„Begreifst du, warum sich Montezuma so verhält?“, fragte ich.
„Nein“, erwiderte er, „doch ich finde, dass es gut für uns ist.“
„Du meinst also, dass wir sicher sind, solange er in unsrer Gewalt bleibt?“
„Ich bemühe mich, daran zu glauben, weil mir klar geworden ist, dass ich alles, was kommt, bloß auf diese Weise durchstehen kann. Und das will ich, nachdem ich schon so viel ausgehalten habe. Vom Gold, mit dem ich rechne, seit du den Schatz geschildert hast, lässt sich selbst dann ein neues Leben anfangen, wenn die Verteilung ungleich ausfällt. Daheim oder woanders wird es möglich sein, vieles von dem, was mir weiter auf der Seele brennt, zu vergessen. Das ist eine Aussicht, die mich anspornt."
Ich begriff, dass er, beeinflusst von der Hoffnung auf seinen vermeintlich sicheren Anteil, so geworden war, wie ich ihn vor Wochen gewollt hätte.
Warum konnte ich mich nicht darüber freuen?
Die Gefahr schien dauerhaft gebannt zu sein. Es gab keinerlei Anzeichen für Unruhen unter der aztekischen Bevölkerung. Cortés wies in den Beratungen mehrfach befriedigt darauf hin.
Er unternahm weiter alles, um Montezuma die Gefangenschaft angenehm zu gestalten, weil er wusste, dass es wichtig war, ihn immer wieder aufzumuntern. Der König konnte seine Tage ähnlich verbringen, wie er es in seinem eigenen Palast gewohnt war. Nach dem Frühstück, das meist aus Obst und Gemüse bestand, wurde er von Cortés oder einem Offizier aufgesucht und nach seinen Wünschen gefragt. Dann wandte er sich den Staatsgeschäften zu. Er empfing Untertanen, die Bitten äußerten oder Streitfragen klären wollten. Ihre Aussagen wurden in Bilderschrift aufgezeichnet und einer Anzahl von Räten vorgelegt, die Montezuma bei seinen Entscheidungen berieten. Es trafen auch Gesandte aus fernen Provinzen oder fremden Ländern ein und trugen ihre Anliegen vor. Dabei musste, um den Eindruck zu erwecken, dass der König weiter uneingeschränkt herrschte, dasselbe strenge Zeremoniell eingehalten werden wie früher.
Zum ersten Mal, seit wir in Havanna aufgebrochen waren, führten wir größtenteils ein unbeschwertes Leben. Wurden wir nicht zur Wache eingeteilt, hatten wir Freizeit, die wir nach Belieben nutzen konnten. Was die königliche Küche bot, stand allen in verschwenderischer Fülle zur Verfügung, und fast täglich ließ Cortés Octli verteilen, achtete aber darauf, dass nicht zu viel getrunken wurde.
Durch meine Beobachtungen neugierig geworden, rauchte ich wie Montezuma aus einer goldverzierten Pfeife mit Styraxbalsam vermischten Tabak, fand im Gegensatz zu einigen Hauptleuten aber wenig Gefallen daran. Viel lieber schlenderte ich mit Pablo durch die Anlagen hinter dem Schwarzen Palast, erfreute mich an den glitzernden Wasserspielen, bestaunte die bunt gefiederten Vögel in den Volieren, stand neugierig vor den Käfigen mit seltenen Tieren und bewunderte, wie alles durch ein Heer von Arbeitern peinlich sauber gehalten wurde.
Solche Ausflüge belebten mich. Aber ins Quartier zurückgekehrt, verfiel ich manchmal in dumpfes Brüten. Ich verstand nicht, was in mir vorging. Schließlich schien erreicht, was ich einst erträumt hatte. Zwar besaß ich noch nichts von dem Schatz, doch ich glaubte fest daran, dass ich meinen Anteil bekäme, und es würde weit mehr sein, als nötig wäre, um Isabel zu beweisen, dass sie mich unterschätzt hatte. Später freilich, als trotz der Order, Stillschweigen zu bewahren, die Kunde vom Goldfund bis zum letzten Mann durchgedrungen war, musste ich erkennen, dass ich nicht mit so viel, wie ursprünglich erwartet, rechnen durfte. Vor allem aber würde Pablo, wie schon von ihm befürchtet, zu den Betrogenen gehören. Der Verteilungsplan sah vor, dass ein Fünftel an die Krone, die gleiche Menge an Cortés und eine ungerechtfertigt hohe Quote an einige bevorzugte Offiziere, zu denen Pedro de Alvarado und Diego de Ordas gehörten, fallen sollte. Der mir und den übrigen Hauptleuten zugedachte Teil hätte trotzdem noch ausgereicht, um mich halbwegs zufrieden zu stellen. Für die einfachen Soldaten hingegen wäre nicht mehr viel übrig geblieben. Das führte, als es bekannt wurde, zu Streitereien, die Cortés jedoch zu schlichten verstand, indem er den Benachteiligten aus neuen Abgaben reiche Entschädigung versprach. Die Mehrheit ließ sich wohl von seinen honigsüßen Worten einlullen oder wagte nicht, weiter gegen ihn aufzubegehren, weil er wiederholt bewiesen hatte, wie arglistig und schonungslos er Widerstände zu brechen verstand. Wahrscheinlich erschien es fast allen am klügsten, sich vorerst mit dem zu begnügen, was der Augenblick bot.
Mich störte der verringerte Anteil weniger als die gewonnene Einsicht, dass es mir nicht gelungen war, so nahe neben Cortés zu rücken, wie ich es nach meiner Beförderung erhofft hatte. Natürlich wusste ich, es lag in erster Linie daran, dass ich nicht bereit gewesen war, mich bedingungslos anzupassen. Der Zwiespalt, den ich nicht überwinden konnte, ohne mich zu verleugnen, belastete mich stärker als die eingetretene Tatenlosigkeit. Unzufrieden mit mir und dem Geschehen, das sich kaum weiterzuentwickeln schien, empfand ich immer deutlicher eine seltsame Leere, die mich viel grübeln und schlecht schlafen ließ. In meinen wirren Träumen tauchte oft Apacueye auf, und am Tag blickte ich, von einer unwiderstehlichen Macht getrieben, jeder Aztekin, die ich traf, ins Gesicht. Obwohl ich nie die ersehnten Züge entdeckte, gab ich nicht auf.
Warum wollte ich Apacueye wiedersehen?
In den Beratungen, zu denen ich regelmäßig gerufen wurde, hielt ich mich lange zurück. Damals hätte ich auch kaum etwas gegen die Absichten und Maßnahmen, die Cortés mit uns besprach, einwenden können; denn sie waren fast ausnahmslos klug und nützlich. Doch später gelang es mir, angespornt von dem Verlangen, mich in ein günstigeres Licht zu rücken und allen Hauptleuten, die mir meine Stellung missgönnten, zu beweisen, dass ich ihnen keineswegs unterlegen war, Cortés einen wichtigen Vorschlag zu unterbreiten. Ich riet ihm, zwei Brigantinen zu bauen, damit wir, falls die Azteken gegen den Willen Montezumas ihren Sinn wandeln und die Dammstraßen sperren sollten, unsre Leute auf dem Wasserweg in Sicherheit bringen könnten.
Da Cortés derart von meinem Plan angetan war, dass es ihn wohl ärgerte, nicht selbst darauf gekommen zu sein, stellte er ihn, ohne die geringste Scham erkennen zu lassen, während der nächsten Beratung so vor, als ob er ihn allein entwickelt hätte. Das ärgerte mich natürlich, weil die Hauptleute nichts von meiner Urheberschaft erfuhren, aber die Erkenntnis, dass es mir gelungen war, bei Cortés deutlich in der Gunst zu steigen, ließ mich die Enttäuschung rasch verwinden.
Der Vorschlag wurde, da alle sogleich seinen Wert erkannten, einstimmig angenommen. Martin López, ein erfahrener Schiffsbauer, leitete die Arbeiten. Zuerst verfolgte ich sie vorrangig, um mich abzulenken. Später entwickelte ich, beeindruckt von dem raschen Fortgang, rege Anteilnahme, die meine Stimmung günstig beeinflusste.
In dieser Zeit begann ich, Montezuma hin und wieder ohne besonderen Grund zu besuchen. Ich kann bis heute nicht mit Bestimmtheit sagen, was mich zu ihm hinzog, weiß nur, dass die Gespräche, die wir führten, mein Mitempfinden verstärkten. Anfangs brauchten wir Beistand, um uns verständigen zu können. Wir erhielten ihn vom Pagen Ortega, den Cortés zum Gesellschafter des Königs bestimmt hatte, da ihm zum einen sein erstaunliches Sprachvermögen aufgefallen war, und er zum andern Malinche, die sich schon sichtbar in guter Hoffnung befand, von der Mühe zusätzlichen Übersetzens befreien wollte. Ortega vermittelte unsre Gespräche geschickt und zurückhaltend. Trotzdem störte es mich, dass ständig ein Zuhörer anwesend war. Deshalb eignete ich mir allmählich selbst so viele Kenntnisse an, dass ich mich ohne Hilfe mit dem gefangenen Herrscher unterhalten konnte.
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