1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 DS stand in der Tür und empfing Margaux und Hannes. Der Mann war eine Ausnahmeerscheinung, eine Kante von 1,70 Meter Körpergröße, bepackt mit Muskeln, wo es nur ging und möglich war. Hannes vermutete – und das zu Recht –, wenn DS in den Puff kam, dass selbst die Hells Angels und Bandidos eine Ehrfurchtsgasse bildeten. Er beeindruckte durch eine immense körperliche Präsenz, die einschüchterte, wobei Einschüchtern reichlich untertrieben war. Der Typ war eine Manifestation, eine Naturgewalt! Das Äußere prägten, neben einem gewaltigen Stiernacken, dem fehlenden Hals und einer ausgeprägten Halsschlagader, eine partiell im seitlichen Bereich tätowierte Glatze sowie ein Mongolenzopf, der direkt aus dem Schädelinneren zu entfleuchen schien. Seine Front zierte ein imposanter Schnäuzer. Die ungewöhnliche Kombination aus Stalin-Oberlippenbart und dem Zopf verlieh dem Kraftpaket das Aussehen eines Hünen. Wer ihm den Spitznamen Dschingis-Stalin zuteilwerden ließ, war im Nebel der jüngeren Zeitgeschichte untergegangen. DS war Veras Mann fürs Grobe und die Exekutive in Tantchens Edelbordell-Imperium. Immer, wenn es galt, etwas physisch auszutragen, war er zur Stelle. Zudem beschützte er Veras Mädels. Diese Aufgabe nahm er sehr ernst. Pöbelnde Kunden oder jene mit außergewöhnlichen Wünschen setzte er sofort vor die Tür. Schließlich betrieb die Zakowski einen anständigen Puff. DS war der perfekte Kandidat, ein authentisches Bedrohungspotenzial aufzubauen. Die Vergangenheit DS’ lag weitestgehend im Dunkeln. Vera hatte irgendwann am Rande durchblicken lassen, dass er in seinem früheren »Leben« Ausbilder bei der Bundeswehr gewesen und unehrenhaft entlassen worden war. Weswegen? Fehlanzeige! Paul konnte Vera einmal in einer stillen Stunde herauskitzeln, dass er wohl mit Dingen aus der Waffenkammer etwas zu liberal umgegangen war. Was das auch immer heißen mochte. Wie Tante an die Person DS gekommen war und für ihre Dienste rekrutiert hatte, war ebenfalls ein Mysterium, über das sie nicht redete. Paul verspürte wenig Lust, da tiefer zu bohren. DS machte seinen Job hervorragend und das genügte ihm. Er fand es spitze, dass die alte Dame jemanden wie DS an ihrer Seite hatte, speziell in dem Business, in dem sie unterwegs war.
DS hatte beste Beziehungen zur Unter- bzw. Halbwelt und dort vor allem zu Typen, die ihren Kunden lediglich die Wahl zwischen Intensivstation oder Friedhof ließen. Das bedeutete jedoch keineswegs, dass DS ein Mann ohne Moral war – im Gegenteil. Er war ein Exemplar mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, das sein Herz an der rechten Stelle trug. Er selbst hörte das nur sehr ungern, es entsprach aber den Tatsachen. Eine seiner Marotten war es, auf Leute, die ihn fotografierten, allergisch zu reagieren. Wahrscheinlich existierte irgendwo auf dem Globus immer noch der ein oder andere Steckbrief mit DS’ Konterfei. Wer Dschingis-Stalin zu lange anglotzte und dann ablichtete, der hatte verloren. Da gab’s mal ganz schnell eines auf die Mütze.
DS blickte leicht verachtend und mit vor der Brust verschränkten Armen auf Hannes, der mit gebührendem Abstand vorm Eingang der Villa und der Hürde Dschingis stoppte. Er fand DS unheimlich und kaum kalkulierbar. Für ihn war das laufende Muskelpaket ein wildes Tier, das man nur sehr schwer unter Kontrolle halten konnte. Er bewunderte Vera dafür, dass ihr das perfekt gelang. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. DS hielt Hannes und Paul für penetrante Schnorrer, die auf Kosten der Arbeitgeberin Vera lebten. Und das war inakzeptabel – er hatte sich geschworen, sämtliches Unheil von Vera fernzuhalten. Und da zählten die beiden eindeutig zu. Klar war allerdings auch, dass DS der Agentur immer wieder in brenzligen Situationen aus der Patsche geholfen hatte. Und tief in seinem Inneren keimte das zarte Pflänzchen der Sympathie für den Neffen Veras und dem dazugehörigen Kumpel. Dann erblickte DS Margaux, die sich aus dem Park kommend zu Hannes gesellte. DS’ verhärtete Gesichtszüge sowie Körperspannung verschwanden schlagartig. Er hatte eine Schwäche für die zerbrechlich wirkende junge Frau. Schon vom ersten Moment an, als er sie gesehen hatte, entwickelte er starke Beschützerinstinkte für sie. Sie wusste es, und es war ihr nicht unangenehm – ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich geschmeichelt. Margaux ging auf DS zu und umarmte ihn. Der genoss die Umarmung.
»Margaux, mein Schatz, alles klar? Behandeln dich die beiden Kasperköppe mit dem gebührenden Respekt?«
Hannes verzog genervt das Gesicht. »Fragt denn auch mal jemand, ob Margaux Paul und mich gut behandelt? Warum sollen wir immer die Bösen sein?«
DS blickte Hannes nur an und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und Mittelfinger in der typischen V-Form erst auf seine Augen und dann auf die von Hannes.
»Schon klar, ich verstehe!«, antwortete der auf die nonverbale Drohung.
Margaux nahm DS am Arm und schlenderte mit ihm ins Foyer der Villa. Hannes folgte leicht bedröppelt – wie üblich, wenn es zu Kontakten mit dem Mongolen kam.
»Juhu«, flötete Vera, welche die voluminös geschwungene Treppe herunterschwebte. Es war ihr Auftritt. Und der war immer perfekt inszeniert und musste als gelungen bezeichnet werden. Sie sah tadellos aus. Das Alter Veras konnte man beim besten Willen kaum schätzen. Die roten Haare saßen vortrefflich und lagen locker auf den Schultern. Ein dezentes, unaufdringliches Make-up rundete das fast faltenfreie, sympathische Gesicht ab. Vera beschäftigte wohl einen der begabtesten plastischen Chirurgen Deutschlands mit viel Fingerspitzengefühl sowie einem Sinn für Ästhetik. Man wusste, dass sie über siebzig sein musste – Paul hatte sich einmal dahingehend geäußert. Aber wie sie hier und jetzt mit den stilvollen Klamotten ankam, die ihre schlanke Figur umschmeichelten, ging sie für eine gute End-Fünfzigerin durch. Wahnsinn!
»Kindchen.« Vera hielt die Arme auf, um Margaux zu umarmen. Die stürmte auf sie zu und fiel ihr in die selbigen. Eva blickte Hannes an, der sich leicht deplatziert fühlte.
»Na komm schon, Hannes. Gruppenkuscheln!«
Au ja, darauf hatte er jetzt mal so richtig Bock. Fehlte, dass DS mit feuchten Augen an der Umarmungsorgie teilnahm. Widerwillig sank er in Tantchens ausgebreitete obere Extremitäten.
»Na also, geht doch. So, und nun folgt mir in den Salon. Ihr bleibt zum Essen?« Vera entließ die Umarmten aus ihren Schwingen.
»Natürlich«, antworteten Margaux und Hannes, wie aus der Pistole geschossen. Aus gutem Grund: Veras Köchin war eine Meisterin des Faches.
»Und mein Neffe?«, fragte sie, während die drei im Salon Platz nahmen. Mit der Stärkung würde es noch einen Augenblick dauern.
»Der freut sich über deine Empfehlung in Sachen Blastonk an uns und lässt sich entschuldigen. Termine! Zudem entwickelt Paul unternehmerische Qualitäten – er hält das Honorar zusammen und möchte einen Großteil davon auf das Geschäftskonto packen. Ungewöhnlich!«, erläuterte Hannes.
»Na so was. Scheint in Paulchens Innerem doch das ein oder andere Unternehmer-Gen langsam aus dem Winterschlaf zu erwachen. Erstaunlich, aber durchaus positiv!«
Die vier machten es sich im Salon der Villa in diversen Klubsesseln bequem.
»Jemand einen Drink?«, fragte Vera in die Runde. Alle Anwesenden schüttelten den Kopf.
»Vielleicht nach dem Essen«, antwortete Hannes. »Was kannst du uns über Blastonk erzählen?«
»Okay, lass mal überlegen. Der Mann ist ein Schürzenjäger, wie er im Buche steht. Was nicht bei drei auf den Bäumen ist, hat verloren. Und ehrlich gesagt kapiere ich einfach nicht, was den Typen immer wieder für die tollsten Frauen anziehend macht. Habt ihr den Doktor auf Fotos gesehen? Versteht mich bitte nicht falsch, mein Georg – Gott habe ihn selig – war auch keine Schönheit und hatte einige Kilo zu viel auf der Waage, aber er war witzig, intelligent und hatte Charme«, sagte Vera und versank einen Augenblick in Erinnerung an ihren letzten und langfristigen Gatten.
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