Es hat sich dazu ein Schriftstück erhalten, das Wilhelm Pinder geschrieben hat:
Am 25. Juli des Jahres 1860 stifteten die Unterzeichnenden auf der Schönburg eine Vereinigung der sie den Namen Germania gaben. Sie sollte vorzüglich zu einer größeren Ausbildung der Mitglieder in den Künsten und Wissenschaften beitragen. Zu diesem Ende wurden folgende Statuten [als ein schulgesetzlicher Rahmen gewissermaßen] festgesetzt:
§ I Im Laufe jedes Monats wird von P. N. und K. [Pinder, N und Krug] eine Arbeit geliefert. Jedem steht es frei, eine musikalische Komposition, ein Gedicht oder eine Abhandlung zu liefern. Jeder ist jedoch verpflichtet, im Jahr mindestens 6 Abhandlungen anzufertigen, unter denen 2 Zeitgeschichte oder Zeitfragen behandeln müssen.
§ II In einer Chronik der Germania werden die Einsendungen der Mitglieder kritisiert. Es wird hierzu ein Chronist für jedes Vierteljahr bestimmt. Diese Chronik wird auf den vierteljährlichen Versammlungen vorgelesen und gilt für eine Monatslieferung.
§ III Monatlich wird ein Beitrag von 5 Silbergroschen an die Vereinskasse entrichtet. Dieses Geld wird verwendet: das eine Halbjahr zu Musikalien (besorgt durch K.), das andere zu Büchern (besorgt durch P.) Über die Beiträge jedes Einzelnen wird besondere Rechnung geführt.
§ IV Vorschläge zur Anschaffung von Werken werden in folgender Reihe gemacht: Musikalien K., Bücher P., Musikalien N. Bücher K. etc. Ein Werk kann nur bei völliger Übereinstimmung angeschafft werden. Wer etwas vorschlägt, erhält es nach Auflösung der Germania als Besitztum.
§ V a.) Sollte jemand zu seinem Ankauf mehr als 3 Taler gebrauchen, so wird von seinem nächsten Ankauf das Mehr abgezogen.
b.) Wenn der jährliche Beitrag nicht völlig verwendet wird, so wird der Rest zu dem Betrage des Halbjahrs wo derselbe wieder Vorschläge zu machen hat, hinzugeschlagen.
§ VI Die Kasse und die Bibliothek verwaltet K. und besorgt nach Wunsch eines Einzelnen die Versendung.
§ VII Vierteljährlich findet eine Versammlung statt. Hierbei hält jedes Mitglied einen Vortrag der als Lieferung für den Monat gilt, in welchem die Versammlung gehalten wird. Jeder Vortrag muss aus einem anderen Gebiet entnommen sein. Die Verteilung der Fächer wird durch Beschluss bestimmt. Auf diesen Versammlungen muss ferner jeder über ein Thema das ihm gestellt wird, einen freien Vortrag halten.
gegeben 25.Juli 1860; revidiert Naumburg 16. April 1862.
Wilhelm Pinder, Gustav Krug, Friedrich Wilhelm N BAW2.438f
Pflichten und Rechte waren also festgelegt. Es herrschte eine bürokratische Genauigkeit. Warum? Um sicher zu gehen? Wer gegenüber wem? Der Ernst der spielerischen Unternehmung hat wohl diese Satzung diktiert und gehörte somit eigentlich nicht mehr zum Spiel, sondern sollte tiefer gehen. Er gehörte zu Ns Hang, alles gleichsam „metaphysisch“ zu nehmen, schwerblütig und wohl auch recht humorlos dabei zu sein, wenn die Verabredungen nicht eingehalten wurden. Mit diesen Paragraphen gab es für die „Germania“ so etwas wie ein „Schulgesetz“, einen Halt, auf den man sich verlassen und berufen wollte, was N, der um Rechtfertigungen bei seinen Handlungen immer sehr besorgt war, zu seiner Beruhigung brauchte.
Am 18. September 1860 schrieb Onkel Edmund Oehler, bei dem N mit Wilhelm Pinder in den Sommerferien zu Besuch gewesen war aus Gorenzen:
Mein lieber Fritz! Nun bist Du gewiss wieder in Deiner Pforta eingewöhnt und sie ist Dir lieb und wert die Alma mater und die Ferien sind vergessen, es ist auch recht so, ein Ding zu seiner Zeit, tüchtig erholt und tüchtig gearbeitet, nur Gottes Lieb in Ewigkeit. Dein Besuch, mein lieber Fritz, hat mir viel Freude gemacht und bist hiermit ein für alle Mal von mir eingeladen zu allen Ferien ….. den lieben Pinder bring einmal wieder mit das ist auch eine gottsinnige Seele ….. nun beginnt wohl bald wieder der Konfirmationsunterricht und die Vorbereitung auf den heiligen Tag der Konfirmation. Ich wünsche von Herzen und bete für Dich, dass Magister Keimanns Losung auch Deine Losung werde: Meinen Jesum lass ich nicht, wie er sich für mich gegeben, So erfordert meine Pflicht, klettenweis an ihm zu kleben. Er ist meines Lebens Licht; meinen Jesum lass ich nicht. Leb wohl mein lieber Fritz. Der Herr gebe Dir Kraft, Gnade und Segen zum Beten und Arbeiten. Grüß die lieben Naumburger, auch den lieben Pinder. Gott befohlen! Dein Onkel Oehler
Im Herbst dichtete N einen „Hirtenchor“: Chor der Männer: Nach dir Herr verlanget mich. Mein Gott ich hoffe auf dich! Herr zeige mir deine Wege Und lehre mich deine Stege ….. Chor der Frauen: Wie der Hirsch schreit, nach frischem Wasser so schreit meine Seele Gott zu dir! Meine Seele dürstet nach Gott Nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen Dass ich Gottes Antlitz schaue? [usw. Dabei hatte N angeblich doch - vor einigen Jahren schon! - Gott in seinem Glanze gesehen. In gleichem Stil singen Greise einzeln, dann alle zusammen:] O Wunderlicht, o Gnadenschein! O schaut das helle Gotteszeichen Vor dem sich alle Sterne neigen! O Wunderlicht, o Gnadenschein! BAW1.220f[Dann tritt der Erzengel Gabriel auf, ein Engelchor und sogar Maria; lauter Versuche, sich dem Namenlosen, dem Gefühl der Verehrung, der Heiligkeit zu nähern und Worte für Gefühle zu finden oder doch eher umgekehrt: Gefühle in nicht heillos enttäuschende Worte zu übersetzen?]
Zu seinem Geburtstag am 15. Oktober 1860 schrieb Wilhelm Pinder an N in Pforta:
Lieber Fritz! Da es den Anschein hat, dass ich Dir die mich beseelenden Gefühle an dem heutigen Tage nicht in Worten aussprechen kann, so will ich dies wenigstens schriftlich tun [was ein wenig nach einer „Revanche“ für den Konfirmationsbrief vom Frühjahr klingt]. Tausend Wünsche für Gesundheit, Wohlergehen, Erhaltung Deiner Freundschaft bringe ich Dir dar, zugleich aber mit Gustav [Krug, dem mit Abstand musikalischsten von den Dreien, der aber weit mehr Pinders Freund als der Ns war] zusammen die 6 kleinen französischen Suiten von Bach. Ob dies nach Deinem Geschmack, ob Du es nicht schon besitzest, das weißt Du allein und die allmächtigen Götter [was seines Plurals wegen absolut nicht mehr streng christlich klingt!]. Möge es, wenn Du einst diese herrlichen Kompositionen des alten Meisters spielst, wie Erinnerung über Dich kommen, wie Erinnerung an das musikalische Genie des einen [Gustav Krug] und das musikalische Defizit des anderen Gebers [womit Wilhelm Pinder sich selber meinte]. - Leider werden wir uns wohl nicht so bald sehen können …..
Am 15. Oktober 1860, an einem Montag, feierte N zum dritten Mal seinen Geburtstag in Schulpforta und in diesem Herbst, mit dem Wechsel von Obertertia nach Untersekunda und dem letzten Halbjahr des Konfirmandenunterrichtes kam die Zeit, in der N und Paul Deussen sich näherkamen, einander in ihrer gemeinsamen Freude an den „wenige Schwierigkeiten“ bereitenden griechischen Versen des Anakreon entdeckten und im Schlafsaal schnupfend vom „Sie“ zu dem - von N aus selten zugelassenen - „Du“ eines erklärtermaßen brüderschaftlichen Freundschaftsbundes gelangten, der aber keinerlei Spuren in Ns dank der „Germania“ intensivierten Gedankenaustausch mit den althergebrachten Freunden Wilhelm Pinder und Gustav Krug hinterließ, denn Paul Deusen gewann, als neugewonnener Pfortaer Freund bei N „nach außen hin“ keine tief gehende Bedeutung. Danach, so berichtete Deussen, gab es im nächsten Jahr einen weiteren Anlass, der: Ein neues Band zwischen uns knüpfte am Sonntag Laetare [laetare = „freue dich“, der Sonntag in der Mitte der Fastenzeit] des Jahres 1861: Die gemeinsame Konfirmation. PDE.4 u. PDL.70
Ende November 1860 schrieb Gustav Krug aus Naumburg an N den ersten von wenigen - oder einfach nur seltener als die von Pinder erhalten gebliebenen? - Briefe an N in Schulpforta, als Antwort auf einen nicht überlieferten Brief Ns:
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