Aufgrund der großen und leicht abfallenden Wiese ums Haus herum besaß Ludwig einen Benzinrasenmäher mit eigenem Radantrieb, was für den regelmäßig Mähenden und für eine mögliche Demonstration eines Otto-Motors ein absoluter Glücksfall war. Gemeinsam zerlegten sie dem an manchen Stellen schon leicht angerosteten Mäher und bauten ihn anschließend wieder zusammen ohne am Ende dass wesentliche Teile übrig blieben. Allein die Montage des Grasmessers benötigte Ludwig für die Demonstration des Motors nicht wirklich. Die folgenden Probeläufe des Rasenmähers verliefen jedoch nicht ganz so glücklich, da sie dabei offensichtlich mehr Aufmerksamkeit als gewünscht erzeugt hatten.
Während Ludwig kurz nach oben in die Wohnung ging, um Papiertücher zum Aufwischen für ein paar ausgelaufene Benzintropfen zu holen, sah er gerade durch das Fenster im Stiegenhaus zufällig seine „Lieblingsnachbarin“ im Stechschritt auf ihr Haus zustreben. Geistesgegenwärtig fiel ihm dabei noch der aktuelle Wochentag ein und die Möglichkeit, dass vielleicht doch nicht alle Nachbarn zur Sonntagsmesse gegangen waren. Zu diesen Wenigen zählte seine sehr impulsive Nachbarin, die mit umgebundener Küchenschürze, offensichtlich mitten in der Zubereitung des Sonntagsmahls, ihre Motorexperimente gehört haben musste.
Um größeren Ärger vorzubeugen, suchte Ludwig sein Heil spontan darin, ihr entgegenzulaufen, um sich selbst schuldbewusst der absoluten Vergesslichkeit zu bezichtigen. Seine unabsichtliche Ruhestörung versuchte er wie folgt zu erklären: „Ich hab den Rasenmäher nochmal für ein Unterrichtsexperiment getestet, das ich morgen früh dem Oberschulrat bei seinem Besuch vorführen will. Darüber muss ich ganz den heiligen Sonntag vergessen haben!“
Vermutlich allein die Nennung einer solch hohen Respektsperson, wie des Herrn Schulrat, sowie seine angebliche Diensteifrigkeit konnten das aufgebrachte Gemüt seiner Nachbarin gerade noch so beruhigen. Nachdem er sich mehrmals bei ihr entschuldigt hatte, versprach er reumütig, dass er so etwas nie wieder machen würde, ohne zumindest das halbe Dorf vorzuwarnen. Nur so konnte er in halbwegs erlebbarer Zeit das Gespräch mit seiner couragierten Nachbarin beenden und zu seinen Gästen zurückeilen, ohne dass diese zwischenzeitlich größeres Unheil anrichten konnten.
Als Ludwig gerade wieder zu ihnen stieß, hatte Toni gerade die Hand am Seilzug des Anlassers. Ein erneutes Anwerfen am sonnigen Sonntag konnte er gerade noch verhindern. Mit den gewonnenen Einblicken in diese praktische Maschine war nun das grundlegende Verständnis für die deutlich größeren, pferdelosen und selbstfahrenden Kutschen gelegt.
Anschließend überlegte Ludwig, wie er Funk- und Radiowellen vergleichsweise eingängig wie knapp erklären könnte. Funkwellen waren mit der Ausbreitung von Wellen leicht in der Regentonne zu veranschaulichen. Ebenso bedeutend erschienen ihm für die ersten Tage die Funktionsweise von Mikrofonen und Lautsprechern, denn Handys und Musik gab es schließlich überall. In diesem Bereich verfügte er durch seinen Physikunterricht glücklicherweise über einen ergiebigen Fundus an Modellen.
Eine der härtesten Nüsse stellte jedoch ein sehr alltägliches Phänomen dar, das Toni und Alois bereits an ihrem zweiten Tag aufgefallen war. Alois beschrieb seine Beobachtung akribisch: „Am Himmel schaut‘s aus, als dät an seltsam grad fliagendr Vogel grade, weiße Streifen hinter sich moachn. Grad so, als dat er a Flüssigkeit hinter sich rauslassen.Äm Himmel bildeten sich ungewöhnliche lange Wolken, die sie sich nicht erklären konnten. Toni fragte sich sogar: "Hoam dia komischn Vögl vialaichd an riesengroßn Durchfall?“
Dass in den Fluggeräten, die diese seltsamen Wolkenstreifen bildeten, weit über hundert Menschen sitzen könnten, war für sie einfach unfassbar. Von Luftschiffen und einem unweit der Landeshauptstadt gelandeten Heißluftballon hatten sie zwar schon gehört, aber derart große Fluggeräte sprengten momentan jegliche Vorstellungskraft. Daher versprach Ludwig, dass er sie möglichst bald in die Landeshauptstadt mitnehmen würde, um ihnen kleinere und größere Flugzeuge sowie den Flughafenbetrieb zu zeigen.
Das nächste Abenteuer, eine Probefahrt in einem Auto, konnte Ludwig ihnen jedoch deutlich rascher ermöglichen. Nachdem sie im Kombi Platz genommen hatten und von ihm gebeten wurden, sich anzugurten, erwiderte Alois: „Mir solln uns mit so oanem Strick festbinden? Kann no so a Automobil auseinanderbrechen wia wenn bei ner Kutsch moal a Rad abgeht oder die Achsn derbricht?“
Obwohl Ludwig ihnen versicherte, dass das kaum vorkäme, so wollten sie doch möglichst schnell aus der komischen Kutsche aussteigen können, falls es ein Problem mit dem Gefährt gäbe. „In koaner Kutschn der Welt ham mir uns überhaupt anbinden müssn!“ verteidigte sich Toni und verweigerte das Anlegen des Sicherheitsgurtes.
Während Ludwigs sehr behutsamer Probefahrt entwickelte sich ab einer Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern jedoch bei beiden Burschen vehement der Wunsch, sich nicht nur krampfhaft an den Griffen festzuhalten, sondern sich darüber hinaus ein wenig „anzubinden“. Schließlich bat Alois reumütig: „Kannschd du glei a mol Halt mochn … ich wer mi, glaub I, do a bisserl anbinden, nur damit I halt aus dera Kutschn nit rausfallen koo!“ Was in etwa wie folgt übersetzt werden kann: "Könntest du bitte baldmöglichst anhalten, damit ich mich doch angurten kann, nur eben, damit ich nicht aus Versehen doch aus dem Auto herausfallen kann!
4 Essen oder nicht Essen?
Seit wenigen Tagen hatten sich Toni und Alois an eine völlig veränderte, moderne Sprache gewöhnen müssen. Mittlerweile hatten sie zahlreiche neue Gegenstände sowie Fachbegriffe kennengelernt. Obwohl ihr Dialekt nicht mehr gar so altertümlich war, klang er für ungewohnte Ohren immer noch nach einem wirklich sehr altmodischen Tirolerisch. Tief beeindruckt waren die Burschen neben den technischen Innovationen ebenso von der überall vorhandenen Sauberkeit und Reinlichkeit. Diese Neuerung war diejenige, an die sie sich am allerleichtesten gewöhnten.
Nur die zahlreichen neumodischen Düfte – angefangen beim parfümfreien und hautverträglichen Duschgel, über das dezente Aftershave, bis hin zu den blumig duftenden Putz- und Spülmitteln - das alles bedurfte tatsächlich noch ein wenig Eingewöhnung.
Dieser allseitige Wohlduft hätte jedoch einige Tage später beinahe sehr dramatische Folgen für Alois gehabt. Da ihn ein rechter Durst überkommen hatte, setzte er, ohne auf dem Etikett nachzulesen, eine Flasche mit Badreiniger an und nahm daraus einen ordentlichen Schluck dieses vermeintlichen Erfrischungsgetränks. Dank seiner spontanen Spuck- und Würgereflexe und Ludwigs glücklicherweise noch präsenter Erste-Hilfe-Kenntnisse war nach einer guten Stunde lediglich ein fieser Restgeschmack im Mund und Rachenraum und eine allgemeine Benommenheit zu spüren. Ludwigs Eifer, seine notfallmedizinischen Kenntnisse bald nach der Geburt ihres ersten Kindes aufzufrischen, hatte sich endlich gelohnt. Die seit Jahren neben dem Telefon angebrachte Rufnummer des Giftnotrufs musste er glücklicherweise nicht ein einziges mal bemühen. Dank seines gut sortierten Erste-Hilfe-Schränkchens, das die ein oder andere Kohletablette spendierte, war die verbleibende Menge des letztlich verschluckten Reinigers bald neutralisiert.
Zum Glück hatten ihre Kinder, Stefan und Beate, bislang nur diverse kleinere und größere Schürfwunden oder eine kleine Platzwunde zu versorgen, die meistens neben einigen tröstenden Worten mit einem schön verzierten und farbenfrohen Wundpflaster, manchmal mit ein wenig Desinfektionsspray und ganz selten mit einem Arztbesuch „geheilt“ werden konnte.
Der spektakulär begonnene und glimpflich verlaufene Zwischenfall mit dem Badreiniger ließ Ludwig darüber nachdenken, wie sie bei einem tatsächlichen medizinischen Notfall einen notwendigen Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt einfädeln könnten. Über eine Krankenversicherungskarte oder Personalausweis in aktueller Form verfügten die Burschen ja nicht. Die Reste ihrer zerfallenen Ausweise in den Jacken waren lediglich von historischem Wert, und würden bei einer Notaufnahme im Krankenhaus sicherlich zu gewaltigen Irritationen führen. Deshalb brauchte es für diesen Fall irgendwann eine Lösung. Kurzfristig war es daher besser, dass dies beim „Schluck aus der Reinigerflasche“ noch nicht notwendig geworden war. „Geschmacklich“ legte Alois vorerst dennoch eine kleine Verschnaufpause ein. In Folge seines Fehlgriffs probierte Alois nun grundsätzlich jedes Getränk, selbst einen persönlich von Ludwig angebotenen Obstler, zuerst nur mit einem sehr kleinen Nipper. Allein dem Geruch eines Getränks konnte man schließlich nicht trauen. insgesamt schmeckte seinen beiden „großen Kindern“ das moderne Essen und die Getränke jedoch sehr gut.
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