Ich sammelte Schnecken, deren Fleisch ich als Köder an einem Angelhaken aufspießte. Offensichtlich mochten die Fische das Schneckenfleisch, denn nicht selten hatte ich einen Fisch am Angelhaken. Ich versuchte Libellen zu fangen. Ich fand, dass sie einem Hubschrauber ähnelten, weil ihre Flügel so schnell vibrierten. Ich fing Kaulquappen und Goldfische, die ich in ein Glas tat, um ihnen beim Kämpfen zuzusehen. Im Vergleich zu den Kindern hier im Westen sind die Kinder dort unwissend. Es gibt keine Kindergärtner*innen, die ihnen die Natur oder das Leben erklären können. Auch die Mehrzahl der Mütter ist dazu nicht in der Lage, den Kindern solche Dinge zu erklären, da sie selbst kaum Bildung genossen haben. Manche Väter sind zwar zur Schule gegangen, jedoch waren sie mit dem Geldverdienen beschäftigt, sodass sie für die Bildung der Kinder keine Zeit hatten. So kam es, dass ich nicht wusste, was Kaulquappen sind. Ich hielt sie für Fische und wunderte mich, dass manche von ihnen hinten am Schwanz zwei Beine hatten.
Die Unternehmungen waren nicht ungefährlich gewesen. Neben Fischen, Fröschen und Schnecken lebten im Wasser auch Wasserschlangen, die sich oft über das Wasser schlängelten. Doch Gott sei Dank passierte bis auf manche schmerzvollen Erfahrungen, weil ich mit irgendwelchen Tieren oder Pflanzen in Berührung gekommen war, nichts.
Gegenüber unserem Haus war auf der anderen Straßenseite eine Ziegelei. Daneben war ein See mit einem großen Baum, der sich leicht über den See neigte, so als ob er etwas im Wasser betrachten würde. In dem See schwammen viele Enten. Vom Haus aus beobachtete ich manchmal, wie sie da schwammen und ab und an die Köpfe ins Wasser tauchten und ihre Hinterteile in die Höhe streckten. Damals wusste ich nicht, warum die Enten so etwas taten. Niemand konnte es mir erklären. Auch meine Mutter gab mir dafür keine Erklärung. Ich fand es nur lustig und versuchte es ihnen nachzumachen, jedes Mal, wenn wir in einem See badeten. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Die Folgen waren Hustenattacken und das Schnappen nach Luft, weil ich dabei Wasser verschluckte.
Unser Haus stand unmittelbar am Teich in einer kleinen Absenkung. Zum Schutz vor Hochwasser und vor Schlangen oder Skorpionen, die besonders in der Regenzeit vor der Nässe ins Trockene flüchteten, stand es auf Stelzen. Dies war eine gängige Bauweise auf dem Land. Vermutlich waren die Stelzen etwa zwei Meter lang, denn man konnte im Sommer ganz bequem unter dem Haus stehen, ohne sich den Kopf zu stoßen. Es wurde fast komplett aus Holz gebaut, das sich nach all den Jahren schwarz verfärbte. Die Treppe, die Wände und auch der Boden waren aus Holz. Nur das Dach wurde mit Wellblech abgedeckt, was sehr laut war, wenn der Regen darauf prasselte und sehr heiß wurde, wenn die Sonne darauf schien. Fenster besaß das Haus keine, Tageslicht kam lediglich durch die Türöffnungen. Von der Treppe aus gelangte man auf die breite Veranda. In den heißen Sommernächten war das der Treffpunkt der Familie, da es nicht selten vorkam, dass meine Tante Yi Nget mit ihren Kindern herüberkam. Im Schneidersitz saßen wir dort stundenlang im Dunkeln, um eine kühle Brise zu erhaschen. Das einzige Licht war der Schein des Mondes und das Funkeln der Sterne. Licht aus einer Petroleumlampe gab es nur im Haus, da meine Mutter meinte, dass das Licht draußen viel zu viele Mücken anziehen würde. Die Erwachsenen redeten und diskutierten. Die Kinder saßen dabei und schliefen irgendwann auf dem Schoß der Mütter ein. In solchen Nächten konnte man besonders die Ruhe spüren. Die Luft roch frisch. Der Mond schien, die Sterne funkelten am sternenklaren Himmel. In den Teichen waren die Konzerte der Frösche zu hören und überall zirpten die Grillen um die Wette. In der Stille hörte man das Plätschern der Fische im Wasser. Ab und an summte eine Mücke oder man bekam einen Stich. Nur das störte nicht.
Der Zugang zum Inneren des Hauses führte über die Veranda. Es bestand nur aus zwei Räumen, einem großen und, in der rechten hinteren Ecke gelegen, einen um eine Stufe abgesenkten kleinen Raum. Hier war die Küche untergebracht. Der große Raum diente gleichzeitig als Aufenthalts- und Schlafraum. Wie das Haus zu der Zeit, als nur meine Eltern dort wohnten, ausgestattet war, kann ich nicht sagen. Aber für die Zeit danach war der große Raum weder mit Betten noch mit Stühlen ausgestattet. Sitzen taten wir auf dem Boden, schlafen taten wir unter einem Moskitonetz auf dem mit Strohmatten ausgelegten Boden. Die Härte der Bretter spürten wir nicht. An der linken Wand standen zwei dickbäuchige große Tongefäße, die mich damals von der Höhe her überragten. Auf dem Boden des Gefäßes, in dem das Trinkwasser aufbewahrt wurde, war eine weißgelb schimmernde Koralle, die nach Aussage meiner Mutter das Wasser kühl und klar halten sollte. Wie das Wasser hinkam, hatte ich nie mitbekommen. Es war immer voll. Vermutlich wurde es von einem Wasserverkäufer direkt mit Behältern ins Haus gebracht. In dem anderen Gefäß befand sich der Reisvorrat, der in Kambodscha, und wie in fast jedem südostasiatischen Land, als Hauptnahrungsmittel diente.
An der linken hinteren Wand befand sich eine Tür. Durch diese gelangten wir – nachdem wir ein paar Stufen hinabstiegen – in einen separaten Teil des Hauses. Hier befand sich das Badezimmer. Auch dieser Teil war aus Holz und auf Stelzen gebaut. Ein Dach besaß das Badezimmer nicht. Darin befand sich wieder ein dickbäuchiger großer Tonkrug, mit dem wir Regenwasser auffingen. Gebadet wurde nie zu Hause, sondern im Fluss oder im See. Zu Hause wurde nur geduscht, wenn man das duschen nennen konnte. Gewickelt in einem Badetuch oder im Sarong – nur ganz kleine Kinder duschen nackt – schöpft man das Wasser aus dem Tongefäß und gießt es sich über den Kopf. Dann seift man sich von Kopf bis Fuß ein und wiederholt den Vorgang mit dem Wasser, bis man wieder sauber ist. Danach trocknet man sich mit einem trockenen Tuch ab, Sachen anziehen und fertig.
Hinten, im hinteren Teil des Badezimmers, befand sich ein kleiner Schuppen. Das war die Toilette. Darin befand sich ein Plumpsklo. Um sein Geschäft zu machen, musste man auf zwei Balken hockend balancieren. Für Kinder – wahrscheinlich nicht nur für Kinder - war das überhaupt nicht angenehm. Es stank höllisch und ich hatte immer Angst, dass ich in den mit tausenden, abertausenden Maden besetzten Brei hineinfallen würde. Jedes Mal, wenn ich auf die Toilette musste, war meine Befürchtung immer, dass das Brett unter mir brechen oder ich es mit den Füßen verfehlen könnte und hinein plumpsen würde. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum diese Art von Toiletten so genannt werden. Es macht immer „plumps“, wenn etwas hineinfällt.
Unter dem Haus neben dem Badezimmer befand sich eine Stallung. Hier hatten meine Eltern vor dem Wegzug nach Pailin Schweine und Hühner gehalten. In der Sommerzeit liefen die Hühner unter dem Haus herum und suchten nach Futter. In der Regenzeit blieben sie im Stall, denn in dieser Zeit war das Grundstück unter dem Haus überflutet. Zu der Zeit verbanden sich die beiden Teiche und das Grundstück zu einem großen See. Auch der Weg von der Straße zum Haus war meistens überflutet, sodass wir durch das Wasser laufen mussten, um zur Treppe zu gelangen. In dieser Zeit sah ich öfters Wasserschlangen durch das Wasser schwimmen, und auch Fische und Frösche, die unter dem Haus herumschwammen. Während dieser Zeit legte ich mich manchmal auf dem Bauch auf die Bodenbretter und schaute durch die Spalten der Bretter, die nicht fugenlos verlegt wurden, den Tieren beim Schwimmen zu. Es war nicht schwer. Das Wasser war klar und vielleicht nur 30 cm tief. Die Tiere waren deutlich zu erkennen. Wie Kinder so sind, nur Unsinn im Kopf, versuchte auch ich, die Fische zu ärgern, sie zu erschrecken. Durch die Bretterspalten versuchte ich sie mit Spucke zu treffen, was selten gelang, denn es waren hauptsächlich kleine Fische, die aus etwa zwei Meter Entfernung schwer zu treffen waren. Außerdem waren sie ja im Wasser. Da die Spucke an der Wasseroberfläche abprallte, konnte ich sie daher nicht treffen. Manchmal ließ ich eine Angelschnur durch die Spalten gleiten und versuchte die Fische damit zu angeln. Manchmal biss auch ein Fisch an. Doch obwohl der Fisch klein war, waren dummerweise die Bretterspalten noch kleiner als der Fisch, sodass ich es nicht schaffte, den Fisch heraufzuholen. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als durch das Wasser zu watscheln und den Fisch vom Haken zu befreien.
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