„Tja, er wird mächtig Ärger bekommen“, sagte Jessy mit mühsam unterdrückter Genugtuung.
„Das habe ich nicht gewollt“, murmelte sie. „Aber was ist denn so falsch daran. Jeder weiß, dass ich mit einem Messer umgehen kann!“
„Darum geht es doch gar nicht. Er sollte dir nichts schenken“, sagte Jessy. „Er macht dir ganz offen Avancen und das gehört sich nicht.“
„Er macht was?“
„Ihr würdet wohl sagen, er wirbt um dich. Und das geht nicht. Er ist zu alt und du bist zu jung, er ist ein Krieger und du eine Prinzessin… Muss ich noch mehr Beispiele finden?“
„Das ist nicht gerecht. Ich kann selbst entscheiden, vom wem ich Geschenke annehme. Und Wiar wäre mehr als passend für mich.“
Jessy musterte das Mädchen von der Seite. Man hatte ihr in ihrem goldenen Käfig in der Eisenfaust wahrscheinlich mit keinem Wort die Männerwelt erklärt. Sicher hatte sie überhaupt keine Vorstellung davon, in welcher Gefahr sie schwebte.
„Er könnte dich ausnutzen, weil du Einfluss auf Tychon und deinen Vater hast. Er könnte auf deinen Reichtum aus sein. Oder nur auf deinen Körper.“
Amileehna wurde rot und begann ihr Messer hin und her zu drehen. Davon hatte sie also auch keine Ahnung.
„Den Wölfen ist nichts wichtiger als ihre Ehre und ihre Königstreue“, sagte sie etwas unsicher. „So etwas Schändliches würde er niemals tun.“
„Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, er nimmt es damit nicht so genau“, antwortete Jessy leise. Wiar stand da wie ein gerügter Junge und ließ gerade Rheys‘ Standpauke über sich ergehen ohne ein Wort zu sagen. Aber sein Gesicht war nicht gerade reuig oder demütig. Er sah eher aus, als würde er Rheys gleich an die Kehle springen und unterdrückte seine Wut über diese Behandlung nur mühsam. Sicher nicht das gewünschte Verhalten eines Soldaten gegenüber seinem Vorgesetzten.
Die Sonne brannte auf ihren Köpfen, als sie am Nachmittag inmitten von Kornfeldern dahin ritten. Jessy hätte gerne einen Hut gehabt, sie würde sicher einen Sonnenstich bekommen. Das Korn stand hoch und leuchtete gelb, Insekten summten und bald peinigten sie auch Mücken. Jessy schwitzte und hoffte, dass es bald wieder einen Regenschauer geben würde. Näher käme sie einer Dusche in der nächsten Zeit sicher nicht.
Amileehna war Gott sei Dank verstummt, die Enthüllungen, die Jessy in der Mittagspause gemacht hatte, beschäftigten sie und Wiar war auch nicht in der Stimmung sie zu unterhalten. Er blickte verkniffen drein und warf zornige Blicke in Rheys‘ Richtung. Albins Pferd machte die elende Hitze wieder besonders unleidig, es schlug unablässig mit dem Schweif und Jessy sah die dicken Bremsen, die sich auf seinem Hinterteil niederließen. Niemand sprach, alle waren damit beschäftigt, die Hitze zu ignorieren.
Da sah Jessy einen kleinen Stein, der aus dem Feld geflogen kam und Albin traf. Er schreckte auf und schaute sich verwirrt um.
„Was war das?“ fragte er und die Ängstlichkeit ließ seine Stimme heller klingen. Keine Spur mehr von dem Jungen, der den Felsenbären getötet hatte. Und das nur wegen eines dummen Spiels am Lagerfeuer. Schon flog wieder ein Stein und gleich der nächste hinterher. Einer traf Albin an der Schläfe, was sicher wehtat, aber er hatte alle Mühe, das Pferd zu kontrollieren und gleichzeitig ins Feld zu starren.
„Wahrscheinlich ein Feldgeist“, sagte Talis mürrisch. „Beachte ihn nicht. Sie wollen nur Aufmerksamkeit. Sie lieben es, Reisende zu triezen.“
Mehrere Steine auf einmal flogen und einer traf den Hals des Rappen, der erschrocken wieherte.
„Hört auf damit!“ schrie Albin und tat damit genau das, was man offenbar nicht tun sollte. Jessy glaubte, irgendwo zwischen den dicken Ähren ein Kichern zu vernehmen. Dann ging ein wahrer Regen aus Kieseln auf Albin nieder und im selben Moment huschte ein großes Kaninchen über die Straße. Die Geister hatten es vielleicht aufgescheucht, jedenfalls geriet der Rappe völlig in Panik, stieg auf die Hinterhand und brachte seinen Reiter endlich zu Fall. Albin stürzte auf den Boden und bedeckte instinktiv den Kopf mit den Armen. Das durchgehende Pferd wieherte schrill und prallte gegen die umstehenden Tiere, die ebenfalls unruhig wurden. Zwischen den Hufen hoppelte noch immer das Kaninchen wie ein dunkler Schatten hin und her. Einer der Hunde begann wie wild zu kläffen und schnappte nach dem Tier. Die Pferde drängten auseinander und als der Rappe schließlich vollends die Fassung verlor, stob er einfach davon, mitten hinein ins Kornfeld. Und ihm hinterher die Pferde, die den Wagen zogen.
Jessy sah zu, wie Benoas auf dem Kutschbock schrie und versuchte, die panischen Tiere zu stoppen. Sebel kreischte und ein paar Kisten stürzten auf die Erde, während das Gefährt durchs Feld holperte. Dann ertönte ein Krachen und der Wagen fiel beinahe zur Seite. Sie Pferde wieherten wild in ihrem Gespann, weil sie nicht weiter konnten. Jessy stieg ab und beruhigte Lia, die nur ein wenig in Panik geraten war. Wenn sie durchgegangen wäre, Jessy hätte im Staub gelegen wie Albin. Bosco preschte dem Rappen eine Weile hinterher, der nur noch ein schwarzer Punkt in der Ferne war. Sie beugte sich zu Albin, der noch immer reglos auf dem Boden lag.
„Bist du verletzt?“ fragte sie und berührte ihn an der Schulter.
Da kam Morian angestiefelt.
„Komm auf die Beine“, sagte er barsch und tippte Albin mit der Stiefelspitze an. „Hörst du nicht? Steh auf! “
Albin stand auf, er hatte sich wohl nicht schwer verletzt. Aber sein Gesicht war schmutzverschmiert und er blutete ein wenig an der Stirn. Morian starrte ihn voller Abscheu an.
„Soweit musste es ja kommen. Kannst du nicht die einfachsten Anweisungen umsetzen? Feldgeister darf man nicht reizen, das weiß jeder! Und jetzt schau, was du angerichtet hast!“
Er wies mit ausgestrecktem Finger auf das Feld. „Der Gaul ist weg und der Wagen ist kaputt! Das kostet uns mindestens einen Tag. Und alles ist deine Schuld.“
„Es tut mir Leid“, sagte Albin erstickt.
„Pah, das hilft uns jetzt auch nichts! Dein Vater hätte dich in deinem Kämmerchen lassen sollen, wo du hin gehörst!“
„Morian“, sagte Tychon scharf. „Das genügt. Pferde gehen durch, das passiert jedem. Albin, nimm ein anderes Pferd und versuch den Rappen einzufangen.“
Albin nickte schweigend und stieg mühselig auf Lia, die Jessy ihm bereitwillig überließ. Auf ihr war er wenigstens sicher. Aber sie bezweifelte, dass er das verrückte Pferd einholen würde. Einen Moment beobachteten alle, wie Albin mit eingesunken Schultern davon ritt und der wilden Spur durch das Kornfeld folgte.
„Und jetzt?“ fragte Jessy.
„Die Achse ist gebrochen“, sagte Rheys. Auch er war ärgerlich. Jessy war froh, das Albin bereits außer Reichweite war. „Aber eine halbe Stunde entfernt gibt es ein großes Dorf. Dort können wir Zimmerleute anwerben, die den Wagen hier draußen reparieren. Ihr könnt schon ins Dorf reiten, es gibt dort einen Gasthof, wo alle sich ausruhen können.“
Jessys Stimmung hob sich sofort. Ein Gasthof! Schlafen in einem richtigen Bett! Was für ein Glücksfall. Doch sie wollte nicht ausruhen, so lange Albin alleine durch die Gegend irrte. Außerdem hatte sie kein Pferd.
Also blieb sie in der Nachmittagshitze und setzte sich in den Schatten des Wagens, wo das Korn bereits völlig platt getreten war. Sie döste ein wenig und unterhielt sich mit Dennit, der zusammen mit Rojan zurück geblieben war, um den Wagen zu bewachen. Benoas zeterte leise vor sich hin, während er prüfte, welche seiner Vorräte beschädigt worden waren.
Plötzlich erschien wie aus dem nichts eine ihrer Hündinnen und ließ den blutigen Kadaver eines Kaninchens mit zufriedenem Blick in Jessys Schoß fallen.
„Ach du meine Güte“, entfuhr es ihr. Dennit lachte.
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