X u q i a n g Z h e n g
Die Geschichte
eines "deutschen" Beamten
Der lange Weg in eine neue Heimat
Dieses Buch ist meiner ehemaligen Lehrerin an der Schule für Sehbehinderte gewidmet, die wie eine Mutter zu mir war, und den Menschen, die uns freundlich aufgenommen haben.
Dem deutschen Staat sowie den Hilfsorganisationen, die mir den Weg für ein neues Leben geebnet haben.
Vorwort
Beamter? Was ist das? Nicht einmal zu der Zeit, als ich das Gymnasium in Marburg besuchte, kannte ich die Bedeutung dieses Wortes. Mit der Bezeichnung „Beamter“ verband ich nur die Berufsgruppe Polizei. In meiner Kindheit hatte ich überhaupt keine Berührungspunkte mit Behörden. Oder vermutlich war ich auch nur zu klein, um solche Dinge wahrzunehmen oder zu verstehen. Die einzigen Beamten, die ich damals in Kambodscha zu Gesicht bekam, waren Polizeibeamten, oder waren es doch Soldaten? Sie trugen eine Uniform. Daher trugen in meiner Vorstellung alle Beamten eine Uniform. Ich wusste nicht, dass auch Beamten in einer Behörde arbeiteten und ganz normal bekleidet sein konnten. Die Bedeutung des Wortes wurde von mir fehlinterpretiert und mir kam es zunächst gar nicht in den Sinn eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen. Ganz im Gegenteil. Ich hasste Fächer wie Politik oder Gesellschaftskunde. Im Fach Politik fand ich den Unterricht so langweilig und unverständlich. Die Gesetzestexte, mit denen ich in Berührung kam, waren abstrakt und schwer zu verstehen. Ich kann mich noch an eine Stunde erinnern, in der ich einen Gesetzestext lesen musste. Vor lauter Verweisen und Einschüben verlor ich mich in den Zeilen und verstand dadurch kein Wort.
Seit der Ankunft in Deutschland am 5. September 1979 kam ich öfter mal mit Ärzten in Berührung. Wegen meiner starken Sehbehinderung folgte eine Operation nach der anderen an den Augen, zunächst ohne durchgreifenden Erfolg. Deswegen war ich zunächst auf diesen Beruf fixiert. Ich wollte Arzt werden. Ich wollte Menschen helfen, den Armen und den Kranken in meiner Heimat. Das Elend und die Hilflosigkeit musste ich selbst am eigenen Leibe miterleben, damals während der Zeit des Pol Pot Regimes zwischen 1975 und 1979. Während dieser Zeit töteten die Roten Khmer systematisch alle Intellektuellen. Sie evakuierten die Städte und machten sie zu Geisterstädten. Der Handel wurde verboten, Krankenhäuser und Schulen geschlossen. Während dieser Zeit verlor ich aufgrund einer banalen Augenentzündung das Augenlicht, weil eine medizinische Versorgung nicht mehr existierte. In dieser Zeit starben zwei bis drei Millionen Menschen, was etwa 10% der Gesamtbevölkerung Kambodschas entsprach. Unter ihnen befand sich mein ältester Bruder Limzang, den ich zum letzten Mal im Jahre 1975, kurz vor der Machtergreifung durch das Pol Pot Regime, sah. Auch er wurde von den Soldaten Pol Pots ermordet.
Ich habe das Elend noch genau vor Augen. Hilflose, kranke Menschen, denen niemand half oder helfen konnte, weil sie selbst nichts besaßen und selbst ums Überleben kämpften. Abgemagerte und kranke Kinder mit kugelrund aufgedunsenen Bäuchen, wie Hochschwangere, die wie lebende Skelette aussahen, in deren Gesichtern zwei tiefe Augenhöhlen, in denen man nur zwei ausdruckslose Augen erblickte. Diesen Menschen in meiner alten Heimat wollte ich helfen, nachdem ich selbst mit sehr viel Glück aus dieser Heimat entfliehen konnte. Doch diesen Gedanken musste ich verwerfen. Wie sollte ein Mensch, der selbst krank war, anderen Menschen helfen können? Wie sollte ich mit meiner Sehschwäche einen Menschen behandeln können? Wie könnte ich eine Spritze an der richtigen Stelle setzen, wenn ich die Stelle nicht richtig erkennen konnte?
Auch während meines einjährigen Aufenthaltes in den USA, im Rahmen eines Schüleraustauschprogramms mit der Overbrook School for the Blind in Philadelphia im Jahre 1989, wusste ich noch nicht, dass ich eines Tages ein "deutscher" Beamter werden würde. Zu dieser Zeit hatte ich die Idee, Arzt zu werden, bereits aufgegeben. Nach einem Besuch bei der UN in New York war ich inspiriert und wollte nun Dolmetscher werden; und zwar ein Simultan-Dolmetscher, weil es mich so beeindruckte, wie einer der Dolmetscher beim Dolmetschen einfach so losredete, als ob er die Rede selbst verfasst hätte. Doch nachdem ich mich nach meiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten von Amerika eine Weile damit beschäftigte, las ich in einer Broschüre der Agentur für Arbeit (damals noch Arbeitsamt), dass "Fleiß für diesen Beruf" nicht ausreichen würde. Um Simultan-Dolmetscher zu werden, müsste man begabt sein. Begabung zu sprechen? Ich? Nein, niemals. "Du bist aber langweilig. Du sagst ja nichts!", musste ich mal von einer angehenden Erzieherin zu hören bekommen. Meine Frau sagte mal zu mir: "Wenn du dich nicht bewegen würdest, könnte man den Eindruck bekommen, du wärst ein Bild, still und stumm ohne einen Ton.“
Damit war auch diese Idee gestorben. Nur wie sagt man? Aller guten Dinge sind drei. Oder auch nicht. Während meines einjährigen Amerikaaufenthaltes lernte ich viel über Computertechnologie und natürlich auch die Sprache Englisch. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland sprach mich aufgrund meiner guten Englischkenntnisse meine Englischlehrerin, eine mit einem Deutschen verheiratete Schottin, deswegen an und bat mich, einigen ihrer Schüler*innen Nachhilfe in Englisch zu geben. Obwohl ich keine Begabung fürs Sprechen habe, reichte die vorhandene Sprachfähigkeit offensichtlich aus, um jemandem etwas beizubringen. Das tat ich gerne und ich ging - man glaubt es kaum - bis zum Ende gerne zur Schule. Daher war mein dritter Berufswunsch Lehrer zu werden. Doch auch diesen Wunsch musste ich aus ökonomischen Gründen aufgeben. Denn aufgrund der Tatsache, dass ich erst mit 13 Jahren eingeschult wurde und den gymnasialen Zweig durchlief, bekam ich mein Abiturzeugnis trotz des Umstandes, dass ich eine Klasse übersprungen hatte, erst mit 25 in die Hand gedrückt. Noch acht bis dreizehn Semester und zwei Jahre Referendariat dranhängen wollte ich nicht. So lange wollte ich nicht in finanzieller Abhängigkeit bleiben. Ich wollte sobald wie möglich mein eigenes Geld verdienen und nicht weiter auf den Staat angewiesen sein.
Im Rahmen der Berufsberatung durch die Agentur für Arbeit kam ich mit dem Beruf "Verwaltung" in Berührung. Eine Berufsberaterin, deren Spezialgebiet offensichtlich die öffentliche Verwaltung war, denn den meisten Schüler*innen schlug sie den Beruf Verwaltungsfachangestellte*r vor, vermittelte mir einen Praktikumsplatz. Während der Sommerferien nahm ich daher an einer Berufsfindungswoche mit Schwerpunkt "Verwaltung" in Veitshöchheim bei Würzburg teil und fand Gefallen daran. Daher wurde ich nach Beendigung der Schule und bestandener Diplomprüfung an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Münster zum "deutschen" Beamten.
Kapitel I
Nach einer Legende existierten in der chinesischen Astrologie 13 Tierkreiszeichen. Um mit ihnen zu feiern, lud Buddha sie eines Tages zu einem Fest ein. Er beauftragte die Maus, die hier zu Lande auch als Ratte genannt wird, den anderen Tieren davon zu erzählen. Wie es ihr aufgetragen wurde, erzählte die Maus den anderen Tieren vom Fest. Weil sie die Katze ärgern wollte, gab sie ihr jedoch gegenüber einen späteren Tag an. So geschah es, dass alle Tiere bis auf die Katze zum Fest erschienen. Als Geschenk bekamen Maus, Ochse (bzw. auch als Büffel bekannt), Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege (bzw. Schaf), Affe, Hahn, Hund und Schwein jeweils ein Jahr zugeteilt. Das erste Jahr bekam die Maus. Auf dem Weg zum Fest ritt sie auf dem Rücken des schnellen Ochsen. Vor dem Ziel sprang sie vom Ochsen und stand als erstes Tier vor Buddha. Die Katze ging aber leer aus, da sie wegen der Maus den Festtag verschlief.
Einer anderen Legende zufolge liefen die Tiere den Weg zu Buddha um die Wette. Als sie zu einer Brücke kamen, gab die Maus der Katze einen Stoß, sodass diese ins Wasser fiel. Während die anderen Tiere weiterliefen, kletterte die Katze aus dem Fluss und trocknete ihr Fell an der Sonne. Deswegen kam zu spät zum Fest, und ihr wurde kein eigenes Jahr zugeteilt. Die Feindschaft zwischen Katze und Maus bestand daher seit dem Tag und das ist der Grund, warum die Maus von der Katze gejagt wird.
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