Doch auch die freundlichste Behandlung konnte Montezuma nicht da-rüber hinwegtäuschen, dass wir ihn gefangen hielten. Ein Trupp von zwanzig Mann war in seinem Vorzimmer postiert, und sechzig mit Lanzen, Pieken oder Schwertern ausgerüstete Soldaten bewachten im Wechsel den Palast. Wie um das Unvermeidliche auszugleichen, sorgten wir dafür, dass Montezuma außer seiner Freiheit nichts fehlte. Bereits am frühen Morgen wurde im Kohlebecken, das neben seinem Thronsessel stand, die Glut entfacht, damit ihn nach der nächtlichen Kühle wohlige Wärme empfing. In gewohnter Weise aß er, wonach es ihn aus der Vielzahl von auserlesenen, köstlichen Gerichten am meisten verlangte, trank große Mengen Chocolatl, naschte gesüßtes Backwerk und rauchte aus seiner goldverzierten Pfeife ein Gemisch aus Tabak und Styraxbalsam.
Leibliche Genüsse können seelischen Kummer mildern, aber nicht dauerhaft verdrängen. Je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher merkte ich, dass der König unruhig wurde, obwohl er sich bemühte, es vor uns zu verbergen. Erst als er nach Wochen erfuhr, dass sich die von seinen Boten gesuchten Schuldigen der Hauptstadt näherten, wirkte er erleichtert.
Bei den Ankömmlingen handelte es sich um den Kaziken Quauhpopoca und fünfzehn seiner Gefolgsleute. Vor Montezuma geführt, gestanden sie in Unkenntnis der Sachlage, dass sie unsre Leute bekriegt und einige getötet hätten, weil Übergriffe durch die Besatzung von Veracruz gegen Bewohner der umliegenden Ortschaften erfolgt seien. Der hilflose König überließ die weitere Untersuchung Cortés, der schon nach wenigen Fragen alle sechzehn Azteken zum Tode verurteilte. Als die Männer den Richterspruch erfuhren, versuchten sie verzweifelt, Montezuma zu beschuldigen, der angeblich von allem gewusst und es im Voraus gebilligt habe.
Ich bin mir nicht sicher, wie es sich wirklich verhielt, neigte damals aber dazu, dem König zu glauben. Auch Cortés schien in den Verurteilten weiter die Schuldigen zu sehen. Erst später begriff ich, dass seinem Verhalten wiederum Berechnung zugrunde lag.
Er befahl, auf dem Platz vor dem Palast Scheiterhaufen zu errichten. Sie wurden aus Pfeilen, Wurfspießen und andren Waffen aufgetürmt, die wir mit Montezumas Erlaubnis aus den Rüstkammern rings um den großen Teocalli holten, wo sie als Reserve bereitlagen. Durch diesen Winkelzug sollte für den Fall, dass es irgendwann zur Auseinandersetzung mit den Stadtbewohnern käme, ein gefährliches Arsenal beseitigt werden.
Noch wichtiger aber war Cortés etwas andres, glaube ich, und wie es seiner Art entsprach, wollte er auch dabei eine doppelte Wirkung erzielen. Er ging zu Pablo, der mit zwei weiteren Soldaten auf dem Flur Wache hielt, reichte ihm in einer Nische bereitgelegte Fußschellen und forderte ihn auf, ihm zu folgen.
Als ich die beiden Männer und Malinche näher kommen sah, ahnte ich sofort, dass Cortés etwas im Schilde führte.
„Begleitet uns, Capitán“, verlangte er. „Ihr sollt erleben, wie man handeln muss, um ans Ziel zu gelangen.“
Schnell wurde mir bewusst, wohin Cortés wollte. Er führte uns zum königlichen Gemach, blieb einige Schritte vor Montezuma stehen und sah ihn finster an. „Du hast mich belogen“, beschuldigte er ihn und bedeutete Malinche, es zu übersetzen. „Nach allem, was ich von Quauhpopoca und seinen Männern erfahren habe, muss ich annehmen, dass meine Leute mit deinem Wissen getötet worden sind. Ein Untertan hätte damit sein Leben verwirkt. Bei dir will ich Milde walten lassen. Aber ungestraft darfst auch du nicht bleiben.“ Er befahl Pablo: „Legt ihm die Fesseln an!“
Ich bemerkte, wie schwer es dem Gefährten fiel und bedauerte, ihn ungewollt in diese Lage gebracht zu haben; denn ich war sicher, dass Cortés, der von unsrer Verbundenheit wusste, ihn ausgewählt hatte, um mich vor weiterem Widerstand gegen seine Pläne zu warnen.
Montezuma war so überrascht, dass er sich nicht wehrte. Erst als wir uns abwandten, versuchte er, die Fesseln zu lockern. Aber sie schnitten nur noch tiefer ein, und er stöhnte verzweifelt auf.
Bestürzt über die Schmach, die ihrem Herrscher zugefügt worden war, bemühten sich seine Diener, ihn zu trösten. Sie rissen Saumstücke aus ihren Gewändern und schoben sie unter das Eisen, um den Druck auf die Knöchel zu verringern. Doch den seelischen Schmerz, der Montezuma ärger zusetzte als die körperliche Qual, konnten sie nicht lindern.
Während der König die bis dahin wohl furchtbarsten Minuten seines Lebens durchlitt, wurde auf dem Hof die Hinrichtung vollzogen. Unsre Truppen waren so postiert, dass sie sofort hätten eingreifen können, wenn es nötig geworden wäre. Aber die Azteken unternahmen nichts. Sie verfolgten das Geschehen mit stummem Schaudern. Glaubten sie, dass Montezuma selbst das Urteil gefällt hatte?
Quauhpopoca und seine Gefolgsleute wurden an starke, im Boden verankerte Pfähle gebunden. Vier Soldaten entfachten das ringsum aufgeschichtete Holz. Sofort züngelten gewaltige Flammen empor und verbreiteten tödliche Glut. Die Verurteilten starben, ohne zu schreien.
Benommen von dem schrecklichen Schauspiel, musste ich, ehe die letzten Scheite verbrannt waren, erneut mit zu Montezuma gehen. Cortés kniete nieder und löste ihm eigenhändig die Fesseln.
„Es tut mir leid, dass ich’s dir nicht ersparen konnte“, meinte er. „Aber die Pflicht gebot mir, so zu handeln.“
Der König schien die unverfrorene Lüge nicht zu durchschauen. Oder hatte die halbstündige Schmach ihn völlig gebrochen, ihm den letzten Stolz genommen? Er bedankte sich für das Entfernen der Fußschellen, als wäre ihm eine große, unverdiente Gnade erwiesen worden.
„Es ist schön, dass du mir mein Verhalten nicht übelnimmst“, entgegnete Cortés. „Weil du so einsichtig bist, darfst du nun, da der Tod meiner Leute gesühnt ist, wieder in deinen Palast zurückkehren, wie ich’s dir versprochen habe.“
Ich glaubte, nicht richtig zu hören. War der Vorschlag ernst gemeint? Oder stellte er eine neue Finte dar?
„Dein Angebot freut mich“, sagte Montezuma. „Aber ich möchte zunächst keinen Gebrauch davon machen.“
„Warum nicht?“
Der König zögerte. „Die großen Häuptlinge haben mich mehrmals bedrängt, gegen euch zu kämpfen“, gestand er schließlich. „Wenn ich wieder in meinem Palast wäre, würden sie mich zwingen, ihren Willen durchzusetzen. Doch ich möchte die Hauptstadt vor Aufruhr und schlimmem Blutvergießen bewahren.“
„Meinst du, dass es dir mit unsrer Hilfe gelingen wird?“
„So lange ich hier bin, kann ich mein Volk vielleicht beschwichtigen, indem ich sage, Huitzilopochtli habe mir befohlen, bei euch zu bleiben.“
Spätestens da begriff ich endgültig, dass Montezuma zu schwach war, etwas gegen uns zu unternehmen. Er blieb, um vielleicht einen Teil seiner Macht zu erhalten, lieber unser Gefangener, als dem verständlichen Drängen seiner Leute nachzugeben und die Krieger in den Kampf zu führen.
Cortés musste seinen Entschluss vorausgesehen haben. Sonst wäre er nie so weit gegangen, ihm die Freiheit anzubieten. Sein von den meisten zunächst für wahnwitzig gehaltener Plan, so niederträchtig und gewissenlos ausgeführt wie vorher erdacht, hatte haargenau bewirkt, was von ihm beabsichtigt worden war.
Einerseits beruhigte es mich, dass von Montezuma keinerlei Gefahr drohen würde, andrerseits fühlte ich mich erregt, weil ich seine Haltung nicht verstand.
Noch ganz im Bann der Ereignisse, war ich froh, als Pablo mich abends in meinem Quartier aufsuchte. Er brachte in einem Krug Octli mit, den Cortés unter den Soldaten verteilen ließ, damit sie auf unsren Erfolg anstoßen konnten. Während wir aus Kupferbechern davon tranken, redeten wir eine Weile über Andalusien und kamen dann auf das zu sprechen, was uns nach den letzten Geschehnissen am meisten beschäftigte.
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