»Wird gemacht«, bestätigte Clausen.
»Zweitens: Der große Unbekannte. Ich möchte eine Aufstellung aller Firmen im Großraum München, die als Geschäftszweck Medienagentur oder inhaltlich Vergleichbares nennen. Da können dann Mitarbeiter aus dem LKA mit dem Phantombild hingehen und überprüfen, ob es diese Person dort als Mitarbeiter gibt und ob denen ein Projekt oder ein Casting in Schäftlarn bekannt ist.«
Zu diesem Punkt hatte Clausen einen Einwand. »Wenn der große Unbekannte aber ein Einzelkämpfer ist, ein Freiberufler, oder in Wirklichkeit gar kein Medienagent ist und diese Berufsbezeichnung nur vorgeschoben hat, dann werden wir ihn mit dieser Methode sicher nicht finden.«
»Das kann sein«, bestätigte Danner. »Aber diese Arbeit müssen wir trotzdem leisten, es könnte sich ja ein Hinweis daraus ergeben. Doch kommen wir nun zum dritten Punkt meines Plans: Wir wissen von allen vier Frauen jeweils den Zeitpunkt und den Ort, an dem sie ein Taxi bestiegen haben, und wir kennen das wahrscheinliche Ziel, nämlich den Ort Schäftlarn. Damit sollte es möglich sein, die Taxifahrer ausfindig zu machen. Die können wir dann befragen«
»Und was machen Sie selbst, während Ihnen hier das halbe LKA zuarbeitet?«
»Ich denke nach«, antwortete Danner, und Clausen war bewusst, dass Danner das in vollem Ernst gesagt hatte. »So, Sie denken nach. Und weiter?«, hakte er nach.
»Ich werde die Wohnungen der vier Studentinnen nach Hinweisen untersuchen. Wenn alle Informationen vorliegen, werde ich sie auswerten. Dann sollten Sie eine Pressekonferenz einberufen, denn wir müssen die Öffentlichkeit bei der Suche nach den Frauen und dem blonden Mann einbinden.«
*
Sachlich und trocken präsentierte Curt Clausen die Fakten auf der Pressekonferenz. Vier Frauen seien innerhalb weniger Tage als vermisst gemeldet worden. Die Bilder der vier Studentinnen wurden nacheinander an die Wand projiziert und mit einigen Informationen, wie Name, Alter, Wohnort, Studienfach, usw. ergänzt. Clausen betonte vor allem, dass die Vier keine lebenden oder an ihnen interessierte Verwandte hätten, keine festen Beziehungen oder kürzlich zurückliegende Trennungen, keine Feinde, nichts. Auch hätte keine der Frauen ein nennenswertes Vermögen.
»In Bezug auf ein mögliches Motiv für ein Verbrechen an den Studentinnen tappen wir völlig im Dunklen. Was uns Anlass zur Sorge gibt, ist die Tatsache, dass alle vier zuletzt mit ein und demselben Mann gesehen wurden.« Während Clausen das sagte, wurde die Phantomzeichnung des Verdächtigen gezeigt.
»Dieser Mann hat die Studentinnen jeweils mit einem Taxi abgeholt, um sie zu einem sogenannten Casting nach Schäftlarn zu bringen«, sprach Clausen und fixierte dabei das Bild. »Wir konnten die Taxifahrer ermitteln.« Er fuhr fort, die Insassen hätten sich während der Fahrt angeregt unterhalten. Alle Fahrer hätten mitbekommen, dass es bei diesen Unterhaltungen um Probeaufnahmen für eine Kriminalkomödie ging, die in Schäftlarn stattfinden sollten. Sie bestätigten auch, dass die Fahrt jeweils in Schäftlarn endete, und zwar an einem Selbstpflücker-Blumenfeld auf der linken Straßenseite, kurz hinter der Ausfahrt Schäftlarn der Garmischer Autobahn in Richtung Hohenschäftlarn. Eine Straßenkarte wurde gezeigt, auf der die Stelle markiert war. Eifrig notierten die anwesenden Pressevertreter die angezeigten GPS-Koordinaten 47.994015 und 11.438094 . Der Unbekannte habe den Taxifahrern in allen vier Fällen erklärt, dass man noch einige Sonnenblumen für die Ausstattung bei den Filmaufnahmen benötige. Er habe die Taxis dann weggeschickt mit der Begründung, man habe noch genügend Zeit, um nach dem Blumenpflücken die wenigen Schritte auf dem Radweg nach Hohenschäftlarn zu spazieren. »Ab da verliert sich jede Spur, wir wissen weder, was aus den vier Studentinnen geworden ist, noch ist der Unbekannte wieder aufgetaucht«, schloss Clausen seinen Bericht.
Nach dieser kurzen Präsentation ging ein Gewitter an Fragen über Clausen nieder. Als einer der anwesenden Journalisten lautstark rief »vermuten Sie, dass da ein neuer Serienmörder unterwegs ist?«, wurde es leise im Raum.
Clausen wartete einen Augenblick, bis es wirklich still war, und antwortete dann. »Wir haben noch keine begründete Hypothese, was da wirklich passiert sein könnte. Deswegen bitten wir die Bevölkerung um Mitarbeit. Wer hat eine der vier Frauen nach dem 10. Juli gesehen? Wer kennt den blonden jungen Mann? Wer weiß etwas über ein Casting oder auch über eine geplante Kriminalkomödie in Schäftlarn? Wer hat andere, sachdienliche Hinweise?«
Ganz zum Schluss wollte eine Journalistin wissen, wer denn die Ermittlungen leite. Clausen deutete auf Danner, der ganz am Rande saß und bisher niemandem aufgefallen war.
»Die Ermittlungen leitet Achim Danner.«
Ein erstauntes Murmeln setzte ein, dann drängelten sich die Pressevertreter lautstark um Danner, der aber sofort aufstand und mit dem Hinweis »die Pressekonferenz ist nun beendet« aus dem Raum eilte.
Nach der Pressekonferenz gab es die erwarteten reißerischen Schlagzeilen, von denen »Serienmörder in Schäftlarn?« noch eine der mildesten war. In einem lokalen Blatt wurde spekuliert, ob es eine Verbindung zwischen den vier in Schäftlarn verschwundenen Frauen und den vier »Monster-Windrädern« gebe, die gerade gegen den Willen vieler Schäftlarner Bürger von der Nachbargemeinde Berg dicht an der Schäftlarner Gemarkungsgrenze errichtet wurden. Der Autor des Artikels stellte die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, in der unmittelbaren Umgebung der vier Baustellen mitten im Wald nach den Leichen der vier Studentinnen zu suchen. Vielleicht seien sie ja auch in den gerade fertiggestellten Betonfundamenten verschwunden.
Den Vogel schoss ein Boulevardblatt ab, das sich mit einer an den Haaren herbeigezogenen Glosse einen intellektuellen und kulturell hochstehenden Anstrich geben wollte. Unter dem Titel »Gänsebraten in Schäftlarn« war folgender Text zu lesen:
»Gänsebraten in Schäftlarn?
Wenn ich Schäftlarn höre, muss ich immer an den wunderbaren Gänsebraten denken, den es in einem Lokal beim Kloster Schäftlarn gibt. So war es auch, als die Polizei über die verschwundenen Frauen von Schäftlarn informierte. Meine Gemahlin warnt mich immer wieder, dem Gänsebraten zu sehr zuzusprechen, denn der sei zu fett und der Gesundheit abträglich. Aber wer lässt sich schon gern durch solche Warnungen den Appetit verderben? Ich nicht. Der blonde Unbekannte vielleicht? Wer weiß, was er mit den Frauen angestellt hat? Mein Lieblingsrezept für den Gänsebraten, den ich mir immer wieder in jenem ausgezeichneten Lokal beim Kloster Schäftlarn servieren lasse, verleitet mich zu mancherlei Spekulationen.
Man reibt die Gans mit Salz und Paprikapulver ein und lässt sie liegen, während man den nächsten Schritt vorbereitet. Dazu schneidet man Äpfel, Zwiebeln und Sellerie klein und fügt Thymian, Salbei und Beifuß dazu. Alles wird gut gemischt. Dann wird die Gans damit gefüllt und am Bauch mit Holzspießchen verschlossen. Die Keulen werden mit Bindfaden miteinander verbunden. Wenn der Backofen 180 Grad erreicht hat, wird die Gans mit der Brustseite nach unten auf ein tiefes Backblech gelegt und ein Glas Wasser hineingegossen. Auf der ersten Schiene von unten lässt man das dann eine dreiviertel Stunde garen. Danach wendet man die Gans und lässt sie noch drei weitere Stunden bei 180 Grad zu Ende braten. Nicht vergessen: sie muss immer wieder mit Wasser begossen werden. Nach der Hälfte der Garzeit kann es notwendig sein, ausgetretenes Fett abzugießen, damit das Backblech nicht überläuft. Eine viertel Stunde vor Ende der Garzeit wird die Ofentemperatur auf 220 Grad erhöht.
Wenn die Gans fertig gebraten ist, nimmt man sie heraus. Nun beginnt der schwierigste Teil der Essensvorbereitung, das Tranchieren. Ich habe im Lokal zugesehen.
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