1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 »Also mein kleiner Hase, was brennt auf der Seele? Ich habe übrigens gestern eine neue Lieferung Heilsteine bekommen, von denen ein paar die sexuelle Attraktivität beim bevorzugten Geschlecht steigern sollen. Na, wie wär’s?« Palmira grinste Paul an.
»Geschenkt! Wir brauchen deine Hilfe. Du müsstest Köln-Marienburg aufmischen und für Aufsehen sorgen. Interesse?«
Die Erscheinung klatschte entzückt in die Hände und freute sich wie ein blutjunges Ding, das zum ersten Mal allein auf die Piste durfte.
»Kannst du das heute Nachmittag erledigen? Die Adresse des Bäckers schicke ich dir aufs Smartphone.«
»Hmmm, heute Nachmittag? Ist eher schlecht. Da habe ich einen Termin bei der König-Artus-Loge. Du weißt schon, ich bin doch beim Deutschen Druiden-Orden Ehrenmitglied. Und heute findet eine außerordentliche Sitzung statt. Ist eigentlich stinklangweilig, aber ich drücke denen bei der Gelegenheit immer gern ein paar Steinchen mit besonderen Qualitäten aufs Auge.«
»Ach komm, es ist wichtig!«
Palmira tat ein wenig genervt und entließ ein Stöhnen, das mindestens zwei Oktaven zu tief ausfiel. Ein Ausrutscher der Weiblichkeit! So viel zum Thema Hormonbehandlung. Paul wusste, dass Madame mit Freude gebeten wurde, und gab ihr einen Augenblick der obligatorischen Bedenkzeit. Begleitet wurde die Schweigeminute von einem flehenden Gesichtsausdruck.
»Ja, schon gut. Ich mach’s ja.« Paul umarmte sie und setzte einen dicken Schmatzer auf die frisch rasierte Wange. Palmira war wie immer entzückt und blickte ihn leicht verliebt an.
»Und?« Sie hielt die Hand auf. Aha, jetzt ging’s um das Geschäft.
»Äh ja. Dein Honorar bekommst du am Montag. Der Scheck unserer Auftraggeberin muss noch gutgeschrieben werden. Sollte aber nach dem Wochenende erledigt sein. Gilt der übliche Stundensatz?«
»Natürlich«, entgegnete Palmira mit einem Augenzwinkern und verschwand, um sich für den gebuchten Auftritt zu präparieren. Paul schüttelte den Kopf. Er verstand nicht wirklich, warum sie Geld dafür verlangte. Ihr kleiner Laden mit Devotionalien für Schamanismus und Natursteinheilkunde lief recht gut – von den gewonnenen Lotto-Millionen mal ganz zu schweigen. Er vermutete, dass ein Stundenhonorar – das kaum der Rede wert war – die Ernsthaftigkeit ihrer künstlerischen Darbietung unterstrich.
Paul blieb noch einen Augenblick sitzen, zündete eine weitere Zigarette an und ließ den Blick schweifen – wie sooft in letzter Zeit. Er war ein Ureinwohner , hier geboren, aufgewachsen und hatte alles erlebt, was man als Kind, Jugendlicher und Erwachsener erleben konnte. Die geliebte Körnerstraße und das einstige Arbeiterviertel Köln-Ehrenfeld hatten sich in den vergangenen Jahren schleichend verändert. Die Hippster und Young Urban Professionells verwandelten seinen Mikrokosmos. Die hippen Typen und gut verdienenden grünen Spießer mit der richtigen Gesinnung nahmen zunehmend die Straße und das Viertel in Besitz und eröffneten Design-Lädchen, Cafés, Klubs und schicke Fahrradläden. Die ursprünglichen Geschäfte, wie Metzger, Bäcker oder der kleine Supermarkt des Türken verschwanden sang- und klanglos. Stattdessen präsentierte man sich mit gepflegtem Hipsterbart, inklusive zum Dutt gebundenen Zopf, in Cafés und Szene-Läden, diskutierte über das neueste Fahrrad, iPhone, das angesagteste lokal gebraute Draft-Bier oder was auch immer. Natürlich 100-prozentig ökologisch hergestellt! Und beruflich machte man selbstredend irgendetwas mit Medien .
Paul fühlte sich, obwohl er ja nicht alt im physischen Sinne war, wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit – ein Antikörper in einem in der Entstehung begriffenen Organismus, der ihn bald abstoßen würde. Dinge veränderten sich! Vielleicht musste er lernen, mit dieser Tatsache umzugehen. Er schnippte die Kippe in den Gully und blickte zum Himmel – das strahlende Blau blendete; es war kein Wölkchen zu sehen. Eigentlich hätte sich Paul über den Auftrag freuen müssen, was er am gestrigen Tag auch ausgiebig getan hatte. Je mehr Zeit jedoch verging, desto intensiver bemächtigte sich seiner ein undefinierbares Gefühl. Irgendetwas lag in der Luft, und zwar nichts Gutes.
Ja?«, dröhnte es aus der Gegensprechanlage. Hannes kannte die Stimme – Dschingis-Stalin bediente die Leitung, der im Allgemeinen meist DS genannt wurde und Tante Veras Geheim- und Allzweckwaffe war.
»Hey DS, Hannes hier. Wir wollen zu Vera!« Eine gefühlte Ewigkeit später öffnete sich das Gartentor und gab den Weg zur Villa frei. Vera Zakowski lebte nicht schlecht. Allein die Grünanlage des Anwesens bot Platz für mindestens ein fünfstöckiges Mietshaus inklusive Park- und Tennisplätzen, Spielplatz und weiteren Freizeitanlagen des gehobenen Genusses. Hannes und Margaux schlenderten gemütlich durch die Parkanlage, die den Prachtbau umgab, und genossen die schattige Atmosphäre. Beide atmeten tief durch. Mit Betreten dieses ruhigen Fleckchens jenseits der Großstadthektik verschwanden die schwülen Temperaturen sowie der Lärm und man tauchte ein in eine gänzlich andere, verzauberte Welt. Margaux mochte den Ort. Der kleine Park rund um die Villa war dunkel, strahlte jedoch keinerlei bedrohliche Düsternis aus, sondern vielmehr etwas Beschützendes und Behütendes. Wenige Sonnenstrahlen durchdrangen das Dickicht der Kronen der alten Bäume. Hier und da standen antike und verwitterte Plastiken diverser griechischer Gelehrter, wie Margaux in Erfahrung gebracht hatte. Fast hatte es den Anschein, als würden sie diese Oase der Ruhe und Friedfertigkeit bewachen. Vera wusste um die Faszination Margaux’ für die dunkle Seite des Lebens und hatte ihr angeboten, den Park sooft besuchen zu dürfen, wie sie wollte. Sie mochte den weiblichen Teil der Froschkönige sehr gern, erinnerte die junge Frau sie doch an ihre eigene Jugend. Margaux nahm die Offerte dankend an und verweilte jede Woche mindestens drei bis vier Stunden hier, las und gab sich den vielfältigsten Gedanken hin. Die grüne Lunge der Villa bediente ihre morbide Lebenseinstellung auf nahezu perfekte Art und Weise. Und nachdem sie Zeit im Garten verbracht hatte, lud Vera sie immer wieder zum Nachmittagstee ein. Und obwohl beide Frauen höchst unterschiedlich waren, verband sie eine innige Freundschaft. Nach wenigen Minuten des Schlenderns kam der Prachtbau in Sicht.
»Ich würde alles geben, um hier leben zu dürfen«, entfuhr es Margaux unbeabsichtigt. Hannes schaute die Freundin erstaunt an.
»Und was hindert dich daran? Tantchen hätte bestimmt nichts dagegen. Und DS wahrscheinlich ebenfalls nicht.« Hannes grinste. Sie wusste, worauf er anspielte. Auch sie hatte festgestellt, dass DS starke Sympathien für sie hegte. »Ja, schon gut! Irgendwie fände ich es Paul gegenüber nicht richtig. Schließlich ist es seine Tante, die noch einzig verbliebene Verwandte. Da will ich mich keinesfalls dazwischendrängen.«
Hannes runzelte die Stirn. »Glaub mir, er ist der Letzte, der dir da Steine in den Weg legen würde. Er liebt zwar Vera, aber nur, wenn genügend Abstand zwischen den beiden besteht. Und: Ich kann ihn da voll und ganz verstehen.«
»Ich mag Vera, sie ist eine tolle Frau!«
Hannes nickte. »Ich weiß.«
Wortlos gingen sie weiter Richtung Hauseingang. Die Villa war ein dreigeschossiger Prachtbau aus der Jahrhundertwende mit diversen Loggien, Terrassen, Giebeln und Ecktürmen im Stil der deutschen Renaissance. Aus der Ferne erinnerte es an eine europäische Version von Bates Motel aus Hitchcocks Psycho -Klassiker, nur drei Spuren eleganter. Hier hatte sich eindeutig ein Architekt mit Hang zur Romantik ausgetobt. Der Erbauer des Baus war Veras Urgroßvater – ein erfolgreicher Maschinenbauer und Unternehmer. Leider munkelte man, dass er auch zu Zeiten des Nationalsozialismus gut verdient hatte, was in der Familie jedoch stets vehement bestritten wurde. Fakt war, dass die Immobilie eines der Sahnestückchen Kölns war. Immobilienunternehmen standen monatlich auf der Matte und boten irre Summe im Millionenbereich – Tendenz steigend. Tante Vera blieb standhaft. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, das Anwesen dem Neffen Paul zu vererben. Sollte er nach ihrem Tode entscheiden, wie es mit dem Familienbesitz weitergehen würde. Sie wäre tot und müsste sich dann lediglich darum kümmern, ihr kuscheliges Plätzchen im Jenseits zu finden.
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