»Nicht die Spur einer Ahnung, was im Hause Blastonk los ist?«
Die Verkäuferin fand als Erste die Contenance wieder. »Schamanen-Workshop?«
»Ja meine Beste. Wir treffen uns, wie erwähnt, einmal im Monat des nächtens im Kölner Grüngürtel, entkleiden uns und lauschen den Gedanken und Erfahrungen der Mutter Erde.«
»Entkleiden?«, fragte die verunsicherte Kauffrau irritiert nach. Die Ärmste dachte wohl, dass sie die Gesprächsführung übernehmen musste. Eine fatale Entscheidung, sie würde den Kürzeren ziehen.
»Natürlich Liebelein, was denkst du denn? Nur so können wir das gesamte Spektrum der Schwingungen aufnehmen und dem Geist einverleiben. Und wenn es zu extremer Körperlichkeit zwischen den Mitgliedern des esoterischen Zirkels kommt, dann ist die Erdgöttin Gaia manchmal gutgesinnt und beglückt uns mit ihren übersinnlich-transzendenten Botschaften«, referierte Palmira, die sich in Höchstform redete.
Rumpelstilzchen wurde hellhörig. Mittlerweile hatte sich der Rentner mit der roten Baskenmütze aus Palmiras Fängen befreit, blieb jedoch interessiert stehen und hörte aufmerksam zu.
»Ähm Gnädigste, was meinen Sie mit Körperlichkeit?«, fragte er flüsternd.
Palmira lächelte ihn verführerisch an und befingerte mit ihrer behaarten Bauarbeiterpranke zärtlich das Kinn des begierigen Pensionärs.
»Na, na, na, wer wird denn hier gleich wuschig werden. In der Tat haben es Fritz und ich beim letzten Treffen ein wenig zu heftig getrieben. Er fiel über mich her, wie der Mistral das französische Hinterland im Herbst heimsucht.«
Rumpelstilzchen hatte Feuer gefangen. Er hing fasziniert an Palmiras Lippen.
»Und jeder kann bei Ihnen Mitglied werden?«, fragte er schüchtern.
»Natürlich, Knuffelchen.«
Die Brötchenverkäuferin mischte sich wieder ein. »Herr Weyrich, Sie werden doch wohl nicht …«
Herr Weyrich räusperte sich und verließ fluchtartig den Laden. Dabei vergaß er die Tür zu öffnen und lief prompt gegen die Glasscheibe des Geschäftes. Es wummerte mächtig, Rumpelstilzchen prallte zurück und landete erneut in Palmiras Armen, was ihm nun weniger unangenehm schien als beim ersten Mal.
»Hey, immer schön vorsichtig, mein kleiner Hase! Wir wollen doch nicht, dass das nette Barett verrutscht.« Herr Weyrich versuchte aufs Neue, die Örtlichkeit seines psychischen und physiologischen Ausfalls zu verlassen. Der zweite Anlauf gelang. Er verließ den Laden, jedoch nicht, ohne Palmira noch einmal einen dezent verschwörerischen Blick zuzuwerfen. Sie hatte einen neuen Bewunderer , auch wenn sie Rumpelstilzchen wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Irgendwie schade!
»Also, von Ihnen hat Fritz in den letzten Tagen niemand gesehen?«, fragte sie abermals in die Runde der schockerstarrten Vorstadt-Tanten. Alle schüttelten heftigst den Kopf.
»Teuerste, sagen Sie, es ist doch sicherlich kein Problem, hier ein paar Flyer zu meinem neuen Workshop Einfach laufen lassen – freie Menstruation als Ausdruck persönlicher Freiheit und Gleichberechtigung auszulegen?« Ohne auf eine Antwort zu warten, die sowieso nicht kommen würde, legte sie einen kleinen Stapel der brisanten Textdokumente auf der Fensterbank ab.
»Ach ja, und grüßen Sie Dr. Blastonk von mir, wenn er bei Ihnen auftauchen sollte. Er soll sich bitte melden. Die Telefonnummer hat er ja.«
Palmira blickte umher und grinste innerlich – die Bombe war zielsicher eingeschlagen und hatte erfolgreich gezündet. Siegessicher verließ sie den Laden und schlenderte zu ihrem alten Renault R4, der direkt vor dem Geschäft parkte. Der Wagen begleitete sie schon seit unendlich vielen Jahren. Ehe sie einstieg, ließ sie ihre Blicke schweifen. In Marienburg war alles so ganz anders als in Ehrenfeld. Auch wenn sie es sich locker hätte leisten können, mit den Lotto-Millionen sich hier ein Domizil zuzulegen – sie wollte um nichts in der Welt tauschen. Köln-Marienburg zählte zu den größten, teuersten und exklusivsten Villenvierteln, die es in Deutschland gab. Hier fand man die opulentesten Villen sowie traumhaftesten Gärten und Parks. Und jede Menge prominenter Einwohner. Ab dafür! Die Körnerstraße in Ehrenfeld war ihr Mikrokosmos, in dem man sie kannte und vor allem akzeptierte. Und das war Palmira wichtig. Obwohl sie als Paradiesvogel galt und genauso aussah, legte sie großen Wert darauf, respektvoll behandelt zu werden. Und das war gar nicht so einfach. Denn mit der sooft beschworenen und zu jeder Gelegenheit besungenen beziehungsweise zur Schau getragenen kölschen Toleranz war es nämlich nicht so weit her. Jenseits der »toleranten« Fassade herrschte Mief und Spießbürgerlichkeit wie vor vielen Jahrzehnten. Selbst in Ehrenfeld! Es hatte lange gedauert, bis man sie akzeptiert bzw. toleriert hatte und nicht mehr hinter ihrem Rücken tuschelte und sie auslachte.
Keine Stunde später steuerte Palmira ihren Renault in die Körnerstraße und fand sogar einen Parkplatz nicht unweit ihrer Wohnung und des darunterliegenden Ladengeschäfts. Ein Glücksfall, so konnte der Tag weitergehen. Das Unheil nahte jedoch sehr schnell, und zwar in Gestalt Sabines. Palmira schnaufte, als Sabine ihr wild gestikulierend bedeutete, einen anderen Stellplatz für das Gefährt zu suchen. Die Büchse nervte! Oh Weltuntergang, sie hatte sich mal wieder auf den Parkplatz direkt vor ihrem Laden niedergelassen. Eine Ungeheuerlichkeit, da die junge Dame – ihres Zeichens Betreiberin und Inhaberin eines Design-Chi-Chi-Geschäfts – den öffentlichen Parkplatz für sich bzw. ihr Geschäft beanspruchte. In aller Regel stellte die liebe Kleinstkrämerin illegalerweise einen alten Sessel auf Rollen auf den Parkplatz. Palmira hatte keine Lust, diesmal klein beizugeben. Sie war auf Krawall gestrickt, hatte einfach Kupido auf Konfrontation. Es war wieder höchste Zeit, die kleine Zicke einzunorden. Also ließ Palmira das Auto stehen und schälte sich genüsslich aus dem Fahrzeug. In Palmiras Augen war Sabine nichts weiter als einer dieser typischen Öko-Opportunisten, die Ehrenfeld zunehmend bevölkerten und ihren Wohlstandsmüll heimlich auf die Mülltonnen der Nachbarschaft verteilten. Palmira hatte sie dabei schon ein paar Mal erwischt, was der Grund für Sabines Feindseligkeit ihr gegenüber war. Hauptsache, die alternative und hippe Fassade stimmte. Krönung der ganzen Verlogenheit waren die Avantgarde-Jazz-Weltmusik-Konzerte in ihrem Laden, in deren Rahmen sie für diverse Umweltschutzprojekte sammelte, sich aber keinen Deut um die Umwelt vor der eigenen Haustür scherte. Widerlich! Was aus der gesammelten Kohle wurde, stand zudem in den Sternen.
»Sabine, Engelchen, wo brennt’s denn?«, fragte sie scheinheilig. Das Design-Mäuschen bekam schon wieder hektische Flecken im Gesicht – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Palmira auf dem richtigen Kurs war. Na also, geht doch.
»Könnten Sie bitte nicht hier parken. Der Parkplatz gehört zu meinem Geschäft.«
»Ach, ist das so. Bisher dachte ich, es handle sich hier um einen normalen öffentlichen Parkplatz. Und jetzt kommt die ganz große Überraschung für dich, Liebelein. Hat das Ordnungsamt mir doch tatsächlich mitgeteilt, dass es sich um einen städtischen Parkplatz handelt. Komisch! Und mal im Vertrauen, Schätzchen: Die fünf Hippster-Besucher pro Tag kommen doch sowieso per Fuß oder Fahrrad, um sich deine eigenartigen Filz-Handy-Täschchen und all den anderen bescheuerten Kram anzuschauen.«
Das hatte gesessen! Sabine rannte schreiend in ihren Laden zurück. Was genau das zarte Seelchen lauthals brüllte, war beim besten Willen nicht zu verstehen. Gegenüber stand Paul, der das Geplänkel amüsiert verfolgt hatte. Er klatschte Applaus und grinste von Ohr zu Ohr.
Читать дальше