Für Alois und Toni war das Erlebnis ihres ersten elektrischen Lichts dabei aber um einiges intensiver als für die Schulkinder, da Toni und Alois den elektrischen Strom überhaupt erst vor wenigen Stunden persönlich kennengelernt hatten, während die Schüler mit dem Phänomen Elektrizität dagegen bereits seit frühester Kindheit vertraut waren.
Früher hatten die Burschen im „Bothen für Tirol und Vorarlberg“ immer wieder von den neuesten technischen Entwicklungen gelesen. Die moderne gasbetriebene Straßenbeleuchtung hatten sie bei einem Besuch in der Landeshauptstadt persönlich bewundern und bestaunen können. Zum Anzünden der bis dahin in den meisten Häusern verwendeten Öllampen musste man lästigerweise immer Zündhölzer vorrätig haben. Als hochmoderner Ersatz waren die Gaslampen für sie damals ein „richtiger Hammer“ gewesen. Zumindest hätten Ludwigs Grundschüler diese Erfindung sicher mit solch deftigen Worten beschrieben. Die älteren Schüler hätten solch eine beeindruckende Errungenschaft dagegen sicher als „voll mega“ bezeichnet. Letzter Kraftausdruck rutschte Ludwig beim Anblick der schieren Begeisterung gar nicht so leise über die Lippen. Seine Wortwahl hatte er zwar schon beim Aussprechen bereut, da die Bergsteiger ihn sofort mit verdrehten Augen verständnislos angestarrten. Um Relativierung bemüht erklärte Ludwig ihnen die Bedeutung von „voll mega“ als eine moderne Ausdrucksform höchster Begeisterung.
Prompt wurde „voll mega“ in den alltäglichen Wortschatz der Burschen aufgenommen. Nahezu jeder Gang in die Öffentlichkeit, wie zum Beispiel selbst ein ganz normaler Supermarktbesuch wurde von da an durch mehrere „voll mega‘s“ kommentiert. Die übrigen Supermarktbesucher schauten sie deshalb bald scheel an.
Im Bad zeigte Ludwig ihnen noch die Bedienung der Wasserhähne und Spüleinrichtungen. Im Zusammenhang mit Wasser warnte er ganz besonders vor der Lebensgefahr eines Stromschlags, denn der Strom aus den Steckdosen sei ja um ein Vielfaches stärker als der schwache Strom des Fahrraddynamos.
Ihre Hausinstallation hatte zwar mit flinken Sicherungen einen recht modernen Stand, ganz sicher vor einem Stromschlag konnte man aber nie sein. Schließlich gab es nicht nur in ihrem Haus Steckdosen.
Für die Burschen war die vollautomatische, allein mit einem Taster zu bedienende Wasserspülung der Toilette ein absolutes Highlight. Ebenso fasziniert waren sie von den zauberhaften Mischbatterien am Waschbecken und in der Dusche, bei denen kaltes und warmes Wasser einfach so aus der Wand kam und nach Belieben mischbar war. Um ein Bad zu nehmen waren sie es bisher gewohnt, dass zuerst Wasser mühsam in großen Töpfen auf den Herd geschleppt, erhitzt und anschließend mit vereinten Kräften in die Wanne geschüttet werden musste. Ludwig hatte den Seifenspender am Waschbecken und die Duschgels sowie die Haarwaschmittel vorsorglich gegen ein Stück Handseife ausgetauscht.
Mit den frischen Eindrücken der gerade erlebten Innovationen entließ Ludwig die erstaunlich lebendigen Bergsteiger in die erste Nacht ihrer neuen Umwelt. Abgelenkt von einer langen, begeisterten Diskussion über die neuen Technologien und wild spekulierend über ihre enormen Anwendungsmöglichkeiten schliefen sie spät am Abend in die erste Nacht ihres neu gewonnenen Lebens hinein.
Einen guten Schutz vor Kummer und Elend eines äußerst unangenehmen oder gar tödlichen Stromschlags boten vorerst auch die nachträglich montierten Kindersicherungen in den Steckdosen, die nur durch ein verdrehtes Einsetzen des Steckers zu überlisten waren. Nach der Geburt ihres ersten Kindes, hatte Ludwig diese zusätzlichen Steckdosensicherungen im gesamten Haus angebracht. Getreu seinem Motto „Nichts ist unnötiger als ein unnötiger Tod!“ mussten deshalb alle Feriengäste mit den Kindersicherungen vertraut gemacht werden.
Mittlerweile hatte sich Ludwig bereits häufiger vorgenommen, diese Kindersicherungen zumindest in den Ferienwohnungen wieder abzumontieren. Da jedoch immer wieder Familien mit kleinen Kindern zu Gast waren, hatte er diese Aktion regelmäßig verschoben. Nun war er das erste Mal ausgesprochen glücklich über sein Talent, das ein oder andere Projekt ein wenig zu verschieben, da dadurch für die neuen Gäste eine Gefahrenquelle weniger bestand.
Als Ludwig seinen Gästen am nächsten Morgen ein umfangreiches, im Wesentlichen jedoch sehr leichtes Frühstück auf einem Tablett in die Wohnung brachte, laborierten die beiden Männer bereits wieder am umgedrehten Fahrrad mit der elektrischen „Strombeleuchtung“.
Nachdem sie das Frühstück beinahe nebenher verdrückt hatten, mussten sie Ludwig natürlich gleich von den zahlreichen Ideen berichten, auf die sie noch am Vorabend gekommen waren, als sie bereits in ihren königlich bequemen Betten lagen.
Ihnen waren mindestens tausend und eine Idee gekommen, wie und wozu dieses „Stromlicht“ noch überall verwendet werden könnte. Ihre tollkühnen Ideen konnte Ludwig samt und sonders als durchaus machbar, das heißt, als mittlerweile erfolgreich umgesetzt bestätigen.
Zum Abschluss ihrer nur so sprudelnden Ideen konnte Ludwig die Entdeckerfreude noch durch ein mobiles Licht in Form einer gezückten Taschenlampe steigern. Diese musste er vor ihren Augen komplett zerlegen und wieder zusammenbauen. Damit war fast in einem längeren Atemzug auch die chemische Speicherung von Strom in Batterieform geklärt.
Die anderen Verwendungszwecke des „strombetriebenen Lichts“ wollten sie am liebsten sofort im ganzen Haus und Dorf erkunden. Mit der Erfüllung dieses Wunsches außerhalb ihres Hauses musste Ludwig sie jedoch noch ein wenig vertrösten. Zuerst galt es, sie mit genügend Grundlagenwissen up-zu-daten.
Nach dem Zubettgehen waren Ludwig noch weitere mögliche Gefährdungen eingefallen, die ihre sichtbare Freude und Begeisterung für die neue Technik schnell, dann jedoch endgültig tödlich besiegeln könnte. Halb im Schlaf kramte er in seinen Gedanken nach möglichst einfachen Veranschaulichungen der grundlegenden technischen Entwicklungen der vergangenen anderthalb Jahrhunderte. Nach dem Thema Strom standen mobile Kraft-Wärme-Maschinen, die Flugtechnik und Funkwellen sehr weit vorn in seiner to-do-Liste.
Des weiteren waren Ludwig auch noch einige zentrale medizinische Innovationen eingefallen, mit denen jedoch noch ein paar Tage zugewartet werden konnte. Schließlich mussten sie in allernächster Zukunft eher mit einem Auto fahren, könnten irgendwo ein Radio oder Telefon oder einen Fernseher hören beziehungsweise sehen, als dass sie einen Arzt aufsuchen mussten.
Sicher wäre es für die Neubürger deutlich entspannter - meinte zumindest Ludwig -, wenn sie wüssten, dass die geschrumpften Menschen in einem Fernseher tatsächlich nicht in selbigem eingesperrt sind. Zur ihrer Rettung wäre das sofortige Einschlagen der Scheibe gar nicht zwingend nötig, da es sich beim Fernseher lediglich um die Anzeige eines übertragenen bewegten Bildes handle.
Vom ersten Schreck, eine selbstfahrende, aufheulende und stinkende Kutsche ohne Pferde zu sehen, würden sie sich ohne eine gewisse Vorahnung nur sehr langsam erholen.
In der Putzkammer im Flur hatten sie mittlerweile den Staubsauger entdeckt, mit dem Margret für gewöhnlich die beiden Ferienwohnungen saugte. Toni und Alois hatten das „Elektrizitätskabel“ vorsichtig in eine Steckdose gesteckt und versucht, den fahrbaren „Lampenkasten“ irgendwie einschalten. Aber statt Licht gab dieser nur ein Höllengeräusch von sich, sodass sie das Kabel rasch wieder aus der Wand zogen. Den eigentlichen Verwendungszweck musste ihnen der herbeigeeilte Ludwig sofort demonstrieren. „Der saugt jo den Dreck auf wia da Wahnsinn! An elektrischn Drecksauger habts ihr da!“ umschrieb Alois das neuartige Gerät.
Auch am nächsten Tag stand zuerst wieder „Natur- und Sachkunde“ auf dem Plan. Der übliche sonntägliche Kirchgang mit der Familie musste zumindest für Ludwig notgedrungen ausgelassen werden.
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