»Sehen Sie«, sagt Horst Padberg. Dann wird er ernst. »Glauben Sie, dass Sie den Mörder finden werden?«
»Ich kenne ihn sogar schon«, sagt Marlene Kemper. »Sie haben Ihren Bruder getötet, Herr Padberg.«
»Aber...« Padbergs Stimme wird zu einem Krächzen. Hilflos hebt er seinen Gipsarm.
Marlene lächelt: »Sie meinen den Gips am Arm - den haben Sie vor dem Mord abgenommen. Nach dem Mord haben Sie sich selbst einen neuen Gipsverband angelegt, um den Verdacht von sich abzulenken. Nur leider haben Sie dabei etwas übersehen.«
Was?
Lösung:
Padberg wurde von seinem Bruder Horst erwürgt. Horst hatte sich vor der Tat seinen den Gipsverband von seinem rechten Arm entfernt und ihn nach dem Mord selbst einen neuen Gips angelegt, umso den Verdacht von sich abzulenken.
Marlene Kemper kam ihm auf die Spur, weil sie zuvor bei Maria Padberg ein Foto von Horst gesehen hatte, auf dem zu erkennen war, dass sein Gipsarm mit bunten Bildern und Sprüchen bemalt gewesen war. Als sie Horst dann aufsuchte, zeigte der ihr einen neuen, blütenweißen Gipsarm vor und bestätigte auch noch, dass der Gips nicht erneuert worden war, seitdem er ihn angelegt bekommen hatte.
06. Das Computer-Geheimnis
Bernd Kummer macht seinem Namen keine Ehre. Der Computerfachmann ist ein langer Schlacks mit strahlend blauen Augen, dem gesunden Bronzeteint eines passionierten Outdoor-Freaks und dichtem, langen Haar, das er zum Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Kommissarin Marlene Kemper muss zugeben, dass dieser Kummer ihr Kummer macht, denn sie findet ihn ziemlich sympathisch. Und sie muss auch zugeben, dass sie seine Einladung, ihn hier im Rechenzentrum der »Passionate Programs« zu besuchen, für einen hübschen kleinen Flirtversuch hält, um die Bekanntschaft zu vertiefen, die sie vorgestern in »Bernies Club« bei Wodka Bitter Lemon und Pfefferminzlikör geschlossen haben.
»Da wären wir!« Bernd Kummer zieht an der Sicherheitstür zum Entwicklungsbereich seine Codekarte durch das Lesegerät. Klickend öffnet sich die Tür. Marlene Kemper folgt dem Computerspezialisten in einen kleinen, klimatisierten Raum. Neben den beiden penibel aufgeräumten Schreibtischen stehen zwei unscheinbare Tower-Computer.
»Lassen Sie sich nicht täuschen«, meint Kummer. »Das sind die besten Rechner, die man in dieser Klasse derzeit für Geld kaufen kann. Meine beiden Kollegen und ich entwickeln hier für ›Passionate Programs‹ neue Software.«
Kummer setzt sich an seinen Schreibtisch und schaltet seinen Computer ein. Marlene wird langsam klar, dass Bernd Kummer vielleicht wirklich Kummer hat - genau, wie er es ihr vorhin am Telefon gesagt hat.
BITTE PASSWORT EINGEBEN
erscheint auf dem Monitor. Kummer tippt ein paar Buchstaben ein.
»Aha«, sagt Marlene, weil sei denkt, dass es ganz gut wäre, wenn sie auch einmal etwas sagt.
»Das ist das Problem«, meint Kummer. »Einer meiner beiden Kollegen muss mein Passwort ausspioniert und sich an meinem Computer zu schaffen gemacht haben.« Er sieht Marlene verlegen lächelnd an. »Das ist doch ein Fall für dich, Frau Kommissarin!«
Marlene sieht zu dem leeren Schreibtisch gegenüber. »Arbeiten deine Kollegen dort drüben? Zwei Mann an einem Schreibtisch?«
Kummer bestätigt das. »Herbert Andernach und John Saxon, unser US-Import. Die beiden teilen sich eine Arbeitsstelle und sind deshalb nur halbe Tage hier. Saxon ist seit Montag auf einem Lehrgang in den Staaten. Weil ich mein Passwort nirgendwo aufgeschrieben habe, muss mich einer der beiden beim Eintippen beobachtet haben. Das kann gut sein, weil wir nicht immer an unseren Schreibtischen sitzen, sondern manchmal auch im Raum herumgehen.« Kummer zeigt zu der edlen Kaffeemaschine auf dem Sideboard neben der Tür. »Wir machen uns Kaffee, oder wir verschaffen einfach unseren steifen Knochen etwas Bewegung.«
»Wir hast du denn bemerkt, dass sich jemand an deinem Computer zu schaffen gemacht hat?«, will Marlene Kemper wissen.
Kummer ruft ein Programm auf. »Zum ersten Mal bemerkt habe ich es am Freitag letzter Woche«, sagt er. »Ich hatte am Donnerstag in diesem Programm etwas geändert. Als ich es am Freitag aufrief, sah ich, dass die Änderungen rückgängig gemacht worden waren.«
»Das klingt ja so, als würde jemand versuchen, deine Arbeit zu sabotieren!« Marlene Kemper greift nach ihren Pfefferminzbonbons. »Darf ich?«, fragt sie angesichts der klinisch sauberen Umgebung. Und als er nickt, hält sie Kummer das Döschen hin: »Auch eins?«
Kummer greift zu und sagt: »Wir Entwickler bekommen Erfolgsprämien. Wer von uns zuerst eine Aufgabe löst, ist der Gewinner. So ist das im IT-Business.« Er seufzt. »In den letzten Monaten hatte stets ich die Nase vorn. Saxon und Andernach hatten stets das Nachsehen.« Kummer holt eine Liste aus seinem Schreibtisch. »Hier ist unser Dienstplan. Wie du siehst, arbeitet Saxon jeweils von 9 bis 13 Uhr und Andernach von 13 bis 17 Uhr. Ich bin ganztags hier und habe von 12.30 bis 13.30 Uhr Mittagspause. In dieser Zeit hätte sich sowohl der eine oder der andere an meinem Computer zu schaffen machen können.«
»Hast du denn einen Verdacht?«, fragt Marlene.
Kummer zuckt mit den Schultern. »Mit Saxon bin ich befreundet. Ihm würde ich so eine Niederträchtigkeit nicht zutrauen. Aber man kann sich ja auch in einem Menschen täuschen. Mit Andernach habe ich nur ein kollegiales Verhältnis. Nach dem Vorfall am vergangenen Freitag habe ich natürlich alle meine Programme genau im Auge behalten. Am Montag war noch alles in Ordnung, aber am Dienstag sah ich dann, dass wieder etwas in meinen Programmen geändert war. Du verstehst bestimmt, dass ich gern wissen möchte, wer dieser intrigante Kollege von mir ist - Saxon oder Andernach.«
»Aber das ist doch ganz klar!«, meint Marlene. »Es ist Herbert Andernach.«
Bernd sieht die Kommissarin überrascht an. »Aber wie...«
Marlene grinst. »Wie ich das beweisen kann? Nun, mein Lieber, das kostet dich ein Abendessen und hinterher noch ein paar Gläschen Pfefferminzlikör bei Bernie!«
Wie kommt Marlene zu ihrem Schluss?
Lösung:
Die zweite Änderung in Bernd Kummers Programmen fand in der laufenden Woche von Montag auf Dienstag statt - in dieser Woche hatte aber nur Andernach Dienst, weil Saxon seit Montag auf einem Lehrgang war. Also kam nur Andernach in Frage.
Das Firmengebäude der Petersen-Elektronik hat dem Architekten Max Krubeck seinerzeit viel Lob in den Medien eingebracht. Jetzt, ein halbes Jahr nach der Einweihung, wird der Büroturm mit der Granitfassade sicher wieder Schlagzeilen machen. Diesmal allerdings, weil er Schauplatz eines Mordes ist. Robert Petersen, Chef der Petersen-Elektronik ist in seinem Büro in der 14. Etage erschossen aufgefunden worden.
»Herr Petersen hatte am Vormittag eine Besprechung mit Herrn Krubeck. Nachdem Krubeck um elf Uhr gegangen war, hat Petersen sich in sein Büro eingeschlossen«, sagt die Direktionsassistentin, als Kommissarin Marlene Kemper eintrifft. »Das tat Petersen häufig, wenn er ungestört arbeiten wollte.«
Als Petersen dann nach zwei Stunden nicht zu seinem nächsten Termin herausgekommen ist und auch nicht auf Anrufe auf seinem Handy reagierte, hat die Direktionsassistentin den Haustechniker gerufen und die schallgedämpfte Tür öffnen lassen. Die beiden haben den Firmenchef so gefunden, wie ihn auch Kommissarin Marlene Kemper jetzt sieht: Petersen ist mit dem Oberkörper über seinen Schreibtisch gesackt, in seiner Schläfe klafft eine Schusswunde. In seiner leblosen rechten Hand liegt eine Pistole.
»Vorgetäuschter Selbstmord!«, erklärt der Rechtsmediziner schon nach kurzer Untersuchung. »Und zwar ziemlich stümperhaft vorgetäuscht: Der tödliche Schuss wurde aus etwa zwei Metern Entfernung abgegeben, denn es gibt keine Schmauch- oder Verbrennungsspuren an die Schläfenwunde. Erst nach dem Schuss hat man dem Toten die Waffe in die Hand gedrückt.« Petersen ist, wie der Rechtsmediziner feststellt, kurz nach elf Uhr getötet worden.
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