1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Schaudernd entfernte ich mich. Als ich an den Priestern vorbeikam, spürte ich ihre feindseligen Blicke. Sie deuteten, glaube ich, schon jenen Hass an, der uns nach Alvarados folgenschwerer Unbesonnenheit von allen Seiten entgegenflammen würde.
Im Freien atmete ich auf und trat zu der walzenförmigen Trommel, die durch ihre Größe meine Aufmerksamkeit erregte. Sie war mit Schlangenhaut bespannt und wurde nur aus besonderem Anlass gerührt. Bloß gut, dass ich nicht ahnte, wie sehr ihr düsterer, unheilvoller Ton mich noch erschrecken würde!
Als Montezuma aus dem Heiligtum kam, bat er uns, ihn an den ungesicherten Plattformrand zu begleiten. Im Gegensatz zu den Priestern wirkte er nach wie vor freundlich. Es schien, als hätte er nun, da das Unvermeidliche geschehen war, ohne dass sich für ihn etwas geändert hatte, sein inneres Gleichgewicht wiedererlangt.
„Von hier erkennt man, wie groß unsre Hauptstadt ist“, sagte er und wartete, bis Malinche übersetzt hatte, bevor er weiterredete: „Als unsre Urväter, vom Gott Huitzilopochtli geleitet, über die Berge ins weite Hochtal kamen, fanden sie reizvolle Öde vor. Auf der Insel im See entdeckten sie einen Felsen, aus dem ein mächtiger Kaktus wuchs. Darauf saß ein Adler, hielt eine Schlange in seinen Krallen und verspeiste sie. Weil unsre Urväter glaubten, es sei ein günstiges Zeichen, entschlossen sie sich, an dieser Stelle zu bleiben. Zuerst genügten ihnen Hütten, heute stehen Häuser, Tempel und Paläste. Seht, wie sinnvoll alles geordnet ist! Ich wüsste nichts, was anders sein sollte.“
Auch mir erschien alles glücklich gelöst, und ich erkannte noch deutlicher als beim ersten Blick von den Bergen, dass ich der Stadt im Vergleich mit Sevilla klar den Vorzug geben musste. Aus den vier Toren der Schlangenmauer, die den Palastbezirk umgab, führten breite Alleen. Sie waren mit einem festen Belag überzogen und mündeten in die Dammwege. Zahllose Straßen und Kanäle, die sich rechtwinklig schnitten, unterteilten die Viertel. Zwischen den flachen Dächern der Häuser leuchteten Gärten, Parks, Wäldchen und stark bevölkerte Plätze. Wir schätzten später, dass in der Stadt wohl fast dreihunderttausend Einwohner lebten.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen lieblicheren Ort gibt“, fuhr Montezuma fort. „Das weite Wasser, das glitzert und schimmert und oft die Farbe wechselt, erquickt die Augen. Ermüden sie trotzdem, bieten ihnen die auf den kleineren Inseln und am Ufer entstandenen Siedlungen Abwechslung. Schließlich nimmt das Gebirge den Blick gefangen. Es wächst hinauf bis zur schlummernden Weißen Frau und ihrem zornigen Freund, dem Rauchenden Berg. Über allem dehnt sich der gewaltige Himmel, wo manchmal ein Adler schwebt, den wir verehren, weil sein Urvater unsre Vorfahren auf dem Kaktus empfangen hat.“ Montezuma legte eine Pause ein. Als er weitersprach, deutete er nach links. „Seht ihr unsre Wasserleitung, die auf dem schmalen Damm den See überquert? Wir verdanken sie den klugen Plänen des Königs Nezahualcoyotl. Durch die mannsdicken Röhren fließt Süßwasser aus Chapultepec bis in die Stadt. Jeder kann sich holen, so viel er braucht. Was übrig bleibt, reicht aus, um unsre Teiche und Springbrunnen zu speisen, damit sie Herz und Augen erfreuen können.“
Montezuma schwieg und trat zwei Schritte zurück. Es wirkte, als hätte er alles mitgeteilt, was ihm wichtig erschien. Beeindruckt von der Art, wie er die Stadt sah, missfiel mir, was Cortés erwiderte. „Deine Rede beweist, dass du ein großer und kluger Herrscher bist“, sagte er. „Umso weniger verstehen wir, wie du euren Götzen huldigen kannst. Wenn du bereit wärst, uns hier oben das Kreuz errichten zu lassen und die Bilder der Heiligen Jungfrau und ihres Sohnes aufzustellen, würdest du nicht nur erleben, wie eure falschen Götter jämmerlich untergehen, sondern dir und deinem Volk auch die Höllenqualen ersparen, die jeden erwarten, der nicht den einzig wahren Glauben annimmt.“
Erschreckt von der Anmaßung, die mir in diesen Augenblicken unbegreiflich blieb, sah ich, wie sich Montezumas Gesicht verfinsterte, ehe Malinche die letzten Worte übersetzt hatte.
„Ich will gern glauben, dass euer Gott und die Heilige Mutter gut zu euch sind“, entgegnete er. „Doch ebenso erwarte ich, dass ihr unsre Götter achtet, die uns aus der Dunkelheit geführt und in jeder Not beigestanden haben. Wäre mir bewusst gewesen, dass du sie kränken willst, hättest du ihre Räume nicht betreten dürfen!“
Als Cortés merkte, dass er zu weit gegangen war, bat er Montezuma, ihm seinen Eifer zu verzeihen. Es war aber nur ein taktischer Rückzug; denn seine Absicht, einen Altar zu errichten, gab er nicht auf. Zum einen erschien es ihm wichtig, dass wir in würdiger Umgebung den von Pater Bartolomé de Olmedo abgehaltenen Messen beiwohnen konnten, zum andren wollte er den Azteken zeigen, wie wichtig wir unsren Glauben nahmen.
Er plante, eine der uns zugewiesenen Palasthallen in eine Kapelle umzuwandeln. Als Montezuma am nächsten Tag davon erfuhr, erklärte er sich sofort einverstanden. Es erweckte den Anschein, dass er seine Unnachgiebigkeit auf dem Teocalli bereits bereute. Wie um seine Versöhnlichkeit zu unterstreichen, bot er uns sogar an, Handwerker zu schicken.
Bei den Arbeiten entdeckten unsre Leute eine frisch verputzte Stelle. Versuchten die Azteken, etwas vor uns zu verbergen? Wir vermuteten wohl alle das Gleiche. Doch keiner wollte es aussprechen.
Hinter dem Putz, den Cortés im Beisein seiner engsten Vertrauten abschlagen ließ, wurde eine Tür freigelegt. Wir stießen sie auf und gelangten in einen Saal. Was wir dort erblickten, übertraf unsre größten Erwartungen. Von hoch aufgeschichteten Stoffballen halb verdeckt, lagerte ein sorgsam gestapelter Schatz, der uns unermesslich vorkam. Die Goldbarren, Edelsteine und prachtvollen Schmuckstücke gleißten, glitzerten und funkelten im Fackelschein, dass wir geblendet wurden. Als sich meine Augen an den Glanz gewöhnt hatten, erkannte ich eine so unverhohlene Gier in den Gesichtern ringsum, dass ich erschrak.
Nur mühsam gelang es Cortés, alle zur Umkehr zu bewegen, ohne etwas anzurühren. Er ließ den Durchbruch sorgfältig verschließen und befahl strengstes Stillschweigen, weil Montezuma auf keinen Fall erfahren sollte, dass wir den Schatz gefunden hatten.
Ich missachtete sein Verbot und erzählte abends Pablo in meiner Unterkunft davon.
„Es ist wirklich ein sagenhafter Schatz“, schloss ich. „Wir werden steinreich heimkehren!“
„Du vielleicht“, erwiderte er. „Bei mir ist’s fraglich.“
„Wieso?“
„Glaubst du im Ernst, dass alle den gleichen Anteil erhalten?“
Ich wollte nicht zugeben, dass er Recht haben könnte und wehrte mich, vom scheinbar sicheren Erfolg betört, entschieden dagegen. Wieder allein, versuchte ich, mir zum hundertsten Mal vorzustellen, wie ich, ruhmvoll und vermögend in Sevilla eingetroffen, Isabel aufsuchen würde. Doch ich schaffte es nicht, ihr Bild vor mir erstehen zu lassen. Immer wieder tauchte eine andre Gestalt auf. Obwohl ihr Gesicht unscharf blieb, erschien es mir vertraut.
Sah ich Apacueye?
Was an den nächsten Tagen geschah, kommt mir heute fast unglaubhaft vor. In der Nacht war Cortés bewusst geworden, dass unser Einbruch in den Schatzsaal vielleicht nicht folgenlos bleiben würde. Sollte Montezuma davon erfahren, könnte es ihn so erzürnen, dass er seine Krieger gegen uns führte, was durch die Stadtanlage und die erdrückende aztekische Überzahl eine äußerst bedrohliche Lage für uns heraufbeschwören würde. Das ungünstige Verhältnis wäre durch unsre Kampferfahrung und die besseren Waffen nicht auszugleichen gewesen. Deshalb musste etwas geschehen, bevor die Azteken ihren Vorteil wahrnahmen.
Die Einsicht brachte Cortés auf einen Plan, der, wie schon bei früheren Unternehmen, voller List und Tücke steckte. Zunächst mag ihn die Verwegenheit seiner Absicht selbst erschreckt haben. Doch einmal zu Ende gedacht, wollte er sie unbedingt verwirklichen, weil er sich zuverlässigen Schutz für das Korps versprach.
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