Obwohl sich Cortés eisern in der Gewalt hatte, merkte ich, wie ihn die Eröffnung bestürzte. Doch er brauchte nur kurze Zeit, um sich zu fassen und seine Gegenwehr einzuleiten.
„Wir würden deinem Rat augenblicklich folgen“, erwiderte er, „wenn wir Schiffe hätten, die uns über das große Meer bringen könnten. Darum bitte ich dich, uns noch so lange zu beherbergen, bis sie fertig sind. Solltest du trotzdem auf unsrem sofortigen Abzug bestehen, müssten wir dich mitnehmen!“
Durch die Drohung sichtlich beunruhigt, erkundigte sich Montezuma, wie viel Zeit der Schiffsbau erfordern würde. Um die Arbeiten zu beschleunigen, wäre er bereit, aztekische Handwerker zur Unterstützung unsrer Leute an die Küste mitzuschicken. Er hoffte, dass es ihm auf diese Weise gelingen würde, die Ungeduld seiner Untertanen zu zügeln, bis wir die Rückfahrt antreten könnten.
Schon am nächsten Tag verließ eine große Anzahl der versprochenen Helfer mit unsren erfahrensten Zimmerleuten die Stadt, um nach Veracruz zu ziehen und mit dem Schiffsbau zu beginnen.
Da sich in Tenochtitlán alles so bedrohlich verändert hatte, dass niemand mehr unser Lager verlassen durfte, war es mir nicht möglich, auf den Markt zu gehen, um Apacueye vielleicht wiederzusehen.
Jeder von uns übte größte Aufmerksamkeit, um einem unverhofften Angriff sofort begegnen zu können. Die Wachen wurden verdoppelt, unsre Geschütze stellten wir erneut so, dass sich alle Zugänge beschießen ließen, die Pferde blieben Tag und Nacht gesattelt, und wenn wir schliefen, lagen unsre Waffen griffbereit.
Doch dann erhielten wir Anfang Mai anno Domini 1520 jene Kunde, die uns erkennen ließ, dass die größere Gefahr von einer andren Seite drohte: An der Ostküste war eine starke Streitmacht unter der Führung von Panfilo de Narváez mit neunzehn Schiffen eingetroffen. Aus Furcht davor, dass Cortés zu mächtig werden könnte, hatte Diego de Velázquez, der kuba-nische Statthalter, gegen dessen Willen wir einst aufgebrochen waren, die Truppen gesandt, um uns für das eigenmächtige Vordringen nach Tenochtitlán bestrafen zu lassen.
In dieser schwierigen Lage bewies Cortés, welche außerordentlichen Fähigkeiten er besaß. Nachdem mehrere Vermittlungsversuche gescheitert waren, entschloss er sich, eine Besatzung in der Stadt zurückzulassen und mit dem andren Truppenteil an die Küste zu eilen, um Narváez anzugreifen.
Da ich seit meinem Ratschlag, die Brigantinen zu bauen, hoch in der Gunst des Generalkapitäns stand, und er außerdem wusste, wie gut ich mit Montezuma zurechtkam, hielt ich es für möglich, dass er mir die Befehlsgewalt über die Zurückbleibenden erteilen würde. Doch er vertraute diese Aufgabe Pedro de Alvarado an, zu dem ich weiterhin ein sehr gespanntes Verhältnis hatte. Ich fühlte mich, ohne es mir anmerken zu lassen, durch die Entscheidung zurückgesetzt, aber noch mehr traf mich, dass Pablo zur Besatzung gehörte und keine Lust zeigte, durch meine Fürsprache vielleicht doch mit an die Küste ziehen zu können, was er später freilich bereute.
Notgedrungen fand ich mich mit der entstandenen Sachlage ab, und da mir der Gewaltmarsch wie den andren das Letzte abverlangte, blieb ohnehin kaum Gelegenheit, meinen Gefühlen nachzuhängen.
In Cholula, das wir trotz der unwegsamen Strecke über schmale, holprige Gebirgspfade, auf denen wieder eisige Winde wehten, und durch enge, gewundene Schluchten, wo uns dichter Nebel fast die Sicht nahm, bald erreichten, trafen wir Velázquez de Leon mit hundertzwanzig Soldaten. Wochen vorher durch Cortés an die Küste geschickt, um nahe der Mündung des Coatzacualco eine neue Hafenstadt zu gründen, hatte er von Narváez’ Ankunft erfahren und war uns, durch einen Boten benachrichtigt, entgegengeeilt. Auf diese Weise erheblich verstärkt, setzten wir unsren Marsch mit wachsendem Selbstvertrauen fort. Als dann bei Perote, in einer wilden, mit Lava bedeckten Gegend, noch der wackere Gonzalo de Sandoval mit sechzig Männern aus Veracruz sowie einigen Überläufern aus Narváez’ Heer, von denen wir wichtige Einzelheiten über die angekommene Streitmacht erfuhren, zu uns stieß, begann ich zu glauben, dass wir die bevorstehende Schlacht gewinnen könnten. Verstärkt wurde meine Hoffnung noch, als wenige Leguas weiter unser Kurier aus der südöstlich von Cholula gelegenen Provinz Chinantla eintraf. Cortés hatte ihn ausgesandt, um von einem Stamm, der mit den Azteken verfeindet war, Lanzen zu holen, wie sie niemand sonst im Hochland zu fertigen verstand. Es handelte sich um Speere von außergewöhnlicher Länge mit Doppelspitzen aus Kupfer. Würden sie, da sie gegen die mit Schwertern bewaffneten Soldaten große Vorteile versprachen, unsre zahlenmäßige Unterlegenheit ausgleichen?
Wir waren trotz der zweifachen Verstärkung keine dreihundert Mann und verfügten nur über wenige Musketen und Armbrüste. Mit der übrigen Ausrüstung stand es kaum besser. Die meisten Männer trugen lediglich gepolsterte Baumwollwämser, die zwar ausreichten, einen indianischen Pfeil abzufangen, doch gegen Gewehrkugeln keinen Schutz bieten würden.
Trotzdem beseelte uns jene unbändige Siegeszuversicht, die wohl nötig ist, um ein so waghalsiges Unternehmen, wie wir es begonnen hatten, mit dem ersehnten Erfolg krönen zu können. Während wir dem gegnerischen Lager unaufhaltsam näher rückten, erfasste mich eine immer heftigere Kampfbereitschaft, die ich heute nicht mehr verstehen kann, wenn ich bedenke, dass eine Auseinandersetzung mit Landsleuten bevorstand. Sah ich nur, dass sich eine Gelegenheit bot, mich hervorzutun? Lag mir, von meinem verfluchten Ehrgeiz angestachelt, vor allem daran, Cortés abermals zu beweisen, dass ich den andren Offizieren zumindest ebenbürtig war?
Wir brauchten keine drei Wochen, um den weiten, beschwerlichen Weg zu bewältigen. Das letzte Stück, das durch eine reizvolle, mit prächtigen, dichten Wäldern und saftigen, leuchtenden Wiesen ausgestattete Landschaft führte, die der Allmächtige mit besonderer Hingabe geschaffen haben muss, legten wir größtenteils bei freundlichem Wetter zurück. Nur am vorletzten Tag begann es, von heftigen Stürmen begleitet, sehr stark zu regnen, und der Rio de Canoas, sonst eher ein Flüsschen, schwoll derart an, dass wir uns zunächst nicht weiterwagten. Froh über den unfreiwilligen Aufenthalt, suchten wir unter Büschen und Bäumen Schutz, um unsren ermatteten Gliedern Ruhe zu gönnen.
Doch schon bald rief Cortés die Hauptleute zusammen, und ich ahnte, dass er wieder einen seiner überraschenden Pläne ersonnen hatte. Tatsächlich war er zu dem Entschluss gelangt, den Gegner noch in der folgenden Nacht anzugreifen, und er begründete seine Absicht so zwingend, dass niemand etwas einzuwenden wusste.
Er ging davon aus, dass Narváez, der im kaum noch eine halbe Legua entfernten Cempoala, wo das Kriegsglück schon einmal auf unsrer Seite gewesen war, sein Lager aufgeschlagen hatte, keinen sofortigen Angriff erwartete, da er uns sicher für zu erschöpft hielt, um ohne Erholungspause loszuschlagen. Außerdem musste er annehmen, dass wir uns vom Sturm, der unvermindert weitertobte, abschrecken lassen würden.
„Weil niemand damit rechnet, dass wir die unverzügliche Entscheidung suchen, bietet sich eine Gelegenheit, wie wir sie uns günstiger nicht wünschen könnten“, fasste Cortés seine Überlegungen zusammen. „Deshalb müssen wir ohne Säumen zur Tat schreiten.“
Zielstrebig entwickelte er seine Taktik, bei der mir eine wichtige Aufgabe zufiel. Ein von Sandoval und mir geführter Stoßtrupp aus wagemutigen Männern sollte Narváez gefangen nehmen. Wir erhielten Order, ihn auf der Stelle zu töten, falls er Widerstand leistete. Cristóbal de Olid wurde befohlen, unser Vorgehen zu unterstützen, indem er sich mit seiner Abteilung der feindlichen Geschütze bemächtigte. Cortés selbst behielt nur zwanzig Mann zurück, die er dort einsetzen wollte, wo die Lage es erforderte. Wir schrieben, wenn ich mich recht erinnere, den 28. Mai Anno Domini 1520.
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