Er verdankt Enola sein Leben und den Fortbestand in diesem Holovers. Cyclone befürchtet, dass sie bei dem Angriff vollständig gelöscht wurde und dass von ihrem Programm nichts mehr übrig ist.
***
Wieder ist Vilca schneller. Während die Wachen noch immer verwirrt sind, stellt sie ihre SIRPs auf Resonanz um und richtet sie auf den Boden unter den Füßen des Wachdienstes. Mit sicherem Instinkt erwischt sie auf Anhieb die Resonanzfrequenz der Betondecke. Innerhalb von Sekunden löst sich die Standfläche ihrer Verfolger auf und sie stürzen in die Tiefe.
Vilca vergewissert sich, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht und geht dann ans Fenster. Sie schaut hinüber zum Treffpunkt, kann aber niemanden erkennen. In Gedanken wägt sie ihre Optionen ab. Wegen des Lochs im Boden kann sie nicht einfach zurück. Schon gar nicht mit den beiden Zombies im Schlepptau. Zum Runterspringen ist es zu hoch und eine Klettermöglichkeit ist weit und breit nicht in Sicht. Da bleibt nur noch ein Ausweg.
Gerade als sie ihre Waffe auf die Seitenwand des Büros richtet, bemerkt sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Von dem gegenüberliegenden Gebäudeflügel rennen zwei Gestalten über den freien Platz, um dann zwischen den Fahrzeugen Deckung zu suchen.
Kurz darauf stürmen zwei Wachtrupps heraus. Sie verteilen sich, um den Parkplatz Reihe für Reihe abzusuchen. Von oben beobachtet sie, wie Urs und Aya geduckt von Fahrzeug zu Fahrzeug schleichen. Das Ende ist absehbar. Eine Weile können sie sich noch verstecken, aber die Wächter gehen systematisch vor. Es gibt kein Entrinnen.
Vilca versteckt sich hinter einem Schreibtisch, der direkt vor dem Fenster steht. Von hier hat sie einen guten Überblick, ist von unten aber nicht zu sehen. Sie wartet auf einen geeigneten Moment.
Als die Wächter kurz davor sind ihre Freunde zu entdecken, zerschießt sie die Fensterfront. Dann feuert sie auf die Sicherheitsdienstler. Auf die Entfernung kann sie selbst bei voller Leistung niemanden ernsthaft verletzen. Aber sie schafft damit genug Verwirrung und Ablenkung, dass Urs und Aya mit ihren Angreifern fertigwerden.
»Was machst du denn da oben?«, ruft Urs. Seine Stimme hallt von den Wänden wider. »Wir wollten uns doch unten treffen.«
»Ein schlichtes Danke hätte es auch getan.«, entgegnet sie genervt. »Habt ihr unsere Ausrüstung?«
»Ja!«, ruft Urs.
»Dann lass mal die Nanobots los. Der Weg über das Treppenhaus ist zu gefährlich. Mit den zwei Zombies im Schlepptau ist es am besten runterzuspringen.«
»Okay. Aya übernimmt die Nanobots und ich kümmere mich um unser Fluchtfahrzeug.«
»Willst du wirklich da runterspringen?«, fragt Aya skeptisch. »Solange Paul und Sam geistig im Holovers unterwegs sind, ist das ziemlich riskant. Noch dazu, wenn ihr die Nanobots nicht selbst steuern könnt. Gibt es keinen anderen Weg?«
»Jetzt mach schon! Ich habe keine Zeit für lange Diskussionen.«, ruft Vilca ungeduldig. Sie hört ein Geräusch hinter sich. »Beeil dich gefälligst. Da kommen schon wieder welche.«
Vilca geht auf die andere Seite des Büros, möglichst weit weg von Sam und Paul. Sie stellt sich hinter eine Pflanze, um von dort aus die hereinstürmenden Wachen unter Beschuss zu nehmen. Dann kommt ihr eine bessere Idee. Sie stellt ihre Schallimpulskanone auf Resonanz um, wartet bis die Wächter nah genug sind und vergrößert dann das Loch im Boden. Schreiend und fluchend stürzt der Trupp in die Tiefe.
Die Freude darüber ist von kurzer Dauer. Plötzlich spürt sie ein Kribbeln auf der Haut. Das Gefühl wird schnell stärker und bringt ihren ganzen Körper zum Vibrieren. Vilca ahnt, was das bedeutet. Jemand ist dabei, die Seitenwand neben ihr zu zertrümmern. Auf der Suche nach der Resonanzfrequenz benutzt er ein möglichst breites Spektrum. Mittlerweile ist das Beben in ihrem Körper so durchdringend, dass sie taumelt. Dann endlich lässt es nach und die Wand beginnt feine Risse zu zeigen.
Vilca ist so übel, dass sie sich am liebsten übergeben würde. Das passt irgendwie. Das Wachpersonal und die ständigen Angriffe findet sie sowieso zum Kotzen. Der Gedanke weckt wieder ihre Lebensgeister. Trotzdem muss sie ihren ganzen Willen und ihre Disziplin aufbringen, um ihre SIRPs in Stellung zu bringen. Mit der einen gibt sie der zerbrechenden Wand denn Rest. Gleich darauf feuert sie ihre zweite Schallimpulskanone ab. Die Überraschung gelingt ihr. Mit einem Schuss hat sie den ganzen Trupp ausgeschaltet.
Doch die Freude währt nur kurz. Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie sich an der gegenüberliegenden Wand eine kreisrunde Fläche dunkel färbt. Mit einem Champagnerkorkenplopp zerstiebt dieser Teil der Wand und rieselt als Staub herab. Schwindel lähmt ihre Bewegungen. Noch bevor sie eine ihrer Waffen ausrichten kann, wird sie von zwei Schallimpulsen getroffen und durch das Fenster nach draußen geschleudert. Von ihrem spektakulären Flug aus dem dritten Stock bekommt sie nichts mehr mit. Der Aufprall am Boden presst ihr die Luft aus den Lungen und raubt ihr endgültig die Besinnung.
***
Eine Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Träge zieht sich Cyclone an seinem Dreizack hoch und dreht sich um. Seine Sicht ist verschwommen. Er glaubt, einen Wikinger auf sich zu rennen zu sehen. Auf jeden Fall scheint es kein Wachmann zu sein. Das kann aber auch ein Trick sein. Wer immer es ist, er spurtet durch die Bresche, die er in die Mauer brach, um in die Halle einzudringen. In großen Sätzen springt die Gestalt über die verstreuten Gesteinsbrocken.
»Cyclone hierher! Schnell. Beweg dich, du Lahmarsch.«
Der Windgott zögert. Er kneift die Augen zusammen.
»Zero, bist du das?«
»Na klar bin ich das, wer denn sonst. Wirf mal einen Blick auf dein Identifizierungsprogramm.«
»Das wird nicht viel nützen.«, murmelt Cyclone, während er sich Richtung Zero in Bewegung setzt. »So wie die meisten meiner Programme ist auch dieses abgestürzt. Es wird noch ein paar Sekunden dauern, bis alle neu gestartet sind. Bis dahin wäre ich dir dankbar, wenn du mir Deckung geben würdest.«
Zero hält in einer Hand seine Axt und in der anderen seinen Schild. Letzteren vergrößert er und hebt ihn über den Kopf. Kurz bevor er seinen Freund erreicht, wird ein zweiter Schuss abgefeuert, den er mit seiner Passivwaffe abfängt. Von der Wucht des Aufpralls wird er nach vorne geschleudert und kracht auf Cyclone.
Zero rappelt sich auf und bringt seinen Schild wieder über seinem Kopf in Position.
»Cyclone steh auf! Wir müssen hier so schnell wie möglich weg.«
Als Antwort erhält er nur ein gequältes Stöhnen.
»Enola, sie ist ...«
»Reiß dich zusammen.«, unterbricht ihn sein Freund. »Du bist zu schwer. Ich kann dich nicht tragen.«
Zero sieht ein, dass es hoffnungslos ist. Er packt Cyclone am Fuß und schleift ihn Richtung Bresche. Währenddessen sieht er sich nach der Waffe um, mit der sie beschossen werden. Er kann sie nicht finden. Sein Blick schweift zurück zu dem Durchbruch. Weit darüber ist ein rundes Ornament mit dickem rotem Rand und silbernen Verzierungen. Noch während Zero das Muster misstrauisch studiert, beginnt es zu leuchten.
Er kann sehen, wie sich ein rötlicher Lichtkegel löst und auf ihn zurast. Gedankenschnell richtet er seinen Schild dagegen aus. Der Aufprall schleudert ihn weit durch die Luft und zertrümmert seine Defensivwaffe. Zero landet hart auf dem Marmorboden und rutscht noch ein paar Meter, bevor er liegen bleibt.
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