Ich gestehe, dass mich so kurz vor dem Angriff ziemliche Unruhe befiel, und ich tastete mehrmals über den von Apacueye erhaltenen Ring, als glaubte ich, er könnte mir Glück bringen. Doch schon als wir den angeschwollenen, reißenden Fluss durchschritten, was unser ganzes Geschick erforderte, wich das bange Gefühl fester Entschlossenheit.
Bis auf die Haut durchnässt, aber heil am andren Ufer angelangt, setzten wir unsren Marsch schweigend fort. Von tiefer Dunkelheit und peitschendem Regen verborgen, erreichten wir ohne Zwischenfall den Stadtrand. Kurz danach entdeckte Cortés das Licht auf einem Tempel.
„Ich schätze, dort hat Narváez sein Quartier“, sagte er zu Sandoval und mir. „Der Schein kann Euch wie ein Leuchtfeuer führen.“
Wir kamen noch ein gutes Stück voran, ohne entdeckt zu werden. Wie wir später erfuhren, hielt Narváez einen so plötzlichen Überfall wirklich für ausgeschlossen. Nur aus Gewohnheit ließ er die achtzehn kleinen Kanonen, über die er verfügte, zu ebener Erde aufstellen und durch einen Teil seiner Reiterei schützen. Dann begab er sich wieder auf den größten der drei nahe beieinander stehenden Tempel, wo er mit den Musketieren und Armbrustschützen Quartier bezogen hatte und sich absolut sicher fühlte, weil er das hohe, wuchtige Bauwerk für uneinnehmbar hielt.
In der nächsten Querstraße bemerkte uns ein Wachtposten und schlug Alarm. Gleich darauf drangen aus dem feindlichen Lager erregte Rufe. Als die Trompeten ertönten, rannten die Reiter zu ihren Pferden, und die Kanoniere sprangen zu den Geschützen.
Während wir dicht an den Häuserwänden entlang auf die Gegner losstürmten, eröffneten sie das Feuer. Doch zum Glück waren die Rohre so hoch gerichtet, dass die Geschosse über uns hinwegflogen.
Cortés erfasste, dass wir uns trotzdem in einer bedrohlichen Lage befanden. Um uns zu ermutigen, rief er: „Schlagt sie, Freunde! Gott ist mit uns!“
Olids Abteilung stürzte sich auf die Kanoniere und setzte ihnen so heftig zu, dass sie von den Geschützen weggedrängt wurden.
Unser Trupp nutzte die entstandene Feuerpause und eilte zum Tempel, von dem das Licht leuchtete. Schulter an Schulter mit Sandoval, dicht gefolgt von unsren Leuten, hastete ich die steile Treppe hinauf. Kugeln schwirrten uns entgegen, richteten aber, weil sie ziellos in die Dunkelheit abgeschossen wurden, keinen ernsthaften Schaden an.
Die doppelspitzigen Lanzen, die wir rücksichtslos gebrauchten, verschafften uns so viel Platz, dass wir bis auf die Plattform vordringen konnten, wo ein erbitterter Nahkampf entbrannte. Narváez focht inmitten seiner Leute und spornte sie durch das eigene Beispiel an. Doch sein kurzes Schwert vermochte nur wenig gegen unsre mörderischen Speere auszurichten. Als er, selbst schon mehrfach verletzt, seinem schwer verwundeten Fahnenträger beistehen wollte, traf ihn Sandovals wuchtiger Stoß ins linke Auge. Sein verzweifelter Hilfeschrei rief mehrere Untergebene herbei, die ihn mit ihren Leibern deckten und in das nahe Heiligtum brachten. Da es uns nicht gelang, den hartnäckig verteidigten Eingang zu stürmen, warf ich eine Fackel, die ich am zusammengesunkenen Feuer entzündet hatte, aufs Rohrdach, das sofort zu lodern begann. Schon nach kurzer Zeit trieben Hitze und Rauch die Eingeschlossenen heraus. Noch einmal wurden sie mit uns handgemein, dann gelang es uns, Narváez zu überwältigen und gefesselt die Treppe hinabzutragen.
Unten schien die feindliche Reiterei fast geschlagen. Sobald bekannt wurde, dass ihr Befehlshaber in unsrer Gewalt war, erlahmte der letzte Widerstand.
Wir hatten bei geringen Verlusten einen großartigen Sieg errungen. Als Cortés hervorhob, dass er Sandoval und mir einen bedeutenden Anteil daran zumaß, fühlte ich mich bestätigt wie lange nicht. Während der Krug mit Octli herumgereicht wurde, blieb mir unklar, ob mich der Alkohol oder unser Erfolg berauschte. Das Vergangene war weit entrückt, nur der Augenblick zählte. Begierig hörte ich Cortés zu, der wortgewandt schilderte, unter welchem Triumph wir in Tenochtitlán einziehen würden.
Er ahnte so wenig wie ich, dass wir uns zu früh freuten.
Als die Besiegten am Morgen bei strahlendem Sonnenschein erkannten, dass sie einem zahlenmäßig weit schwächeren, schlecht bewaffneten Gegner unterlegen waren, konnten sie ihren Verdruss nicht verbergen, und bald wurde bedrohliches Murren laut.
In diesen gefährlichen Augenblicken zeigte Cortés wieder einmal, dass er mit jeder Schwierigkeit zurechtkam. Zunächst ließ er die von unsren Männern erbeuteten Pferde an ihre Besitzer zurückgeben, dann verteilte er das bei den benachbarten Stämmen zusammengebrachte Gold unter Narváez’ Leuten und versprach ihnen noch mehr von dem begehrten Edelmetall, wenn sie bereit wären, sich uns anzuschließen. Wie nicht anders zu erwarten, löste sein Verhalten bei den altgedienten Soldaten Missfallen aus. Aber auch sie konnte er beschwichtigen, indem er ihnen von den Reichtümern, die uns demnächst in die Hände fallen würden, einen erhöhten Anteil versprach.
Noch damit beschäftigt, die Uneinsichtigsten zu besänftigen, erhielt er eine so erschreckende Nachricht aus Tenochtitlán, dass er kurze Zeit ratlos wirkte. Ein Eilbote, der sich bis zum Äußersten verausgabt hatte, um die schlimme Kunde so schnell wie möglich zu überbringen, berichtete dem Generalkapitän, dass die Azteken gegen die Besatzung aufgestanden wären, mit größter Heftigkeit angreifen würden und die Brigantinen verbrannt hätten, um eine Flucht unsrer Leute zu verhindern.
Erst später erfuhr ich, dass der Aufruhr nicht durch den von uns auf dem Teocalli errichteten Altar, in dem die Azteken nach wie vor eine Entweihung sahen, ausgelöst worden war, sondern erst nach einem folgenschweren Ereignis begonnen hatte. Was Ortega, Montezumas Page, und Pablo mir in Tenochtitlán darüber erzählten, erscheint mir noch heute so entsetzlich, dass sich meine Feder sträubt, während ich es niederschreibe.
Am 23. Mai Anno Domini 1520 wollten die Azteken auf dem geräumigen Innenhof, der an den von unsrem Korps bewohnten Palast grenzte, mit Alvarados Erlaubnis wie jedes Jahr um diese Zeit das Tóxcatlfest begehen. Feierlich gekleidet, waren sie, von den größten Häuptlingen und tapfersten Kriegern angeführt, unter den Klängen der Pauken und Muschelhörner auf den sonnenbeschienenen Platz gekommen, wo man das kunstvoll gefertigte Abbild Huitzilopochtlis enthüllte und ihm Opfer aus Fastenspeisen darbrachte. Wie vereinbart, trug niemand Waffen, und es ging alles friedlich zu, bis unsre Leute mitten im hingebungsvoll ausgeführten Reigentanz heimtückisch über die Azteken herfielen. Alvarado behauptete zwar, dass er eine geplante Verschwörung verhindern wollte, doch selbst wenn es so gewesen wäre, lässt sich durch nichts rechtfertigen, wie gegen die Überraschten vorgegangen wurde. Ortega sah das Geschehen vom flachen Dach des zweigeschossigen Palastteils, wohin ihn die eigenartigen Gesänge, von denen die Tänze und Zeremonien begleitet wurden, gelockt hatten.
Auch wenn es mir schwerfällt, das Folgende niederzuschreiben, will und muss ich bei der Wahrheit bleiben: Alvarado richtete mit seinen Männern ein grausames Gemetzel an. Sie hatten nichts andres im Sinn als zu töten. Erbarmungslos drangen sie auf die Wehrlosen ein, von denen kaum einer zu fliehen vermochte. Dem Azteken, der die große Pauke schlug, wurden die Hände abgehauen, zwei Häuptlinge, die sich mit bloßen Fäusten zu verteidigen versuchten, durchbohrte man von vorn und hinten gleichzeitig. Krieger um Krieger wurde enthauptet, erstochen, erschlagen, den Frauen schlitzte man die Leiber auf.
Ortega hörte die Schreie der Verletzten, das Röcheln der Sterbenden und die lauten, blutrünstigen Rufe der Mörder, während sie weiter stachen, schlitzten, hieben und spießten. Sobald die Leichen der Azteken zuhauf den Innenhof bedeckten - über sechshundert sollen es gewesen sein -, streifte man ihnen das kostbare Geschmeide ab, mit dem sie zu Ehren der Feierlichkeit angetan waren, und ich schließe nicht aus, dass man sie nur deshalb getötet hatte.
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