David hat wohl am meisten Kontakt mit Letten, hat er doch von Anfang an mit Letten zusammen gewohnt. „Dann auch mit meiner lettischen Freundin, und ich studiere jetzt auch in einer mixed-group , 50% Letten, 50% Ausländer.“ „Leider muss man aber sagen, dass die Letten nicht das offenste Volk sind“, findet Karol, „die würden nicht sofort sagen, dass ihr Gast König ist, so wie bei uns in Polen. Wenn man aber erst einmal Bekanntschaft geschlossen hat oder sogar zu Ihnen nach Hause eingeladen wurde, dann sind sie sehr gastfreundlich.“
Zwar sei der Unterricht auf Englisch, aber jetzt kommt es zunehmend zum Patientenkontakt. Karol als Pole hat es da natürlich leichter als die beiden anderen: „Man kann sagen, dass die Letten Lettisch und Russisch sprechen, viele hier lebende Russen hingegen sprechen nur Russisch. Allerdings muss man auch Lettisch lernen, denn die ganzen Patientenakten sind auf Lettisch.“
Auch Alexander hat jetzt begonnen, privat Russisch zu lernen. Lettisch-Unterricht wurde in den ersten drei Jahren an der Universität angeboten („und mehr oder weniger angenommen, kann man so sagen“, soweit David). Auch wenn man mit Englisch in der sehr westlichen Stadt Riga wenig Verständigungsprobleme hat: Alexander macht trotzdem die Erfahrung, dass „Lettisch natürlich die Nationalsprache ist, und es wird lieber gesehen, wenn man Lettisch spricht.
Man merkt da auch schon Spannungen zwischen der russischen und der lettischen Bevölkerung, auch wegen der Geschichte, der russischen Besatzung.“ Die drei sind sich auch hierin einig: „Die Letten fanden zwar auch die deutsche Besatzung nicht toll, aber die russische war noch radikaler.“
David glaubt auch, dass der Grund hierfür insbesondere der Kommunismus war, der den Letten aufgedrückt wurde, als die Russen kamen. „Das hat Lettland heruntergewirtschaftet. Die meisten Letten sind froh, dass sie jetzt den Kapitalismus haben, Geld kriegen und was aufbauen können.“
Die ausländischen Studenten bekommen kaum mit, was die russisch- oder lettisch-sprachigen Medien berichten, da sie vor allem die eigenen, westlichen Medien konsumieren. Und was wissen sie über die politische Großwetterlage?
„Als ich 2014 hier ankam, war gerade die Ukraine-Krise und da hat uns die Studienkoordinatorin gebeten, dass wir uns bei unseren Konsulaten anmelden, falls es Krieg gibt, damit wir dann außer Landes gebracht werden können“, erzählt Karol, und Alexander fügt hinzu: „Ich glaube schon, dass viele Letten Angst davor haben, dass die Russen einmarschieren könnten, wobei Lettland sich dann vielleicht mehr oder weniger freiwillig dem ergeben würde, was dann passiert.
Man merkt zwar schon hin und wieder eine stärkere NATO-Präsenz in Lettland, aber man muss sich natürlich trotzdem fragen, inwieweit das dann in so einem Extremfall Auswirkungen hat.“ (Anmerkung des Autors: David hat sogar schon mit einigen NATO-Soldaten paint-ball gespielt, Karol saß im Cafe und lernte, als 20 Soldaten reinkamen und das Cafe besetzten ).
David berichtet, dass „unsere Chirurgie-Lehrerin Russen gesehen hat, die gefeiert haben, als Trump die Wahl gewonnen hat, weil sie meinten, dass Amerika dann aus der NATO rausgehen würde und Russland dann leichtes Spiel haben würde. Das sind sicherlich nicht die Intelligentesten, die so denken, aber der Konflikt ist immer da.“
Karol hat von seiner Vermieterin gehört, dass „in der Peripherie von Riga (also da, wo die oft sehr armen Russen wohnen) Geld für die russische Seite in der Ukraine gesammelt wurde“. „Die Letten orientieren sich aber ganz klar Richtung Westen, es ist nicht so, dass sie sich mit Russland verbunden fühlen, das gilt auch für einige lettische Russen“, diesen Worten Alexanders stimmen die beiden anderen zu.
Die Russen werden in Lettland hingegen als bipolar empfunden, meint Karol: „Entweder sind die sehr reich, fahren Porsche und tragen Pelzmäntel, oder es gibt krasse Armut. Es gibt auch reiche Russen, die sich in Riga oder am Strand von Jurmala ein Haus oder eine Wohnung kaufen, um einen Wohnort in der EU zu haben.“
Aus eigener Anschauung kennen die drei Russland allerdings nicht, nur Alexander war schon einmal in St. Petersburg, als Tourist. Das Interesse an Russland sei zwar da und die Angst, dorthin zu reisen, hält sich in Grenzen, aber, so Davids Fazit: „Erst mal die westlichen Länder alle bereisen, es ist auch leichter, da hin zu kommen.“
Dunte? Wieso denn Dunte, dieses verschlafene Mini-Dorf etwa 60 km nördlich von Riga, gleich an der A1 gelegen, der Fernverkehrsstraße nach Tallinn? Gut, viel ist hier nicht zu sehen, bis auf ein kleines Museum mit angeschlossenem Waldpfad.
Das Museum gedenkt einem, der genau hier die vielleicht glücklichsten sechs Jahre seines Lebens verbrachte. Einem, dessen Leben mehrfach verfilmt wurde; z.B. schlüpfte 1943 ein gewisser Hans Albers in dessen Rolle, und auch in der Sowjetunion war er nicht zuletzt aufgrund einer herausragenden Verfilmung sehr populär.
Die Rede ist vom Großmeister der Lügengeschichten, der die heutigen Produzenten von fake-news und gezielten Falschmeldungen wie blutige Anfänger aussehen lässt, schon was die Nachhaltigkeit seiner Lügengeschichten anbelangt. Hier in Dunte, genauer gesagt im Gutshaus seines Schwiegervaters, des Barons von Dunten, seines Zeichens Richter in Riga, hat der am 11. Mai 1720 in Bodenwerder geborene Niedersachse Hieronymus Carole Fredericus Baron von Münchhausen mit seiner Frau Jacobine gelebt. Und das ist geschichtlich verbürgt, es entspricht voll und ganz der Wahrheit.
Das kleine Museum steht angeblich genau dort, wo sich früher das Gutshaus befand, und auch die Original-Kanonenkugel, mit der er flog, ist hier zu besichtigen. Nur das Pferd hat man inzwischen von der Kirchturmspitze des nahegelegenen Pernigele, an die der Lügenbaron es angeleint hatte, abgebunden.
Die junge Lettin, die mir die Senioren-Eintrittskarte verkauft (ich denke, dass ich hier ruhig ein wenig flunkern darf), bestätigt auch umgehend meine Suggestivfrage: „Ja, Lügengeschichten zu erfinden ist gerade wieder sehr aktuell“, und sie meint damit sicherlich nicht die sogenannte Lügenpresse aus dem rudimentären Sprachschatz der armseligen Pegidisten, sondern, und das sagt mir ihr intelligentes, offenes Gesicht, eher Schmutzkampagnen wie die Lüge über einen Pädophilen-Club Hillary Clintons.
Die heutigen Lügenbarone arbeiten ja zumeist verdeckt, sie wollen unerkannt bleiben. Einer allerdings nicht, der hat es sogar bis ins Weiße Haus geschafft. „Aber der Baron von Münchhausen ist und bleibt unübertroffen!“
Ins Museum kämen viele Deutsche, natürlich auch viele Letten, und auch sehr viele Russen. „Die Älteren kennen noch die Verfilmung aus der Sowjetzeit, die Jüngeren, vor allem die Kinder, sind zumeist total überrascht, dass der Baron von Münchhausen wirklich gelebt hat. Sie denken immer, dass er nur eine Fantasiegestalt war. Nein, der Baron lebte hier und später wieder in Bodenwerder in Deutschland. Er war ein ganz ausgezeichneter Erzähler von Geschichten, in denen oft der Krieg, den er ja selber miterlebt hat, eine Rolle spielte. Aber auch über die Jagd oder über die Liebe wusste er viel zu berichten.“
Wir einigen uns darauf, dass er möglicherweise hier und da mal nicht ganz bei der Wahrheit geblieben ist, aber genau darum sind ja schließlich seine Geschichten immer noch sehr beliebt. Und da ja Reisen schließlich bildet, nehme ich auch noch eine (mir neue) Erkenntnis mit aus Dunte: Der gute Hieronymus hat seine Geschichten überhaupt nicht selber zu Papier gebracht, das übernahmen richtige Schriftsteller für ihn: Rudolf Erich Raspe in England und Gottfried August Bürger in Deutschland, letzterer in dem netten Museumsinformationsblättchen (was für ein Wort!) übrigens Gottfried August Burger genannt. Wortspiele über fake-Fleisch verbitte ich mir hiermit ausdrücklich.
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