»Pass auf!«, schreit Zero, der sich gerade umgedreht hat.
Cyclone folgt seinem Blick. Schon wieder schwingt der Roboter sein riesiges Schwert. Diesmal so tief, dass sie nicht darunter hindurchtauchen können. Cyclone rennt zurück zu Zero, greift ihn am Kragen seines Kettenhemds, springt hoch in die Luft und reißt ihn mit sich. Weit unter ihnen fegt das Schwert über die Stelle, an der sie kurz zuvor noch standen.
Cyclone schafft es, sie in der Luft zu stabilisieren.
»Kannst du einen Pfeil auf die blaue Säule da drüben schießen?«
Zero folgt dem ausgestreckten Arm seines Freundes.
»Na klar, aber wozu? Er wird kaum etwas bewirken.«
»Hast du so wenig Vertrauen in deine Ideen? Hier ist das Bookmark. Schieß es in den Speicher und wir können direkt hierher zurückkehren.«
Cyclone reicht ihm einen kleinen Metallzylinder, den Zero auf seinen Pfeil steckt. Dann schießt er ihn ab. Der Windgott hat ein ungutes Gefühl und wirft einen Blick nach oben. Ein zweiter Koloss ragt über ihnen auf und ist gerade dabei, in die Hände zu klatschen. Von beiden Seiten kommen sie auf ihn zu. Es besteht kein Zweifel, dass er sie wie zwei lästige Fliegen zwischen seinen Pranken zerquetschen will.
»Weg hier!«, ruft Cyclone. »Und zwar schnell.«
***
Gerade rechtzeitig hat Aya die Nanobots aktiviert, um Vilca abzufangen. Nun liegt sie bewusstlos vor ihr. »Vilca wach auf!«, ruft sie besorgt, legt ihren Kopf in ihren Schoß und rüttelt an den Schultern.
»Ooooooohhhh!«, stöhnte die unfreiwillige Fliegerin. »Mir ist schlecht. Ich glaube ich mu …«
»Igitt!«, protestiert Aya, schubst Vilca von sich und wendet sich ab. »Kannst du dich nicht zusammenreißen? Ausgerechnet du! Deine Manieren waren auch schon mal besser. Zuerst lässt du dich aus dem Fenster schießen, obwohl ich mit den Nanobots noch gar nicht bereit bin und dann spuckst du hier alles voll.«
Sie sieht Vilca angeekelt an. Diese schaut sie mit glasigen Augen an.
»S… Sorry, ich bin noch ganz durcheinander. Einer von denen ist verdammt nah an meiner Resonat … Resonanzfrequenz. B… bin ich noch ganz?«, fragt sie mit zitternder Stimme.
»Nein!«, antwortet die Chinesin mit hochgezogener Nase und zusammengekniffenen Augenbrauen. »Teile von dir liegen hier herum. Ich kann gar nicht hinsehen.«
Aya glaubt, noch etwas zu hören, das sich wie »Sam helfen.« anhört, dann bricht Vilca zusammen und rührt sich nicht mehr.
Eine Sekunde später taucht ein Schatten über ihr auf und beugt sich herab. »Aya, was ist mit ihr?«, fragt Urs besorgt. »Ist sie schwer verletzt? Lebt sie noch?«
»Ja. So schlimm kann es nicht sein. Sie kann sich übergeben. Das heißt, wesentliche Teile funktionieren noch.«
Urs betrachtet seine Freundin irritiert und schüttelt den Kopf.
»Aya, reiß dich zusammen! Vilca hat eine doppelte Ladung abbekommen und ist soeben aus dem dritten Stock geflogen. Ein Wunder, dass sie noch lebt.
Ich bringe sie in unser Fluchtfahrzeug und dann müssen wir uns um Sam und Paul kümmern. Du machst inzwischen die Nanobots klar. Wir müssen hoch.«
Aya überlegt kurz, unten zu bleiben. Für heute hat sie schon genug Action gehabt. Aber das hieße, bei Vilca bleiben zu müssen. Womöglich wird die sich noch einmal übergeben. Kurz entschlossen greift sie sich eine der herumliegenden Waffen.
»Ich komme mit!«, verkündet sie.
Urs und Aya schweben durch das zerbrochene Fenster. Von Sam und Paul ist nichts zu sehen. »Verdammt, sie haben die beiden mitgenommen.«, flucht Urs. »Wir müssen sie suchen.«
»Und wo sollen wir sie suchen?«, fragt Aya angespannt.
Urs schaut sich in dem Raum um. Vor ihnen klafft ein Loch in der Wand, durch das man auf einen Gang sehen kann, der sich nach links und rechts verzweigt. Unterhalb des Durchbruchs fehlt ein Stück vom Boden. Urs bemerkt die Wächter in dem darunterliegenden Büro. Sie rühren sich nicht. Ob sie tot oder nur bewusstlos sind, kann er von oben nicht feststellen.
Die Seitenwände des Büros sind ebenfalls durchbrochen. Die Ränder sehen aus wie mit einem Laser herausgeschnitten. Ihm fällt auf, dass die Tür zu dem Büro verschlossen ist. Wozu auch den Aufwand betreiben und durch eine Tür gehen, wenn man doch eine Waffe hat, mit der man einfach so durch Wände spazieren kann? , fragt er sich.
Sein Verstand drängt ihn, sofort loszustürmen, in der Hoffnung, seine beiden Freunde so schnell wie möglich zu finden. Sein Instinkt warnt ihn. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Aya macht eine Bewegung auf das Loch in der rechten Seitenwand zu, aber Urs hält sie zurück und legt einen Finger auf die Lippen. Die Chinesin sieht ihn fragend an. Er deutet auf die Tür. Egal, in welche Richtung sie das Büro verlassen, sie würden immer auf demselben Gang enden.
Urs richtet seine Waffe auf die Stelle, die er Aya angezeigt hat. Dann gibt er seiner Freundin ein Zeichen nach ihm zu schießen. Diese beobachtet, wie er seine SIRP einstellt. Sie schüttelt energisch den Kopf und gibt ihm zu verstehen, dass er nach ihr abdrücken soll.
Als Aya sah, wie er seine Waffe einstellte, musste sie unwillkürlich an Vilca denken. Urs hat sie auf die optimale Resonanzfrequenz für die Wand eingestellt. Das würde die Wand zerstören, aber die Menschen dahinter kaum in Mitleidenschaft ziehen. Sie bekommen also eine Chance, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Bei dem Angriff auf Vilca hatten die Wächter vermutlich absichtlich eine Frequenz gewählt, die auf Menschen wirkt. Gerade so nah an der Resonanzfrequenz, um sie außer Gefecht zu setzen, aber weit genug weg, um sie nicht ernsthaft zu verletzen. Es ist eine feine Gratwanderung.
Die Wächter, die Urs hinter der Wand vermutet, sind ihr egal. Sam und Paul aber nicht. Aya stellt ihre Waffe ein und aktiviert sie. Kurz darauf glaubt sie ein Stöhnen zu hören. Daraufhin gibt sie ihrem Freund das Zeichen.
Dessen Schallimpuls zertrümmert die angeschlagene Tür und einen Teil der Wand mit einem lauten Plopp und schleudert die Menschen dahinter zu Boden. Urs und Aya sprinten los, um nach Sam und Paul zu schauen. Beide liegen da und rühren sich nicht. Im Gegensatz zu den zwei Wächtern. Das Paar kauert am Boden und übergibt sich. Ohne zu zögern, schlägt Urs sie k.o. Aya wirft ihm einen dankbaren Blick zu.
Dann drückt er ihr seine Waffe in die Hand und überprüft den Zustand von Sam und Paul. »Ich glaube, sie sind unverletzt. Ob sie bewusstlos sind oder nur ins Holovers vertieft, kann ich nicht sagen.«
Aya überlegt einen Moment. Dabei vermeidet sie sorgfältig, auf den Boden zu schauen. Am liebsten hätte sie sich die Nase zugehalten, um nicht schon wieder den säuerlichen Geruch nach Erbrochenem einatmen zu müssen. Das geht aber nicht, da sie in jeder Hand eine Waffe hat.
»Es gibt eine einfache Möglichkeit das herauszufinden. Stell sie hin. Wenn sie stehen bleiben, sind sie im Holovers noch aktiv.«
Vorsichtshalber tritt sie zwei Schritte zurück. Womöglich zeigt auch deren Magen eine Reaktion, wenn sie bewegt werden.
»Gut, dann schauen wir uns mal an, wie sie reagieren.« Gerade als Urs sich zu ihnen herunterbeugen will, schlagen beide die Augen auf. Verwirrt sehen sie sich um. Dann stöhnen beide, rollen sich zur Seite und übergeben sich.
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