Das Pferd neben der Fürstin wieherte und nickte heftig. Es war das Packpferd, von dem Zihanor so viel hielt. Es hatte sich unauffällig neben Adhasil gestellt und mit aufgestellten Ohren der Rede Melbarts gelauscht. Zihanors Blick hatte bis dahin auf Adhasil gelegen. Erst die Bewegung des Pferdes hatte ihn abgelenkt. Bevor er sich dem Magier zuwandte, hatte er den Eindruck, das Tier verzog sein Maul zu einem Lächeln. Himmel, jetzt grinst das Pferd auch noch, dachte er bei sich und wandte verlegen seinen Blick ab.
Noch in Gedanken über diese Beobachtung hörte er im Hintergrund die Namen der anderen Teilnehmer: Cai Grevenworth, Rittmeister König Harismunds; Ken´ir, Abgesandter der Valedrim-Elfen; Angholt, der Sohn von König Wechis, Fürst Hagil und Urth vom Eschenbach, Hauptmann der Wache Fürst Thorgasmunds.
Noch ein Königssohn , dachte Zihanor innerlich schmunzelnd, als wäre einer nicht schon genug . Dann betrachtete er Ken´ir, den Elfen, von dem ihm Angulfin bereits einiges erzählt hatte. Offensichtlich tat er es derartig auffällig, dass der Elf ihn plötzlich mit einem so durchdringenden Blick ansah, dass Zihanor etwas unsicher wegschaute. Das kurze Lächeln Ken´irs entging ihm.
Zihanor, der gleich am Höhleneingang stand, bemerkte mit einem Mal einen seltsam angebrannten Geruch. Der Fisch , durchzuckte es ihn. Eilig ging er wieder in die Höhle und je tiefer er hineinkam, desto sicherer wurde er, dass sich die ehemaligen Leckerbissen in etwas vollkommen Ungenießbares verwandelt hatte. Als sich seine Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten, sah er das Malheur. In der Glut des Feuers vergingen gerade die letzten Reste des Mittagessens.
Hinter sich hörte er Schritte. Thorgren war ihm gefolgt, weil Zihanor so schnell verschwunden war, dass er sich darüber gewundert hatte. Zihanor hörte sein Lachen.
„Du magst ja ein guter Jäger und Angler sein“, feixte er, „aber was das Kochen angeht, wirst du noch ein wenig üben müssen. Doch ärgere dich nicht. Wir haben sowieso keine Zeit mehr für eine Mahlzeit. Eben ist der Entschluss gefallen, sofort zu den Schwarzen Sümpfen aufzubrechen.“
Bedauernd starrte Zihanor noch kurz auf das Lagerfeuer. Dann schob er mit seinen Stiefeln so viel lose Erde in die Glut, dass sie nicht mehr zu sehen war. Sie sammelten ihre Sachen zusammen und verließen die Höhle. Zihanor warf einen letzten Blick auf den versteinerten Troll. Eigentlich war es seltsam, dass er in einer Ebene lebte. Doch wer wusste schon, welches ungewöhnliche Schicksal ihn dorthin verschlagen hatte. So manch ein Schicksal erschien vordergründig rätselhaft. Während er die Höhle verließ, überlegte er, ob der Troll nicht gut in die heimische Trophäensammlung passte. Wer konnte eine solche Trophäe schon sein eigen nennen? Da ließe sich auch sicher eine spannende Geschichte über den heldenhaften Kampf, bei dem er sie errungen hatte, erfinden. Vielleicht später, dachte Zihanor.
Er trat vor den Eingang und schloss kurz geblendet die Augen. Dann wandte er sich seinem Pferd zu. Einen Augenblick lang spürte Zihanor hinterrücks einen Blick auf sich ruhen, während er sein Pferd bepackte. Als er sich umdrehte, stand an nächster Stelle die Fürstin Adhasil, die geschäftig den Sitz ihres Gepäcks überprüfte. Ihr Packpferd zwinkerte ihm zu. Etwas verwirrt nahm er sein Pferd an die Zügel und führte es einige Schritte aus der Gruppe hinaus, wo er dann wartete, bis alle abreisefertig waren. Diese Geste des Pferdes der Fürstin konnte nur eine Täuschung sein.
Auf den Befehl Melbarts begannen sie ihren Ritt zu den Schwarzen Sümpfen – und in ein Abenteuer, wie es schon lange niemand mehr auf Erdos erlebt hatte.
Von den Stromschnellen war es nur noch ein halber Tagesritt bis zum Rand der Sümpfe. Unterwegs wurde wenig gesprochen. Auch Zihanor unterdrückte sein Interesse an Ken´ir und den Elfen. Zwar hatte er Kerin´har ebenso wenig gekannt wie Ken´ir, doch mit dem Letzteren würde er länger zusammen sein. Daher war noch genügend Zeit, seine Neugierde zu befriedigen.
Bei Einbruch der Dämmerung erreichten die nunmehr zehn Weggenossen nach einem schnellen, ereignislosen Ritt das Dagau-Delta. Hier ergoss sich der Fluss in die Schwarzen Sümpfe. Damit waren sie für diesen Tag an ihrem Ziel angelangt und richteten sich für die erste gemeinsame Nacht ein. Angulfin hatte Recht behalten.
Sie hatten Elim´dor hinter sich gelassen und befanden sich auf der gut ausgebauten Waldstraße: Melbart, Ken´ir, Adhasil, Angholt, Hagil, Urth und zu guter Letzt Cai. Diese Straße war breit genug, um zwei entgegenkommenden Pferdegespannen ausreichend Platz zu lassen, aneinander vorbeizufahren, ohne sich gegenseitig zu behindern. Es gab jedoch nur wenig Verkehr. Gelegentlich begegneten ihnen kleine berittene Kriegerscharen oder einzelne Wanderer. Es waren ausnahmslos Elfen. Angholt, der neben Ken´ir ritt, erfuhr von dem Elfen, dass dieser Teil des Valedrim-Waldes nur äußerst selten von Angehörigen anderer Völker bereist wurde. Und dann waren es meistens seenländische Boten auf dem Weg in die Hauptstadt des Valedrim-Volkes. Angholt stellte sich vor, dass sie in der Begleitung der Eskorte für andere Elfen fast wie Gefangene aussehen mussten, und lächelte.
Entlang der Straße erstreckte sich der undurchdringliche Wald. Von Zeit zu Zeit entdeckten die Reiter schmale Pfade, die in den Wald hineinführten. Es gab neben der Hauptstadt viele verstreute Siedlungen, aber sie waren klein und nur über eben diese Pfade erreichbar. Für Nicht-Elfen wären diese Ansiedlungen trotzdem schwer auffindbar gewesen. Die Elfen lebten teilweise in Baumhäusern, teilweise hatten sie auf der ebenen Erde gebaut.
Die Baumhäuser der Elfen waren nicht vergleichbar mit den Hütten, die Menschenkinder gern in den Kronen von Bäumen zusammenzimmern, sondern viel großzügiger, wohnlich und gemütlich. Sie boten auch einer größeren Anzahl von Bewohnern Platz, denn sie stützten sich entweder auf mehrere Bäume oder sie nutzten ganz bestimmte Arten, die, reich verästelt, gewaltige Wipfel auf einem kräftigen Stamm ausbildeten. Die Elfen bauten ihre Behausungen so geschickt, dass sie von Fremden leicht übersehen werden konnten.
Die Valedrim hatten eine sehr wirkungsvolle Weise entwickelt, sich untereinander zu warnen, wenn Gefahren auftauchten und bisher war es noch keinem Seenländer oder Namurer gelungen, sich unbemerkt den elfischen Wohnstätten zu nähern. Angholt wunderte sich, warum es notwendig sein sollte, den Wald so genau zu beobachten. Ken´ir erklärte: „Es stimmt, im Valedrim-Wald leben nur Elfen, und andere Völker waren bisher keine Bedrohung für uns, aber es gibt andere Gefahren, von denen ihr nur die wenigsten kennt. Darunter befinden sich welche, von denen Ihr Euch gewiss wünscht, ihnen nicht zu begegnen. Munas sind nur ein Beispiel. Der Wald ist groß und bietet Schlupflöcher für manche seltsamen Geschöpfe. In den Jahrhunderten, in denen mein Volk hier lebt, ist es uns immer noch nicht gelungen, ihn vollständig zu erforschen. Ein Grund dafür ist der sonderbare Umstand, dass der Wald selbst sich verhält wie ein Lebewesen. Er dehnt sich zwar nicht mehr aus, aber er verändert sich. Und wir können von Glück reden, dass er uns, die Elfen, in sich duldet.“
Angholt war begeistert. Er nahm sich vor, nach dieser Fahrt König Nôl´taham um Erlaubnis zu bitten, den Wald genauer unter die Lupe nehmen zu dürfen. Vielleicht gelang es ihm sogar, das eine oder andere Geheimnis zu lüften. Der Gedanke, dass die Elfen vielleicht die geduldigeren und kenntnisreicheren Erforscher des Waldes waren, kam Angholt in diesem Augenblick nicht.
Bis zum Abend geschah nichts von dem, was sich Angholt in seiner Vorstellung ausgemalt hatte, denn natürlich erfuhr man in diesem Wald keine Überraschungen auf Schritt und Tritt. Man konnte ihn sogar sein halbes Leben auf der Hauptstraße hin- und herbereisen, ohne dass einem überhaupt etwas Außergewöhnliches begegnete.
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