverschleiß
Jack
Die Drei vom Drogenlabor
In der Besinnungsecke
Camp Regenbogen
Bestrafung
In der deindustrialisierten Zone
Die Verlassenen
Die Kinder der AW
Die Vorzüge einer ökologisch-gerechten Gesellschaft
Magazinverbrennung
Revolution im Wald
Vorbereitungen
Abschied
Der Instrumentenwagen des Todes
Atlantiküberquerung
Epilog
Impressum neobooks
Der Polizist ließ ihn vor einem weißgestrichenen Mehrparteienhaus aussteigen. Es hatte noch die großen, rechteckigen Solarzellen auf dem Dach. Die veralteten Zellen mussten bestimmt über dreißig oder vierzig Jahre alt sein. In der Schule hatte Term gelernt, dass die Energiewende nur gegen einen enormen Widerstand in Industrie und Gesellschaft erreicht worden war. Term verstand das nicht. »Macht und Geld«, hatte Terms Vater den langen Kampf um die Energiezukunft kommentiert. Für Term waren Elektroautos und Solarzellen auf dem Dach normal wie sein Instant-Milchschaum-Kakaocaramel-Drink am Morgen – selbstverständlich zuckerfrei, biologisch angebaut und nachhaltig produziert.
»Ich melde mich bei dir. So Sprüche wie »Stadt oder Land nicht verlassen« können wir uns ja schenken«, Berg lachte tief. Der silbergraue E-Wagen summte leise davon.
Term suchte die Klingel- und Sprechanlage ab. Raphael Luks. Etagenwohnung. Die Kamera zoomte beinahe unhörbar. »Wer ist da«, raunte ihn eine alte Stimme an.
»Was für eine blöde Frage. Sie sehen mich auf ihrem Display und daneben blendet ihnen die Software meinen Namen ein. Ihre Sicherheitsidentifizierung müsste mich längst erkannt haben.«
»Und?«
Term seufzte laut. »Ich bin Term. Ihr Lebensunterstützer.« Term wollte kotzen.
Es klickte leise und die große, massive graue Eingangstür öffnete sich langsam wie ein ägyptischer Grabstein. Gebückt trat Term ein. In der Eingangshalle befand sich ein hochmoderner Aufzug. Aufzüge für Rollstuhlfahrer waren ja stinknormal und gesetzliche Pflicht, aber mehr und mehr wurden diese breiten Aufzüge noch weiter verbreitert. Lebenswagen, mobile Betten und der Lieferservice für die Alten brauchten Platz. Ein Klicken hallte einsam über die weißen Kacheln. Die einzige Tür in der Etage hatte sich geöffnet. Term atmete ein. Er wollte noch eine Lunge voll frischer Luft mitnehmen.
Braunes Papier, trockenes Moor, kalter Kompost und abgestandenes Parfüm: so rochen für Term die alten Menschen. Obwohl Luks‘ Appartement verdammt modern eingerichtet war, haftete dieser Geruch an den Wänden und Möbeln. In jedem Raum gab es ein Display, mit dem alle Funktionen des Hauses per Fingerdruck reguliert werden konnten. Aber dieser Standard wurde von den kleinen Sensorboxen noch getoppt. Getarnt als kleine schwarze Kunstwerke, schwarz-spiegelnde Pyramiden, Mini-Skulpturen oder ebenso schwarze Vasen mit weißen Steinen reagierten die Sensorboxe auf Stimme, Wärmegrad und Luftgehalt der Wohnung.
»Computer: Regen.«
Ein tiefes Piepsen ertönte. »Programm nicht vorhanden.«
»Beweg dich zum Wohnzimmer. Und lass den Unsinn«, mahnte ihn der Alte aus einem Lautsprecher an. Das ganze Appartement war hell weiß gestrichen. Die wenigen Möbel waren aus Stahlsilber. Die Schränke und Regale in die Wände eingelassen, so dass Eingang und Zimmer wie weite Flure wirkten. Term fand das modern-schick, wusste aber, dass dahinter ein praktischer Grund steckte. Es gab keine Hindernisse für den Bewohner und die Notärzte mit ihren Rollbetten, wenn sie schnell in die Wohnung mussten. Silber eingerahmte Aufnahmen in Übergröße hingen an den Wänden. Sie zeigten einen Mann, um die vierzig, weites Lächeln, kräftiges schwarzes Haar auf einer Wanderung durch den tropischen Regenwald. Der Mann auf den Bildern hatte ein markantes Kinn, breite Schultern und einen stolzen Blick. Ein anderes Foto zeigte ihn dick eingemummt in einen roten Polaranzug irgendwo in einer Eiswüste. Term war sich sicher, dass es derselbe Mann war, da das Kinn unter der dicken Schutzbrille und dem flauschigen Anzug hervorspitzte.
Das Wohnzimmer war gigantisch und quadratisch im Grundriss. Ein Flachbildschirm wie in einer Kommandozentrale war an der Wand befestigt. Hauchdünn wie ein Blatt Papier. Auf dem Bildschirm lief links in einer Spalte eine Dauernachrichtensendung und darunter wurden Uhrzeit und Datum eingeblendet. Der Rest des Bildschirms füllte eine Kochshow aus. Zu den anderen drei Seiten war der quadratische Raum offen. Durch die Fenster sah er zwei kleine Mädchen im Garten spielen.
Term kam vom Eingang, links ging es offensichtlich zu Schlafzimmer und Küche und rechts war eine Fensterwand installiert, die aber leider verdunkelt war. In der Mitte des Raumes stand ein schwarzer Sessel. Die Armlehnen waren bestimmt so breit, man hätte einen Teller abstellen können, ohne dass er über die Lehne ragen würde. Das Leder glänzte noch wie im Möbelhaus.
Das Erste, was Term von Luks sah, war sein Lebensbaum. Basierend auf der Tropfinfusion und der dazugehörigen schiebbaren Halterung hatten Ärzte und Techniker ein modulares Gerüst entwickelt. Bei Luks waren ein Organunterstützer, Flüssigkeits- und Nahrungsregulatoren und eine Ersatzbatterie für die eingebauten Körpermodule eingehängt. Standard bei einem über Hundertjährigen.
»Du bist fünf Minuten zu spät. Der Polizeiwagen hatte dich aber pünktlich vor meinem Haus abgesetzt.« Der Alte musste mit seinen Kameras die ganz Zeit seinen Eingangsbereich ausspioniert haben. »Was denkst du dir dabei, wenn du so herumtrödelst?«
»Selbst der ferngesteuerte Straßenverkehr ist spannender als ihre bescheuerten Kochshows.« Term und Luks musterten sich voller Abneigung füreinander. Von Luks‘ prominentem Kinn, schwarzen Haaren, nicht mal von seinem Grinsen auf den Fotos war etwas übergeblieben. Das Gesicht war langgezogen und seine Wangenknochen hingen die dünne Haut wie ein Nagel einen Bilderrahmen auf. Feine Operationsnarben oberhalb der Schläfen verrieten, dass die ganze Kopfhaut gestrafft worden war, damit sie nicht auch noch über die Augen hängen würde. Die Zähne waren geradezu lächerlich gesund. Das künstliche Gebiss strahlte kräftig weiß, wie bei einem jungen Menschen, der nie einen Tropfen Tee, Kaffee oder Wein getrunken hatte. Es fiel beinahe aus der hängenden Mundhöhle heraus. Nur Luks‘ Bick zeigte noch Verwandtschaft mit dem Mann auf dem Foto. Sein stolzer Blick hing erstarrt in seinen farblosen Pupillen fest, wie ein abgestürzter Computer.
»Haben Sie Großenkelinnen?« Außerhalb seiner Wohnung zerrten und umarmten sich spielerisch zwei kleinen Mädchen. Ihre Haare waren wenige Millimeter kurz geschnitten und gefärbt.
»Im Altersheim wurde eine staatliche Grundschule integriert. Die Viertklässler haben Pause und können sich einfach nicht ruhig verhaaaa … verhalten«, setzte Luks zu einem Schrei an, der so stark wie ein alter, kranker, ausgemergelter Hund war. Die Kinder im Garten nahmen seinen Protest nicht wahr.
»War das ein Brüller«, lachte ihn Term aus.
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