Montezuma, dessen Alter ich auf etwa fünfzig Jahre schätzte, hatte eine große, hagere Gestalt. Sein glattes, blauschwarzes Haar trug er halblang, der Bart war dünn und seine Gesichtsfarbe ein wenig heller als bei den meisten Azteken. In den nicht unschönen, leicht schwermütigen Zügen spiegelte sich eine stille Würde, die er trotz der für ihn misslichen Umstände lange wahrte. So sehr ich seine Haltung auf der einen Seite bewunderte, konnte ich sie auf der andren nicht verstehen. Dieser Widerspruch kennzeichnet, glaube ich, meine insgesamt zwiespältigen Gefühle, die ich im Umgang mit ihm bis zuletzt empfand.
Montezuma zeigte sich ungewöhnlich wissbegierig und aufgeschlossen. Er erkundigte sich nicht nur nach meiner Herkunft, sondern wollte auch erfahren, wie es in Andalusien aussah, über wie viel Untertanen der spanische König gebot, und warum er seine Abgesandten gerade nach Tenochtitlán geschickt habe, was mich in ziemliche Verlegenheit brachte. Selbst zur christlichen Lehre stellte er mehrfach Fragen, obwohl Pater Olmedo ihn schon zur Genüge darin unterwiesen hatte. Ich meinte, seine Neugier würde darauf hindeuten, dass er beabsichtigte, unsren Glauben anzunehmen. Doch er weigerte sich standhaft, seinen Göttern abzuschwören. Da er sonst größte Nachgiebigkeit bewiesen hatte, erschien mir das Beharrungsvermögen so unverständlich wie seine unversehrte Fassung.
Begreifen konnte ich hingegen seine Freude über die Einladung zur ersten Ausfahrt der Brigantinen, von deren Bau ich ihm wiederholt berichtet hatte. Als er inmitten seiner Würdenträger an Bord ging, wirkte er ein wenig unsicher, aber sobald das Schiff segelte, fand er großen Gefallen daran. Aus Dankbarkeit schlug er Cortés und den mitgefahrenen Offizieren vor, ihn zur Jagd in seine Wälder am nahen Ufer zu begleiten. Während Rotwild, Hasen und Kaninchen erlegt wurden, benahm er sich ausgelassen, als hätte er vergessen, dass er nach wie vor ein Gefangener war. Erst auf der Rückfahrt schien es ihm bewusst zu werden. Ich beobachtete, wie er sinnend in den vom Abendlicht geröteten See starrte.
Woran mochte er denken? Wurde er, durch den Ausflug angeregt, an seine frühere uneingeschränkte Macht erinnert, die für immer verloren schien? Verfluchte er sein Verhalten, das ihn in die schmachvolle Lage gebracht hatte? Oder ahnte er gar, wie schrecklich alles noch ausgehen würde?
Obwohl Montezuma die eingetretenen Umstände wahrscheinlich richtig einschätzen konnte, versuchte er sich, glaube ich, immer wieder zu täuschen, um nicht ganz zu verzagen.
Ich habe oft über seine Fehler nachgedacht, die uns den kampflosen Einzug in Tenochtitlán ermöglichten. Dabei muss ich mich nicht auf das unmittelbar Erlebte verlassen, sondern kann zu Rate ziehen, was mir später durch Apacueye erzählt worden ist.
Gerade hat sie hereingeschaut und die Tür wieder leise geschlossen, um mich nicht zu stören. Sie versteht, dass ich notiere, was seinerzeit geschehen ist, damit unsre Kinder, die ich lesen und schreiben gelehrt habe, an ihre Enkel und Urenkel weitergeben können, wie sich alles wirklich zugetragen hat. Ich fürchte nämlich, dass nicht nur Cortés in seinen Briefen an Kaiser Karl die Tatsachen verfälscht hat, um sich ins rechte Licht zu setzen. Gewiss wird auch durch andre, die dabei gewesen sind, das Unternehmen vorrangig gepriesen, und niemand bemüht sich wohl, Montezuma gerecht zu werden, weil es die eigenen Taten schmälern würde und außerdem zu anstrengend wäre.
Ich möchte nochmals betonen, dass es mir ebenfalls schwerfällt, sein Verhalten, durch das ein ganzes Volk ins Unglück geraten ist, richtig zu werten, wenngleich ich denke, ihn vielleicht am besten von unsren Leuten gekannt zu haben. So gern ich die ganze Wahrheit finden möchte, lässt sie sich doch nicht mehr vollkommen ergründen. Sicher erscheint mir zumindest, dass die seltsamen, vor unsrer Ankunft aufgetretenen Zeichen an seinem späteren Wankelmut stark beteiligt waren, ohne freilich zu erklären, wie ein König, der einst drei harte Zweikämpfe gewonnen, um das Reich auszudehnen, an neun großen Schlachten teilgenommen und seine Untertanen absolut beherrscht hatte, in dem Augenblick, da ihn das Schicksal vor die schwerste Entscheidung seines Lebens stellte, so wenig Tatkraft entwickelte.
Ich nehme an, dass auch mich die geheimnisvollen Erscheinungen, die von den Azteken als böse Omen gewertet wurden, ziemlich verunsichert hätten, obwohl ich nicht wie Montezuma in einer von zahllosen Göttern beherrschten und tausend Ängsten geprägten Welt aufgewachsen bin.
Erste Furcht löste lange vor unsrer Ankunft eine gewaltige, von Osten heranziehende Flammensäule aus, die Nacht für Nacht karminrote Funken versprühte, dass es schien, als ob blutiges Feuer auf die Erde tropfte, bis es am Morgen vom Sonnenglanz getilgt wurde.
Auf rätselhafte Weise entzündete sich im Stadtbezirk Tlacateco der Tempel des Kriegsgottes Huitzilopochtli, und als man den Brand löschen wollte, peitschte das Wasser die Flammen noch höher, bis sie das Heiligtum vernichtet hatten.
In vielen Nächten hörte man aus den menschenleeren Straßen der Hauptstadt die Stimme einer weinenden Frau. Die Worte erstickten fast in ihren Tränen, wenn sie rief: „O, meine Kinder, wir sind verloren!“
Der Texcocosee stieg an, ohne dass Wind wehte. Er schäumte so hoch auf, dass große Teile der Stadt überspült wurden und zahllose Häuser einstürzten.
Wesen mit zwei Köpfen auf einem Leib erschienen in der Stadt und verschwanden, als sie in den Schwarzen Palast gebracht wurden, spurlos wie ein Spuk.
Schließlich fingen Fischer einen großen, dunkel gefiederten, einem Kranich ähnlichen Vogel, dessen Federkrone einen Spiegel barg, in dem Montezuma Männer, die kämpfend näher rückten, zu erkennen glaubte. Sie ritten, in matt glänzendes Metall gekleidet, vermeintlich auf riesigen Hirschen, trugen gleißende, fremdartige Helme und fochten mit unbekannten Waffen. Doch als der König seine Weisen und Zeichendeuter herbeirief, um sich das Bild erklären zu lassen, hatte es sich aufgelöst.
Damals begann, denke ich, seine Unruhe, empfand er die innere Zerrissenheit. Er erkannte sich nicht wieder, und auch seine Frauen wunderten sich, wenn er fortging, ohne sie berührt zu haben. Die Tiere, die er im Zoo hinter seinem Palast hielt, bereiteten ihm nur noch die halbe Freude, er vernachlässigte die Jagd, die er früher so geliebt hatte, Essen und Trinken verschafften ihm immer weniger Genuss, selbst seine Zwerge und Narren konnten ihn nur selten zerstreuen. Er war ohne rechten Antrieb, spürte eine vorher nicht gekannte Schwermut, die sich unaufhaltsam in ihm ausbreitete. Meldete sich so das Alter? War er krank? Oder kündigte sich gar schon der Tod an?
Als seine Kundschafter ihm später die Landung unsrer Schiffe meldeten und berichteten, dass wir so aussähen wie die Männer im Spiegel des wundersamen Vogels, meinte er, ihm würde die Aufgabe zuteil, den lang erwarteten Gott Quetzalcoatl und sein Gefolge zu empfangen, was ihn zu den schon erwähnten verhängnisvollen Handlungen veranlasste. Die sicher bald nach unsrer Ankunft in Tenochtitlán gewonnene Einsicht, einem unverzeihlichen Irrtum erlegen zu sein, muss ihn hart getroffen haben, zumal er erkannte, dass seine Lage ihm kaum Möglichkeiten lassen würde, die begangenen Fehler wettzumachen.
Je länger ich darüber nachsinne, desto mehr wird mir bewusst, dass ich Montezumas Verhalten wohl deshalb nicht restlos verstehen kann, weil ich in einem ganz andren Umfeld aufgewachsen bin. Wenn er sich mit solcher Ergebenheit in sein Schicksal fügte, als sei es ihm unabwendbar vorausbestimmt, deutet das darauf hin, dass er sein Los als Willen der Götter annahm, sich vielleicht aber auch über uns so wenig bis ins Letzte schlüssig wurde wie ich über ihn. Andrerseits bewies er überdurchschnittliche Klugheit, eine glänzende Auffassungsgabe und entwickelte so tiefgründige Gedanken, dass sie jedem Magister in Sevilla zur Ehre gereicht hätten. Während ich, wie ich einschätze, nach und nach zu seinem liebsten Gesprächspartner aus unsren Reihen wurde, gewann ich in seine Gefühle und Vorstellungen Einblicke, die den Übrigen versagt blieben.
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