„Ich möchte mit einem von ihnen sprechen“, sagte Tychon entschlossen.
„Sie werden euch nichts sagen, Herr“, antwortete Sketeph mit dünnem Lächeln. „Wenn die Gilde sich zusammentut, dann werden sie unter Tod und Folter schweigen. Wer auch immer sie gerufen hat, besitzt große Macht über sie. Immerhin riskieren sie ihr Leben, wenn sie diesem Ruf folgen.“
Tychon schwieg und dachte nach. Sein Gesicht war angespannt, seine Kiefer fest aufeinander gepresst.
„Ich danke dir für deine offenen Worte. Das sind wahrlich beunruhigende Nachrichten für uns.“
Illdin neigte respektvoll den Kopf. „Ich freue mich immer, wenn ich dem König dienen kann. Oder in diesem Fall seinem Sohn. Aber jetzt sehe ich, dass unser Gespräch Euch betrübt hat. Das kann ich nicht dulden in meinem Zelt und in meinem Lager.“
Er winkte der jungen Frau zu, die mehr Wein brachte. „Ihr seid meine Gäste. Genießt eine Nacht in unserer Runde. Morgen ist noch Zeit genug um sich zu sorgen. Heute sollt ihr frei vom Kummer sein.“
Jessy war nicht beleidigt, als Tychon ihr nahe legte, sich zurück zu ihrem Lager bringen zu lassen. Die Nacht war herein gebrochen und die Sterne funkelten über ihnen. Die kühle Luft klärte ihren Geist ein wenig. Von dem Rauch im Zelt fühlte sie sich benommen. Sie war müde und hatte genug gesehen.
„Ich will keinem Eurer Männer zumuten, auf mich aufpassen zu müssen“, sagte sie lächelnd. „Sie sollen ihren freien Abend genießen.“
Der Weg durch die Wiesen in Rojans schweigsamer Gesellschaft entspannte sie. Grillen zirpten im hohen Gras, die Musik wurde leiser und sie freute sich auf einen kühlen Schluck Wasser und ihre Pritsche. Doch wahrscheinlich musste sie Amileehna noch lang und breit alles berichten, was sie gesehen hatte. Bestimmt lag die Prinzessin wach im Bett und wartete auf sie. Die Geschichte mit dem Amulett würde ihr bestimmt gefallen. Doch Jessy wollte sie nicht teilen. Dies war ihr Geheimnis. Besonders die Prophezeiung der alten Frau. Ein langer Weg mit Gefahren für ihr Herz? Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was das bedeuten sollte.
Doch es war nicht Amileehna, die sie erwartete, sondern Morian. Lächelnd stand er am Eingang seines Zeltes. Es war unter seiner Würde, sich in das Gauklerlager zu begeben und so hatte er darauf verzichtet, mit Tychon zu gehen. Vielleicht auch nur um Jessy jetzt abzufangen. Jedenfalls winkte er sie heran und sie hatte kaum die Chance sich zu wehren, als er sie in sein Zelt schob.
„Du kannst gehen“, sagte er zu Rojan. „Sei versichert, dieser Dame droht in meiner Gesellschaft nicht die geringste Gefahr.“
Sein Grinsen schien Jessy noch maskenhafter als sonst. Rojan zögerte einen winzigen Moment, dann neigte er den Kopf und verschwand.
„Bitte setz dich“, sagte er höflich und deutete auf einen Klappsessel. „Möchtest du etwas trinken?“
„Wasser“, sagte sie schroff. Morian hob die Brauen.
„Ich bitte dich. So einen köstlichen Tropfen wie diesen hier, kannst du mich nicht allein genießen lassen. Aus meinem Privatvorrat.“ Als er ihr einen Becher mit goldenem Rand reichte, zwinkerte er Jessy zu. Sie fühlte sich sehr unwohl und wappnete sich gegen Vorwürfe, Schmeicheleien, Lügen – was auch immer er vorhatte, ihr zu erzählen. Das Zelt war sehr viel luxuriöser als ihres, auf dem Boden lag ein Teppich und es gab mehrere Feuerschalen. An einem Pfosten hing ein kleiner Rasierspiegel und auf einem Tischchen standen eine Waschschüssel aus Porzellan und ein passender Krug. Eine der Liegen war mit vielen Kissen und Pelzdecken ausgestattet, das musste Morians sein. Er hatte sogar Bücher mitgebracht, die sich neben seinem Bett türmten. Auf Tychons Pritsche lagen sein schmutziges Hemd und ein Stapel Landkarten, die er sich offensichtlich gerade noch angesehen hatte. Das Bett von Fabesto glich ihrem schon eher, es gab nur ein kleines Kissen und eine raue Decke. Er hätte wahrscheinlich lieber auf dem Boden geschlafen.
„Hattest du einen schönen Abend?“
„Das hatte ich. Und sehr informativ“, antwortete sie. Sie hatte nicht die geringste Lust, Morian Bericht zu erstatten. Sollte er sich doch von jemand anderem alles erzählen lassen. Doch er verzog nur spöttisch den Mund.
„Das bezweifle ich. Von diesen Leuten kann man keine ehrlichen Aussagen erwarten. Sie sind durch und durch verkommen, betrügen und stehlen und bewegen sich nur am Rande des Gesetzes der Krone. Ihnen ist nicht zu trauen. Sie würden dem Prinzen alles erzählen, was er hören will, wenn er nur ein paar Goldmünzen in ihrem Lager zurück lässt.“
„Hast du das Tychon auch gesagt?“
„Selbstverständlich. Aber wie du vielleicht schon festgestellt hast, bildet sich unser Herr gerne seine eigene Meinung.“
„Was er auch tun sollte als zukünftiger König“, versetzte Jessy.
Morian schien durch ihren Seitenhieb amüsiert. „Da stimme ich dir völlig zu. Trotzdem – er ist sehr jung und braucht Führung.“
„Ich bin müde und möchte gerne schlafen“, sagte sie. „Könntest du also bitte auf den Punkt kommen, warum du mich noch sprechen wolltest?“
Morian lehnte sich zurück und streckte die langen schlanken Beine aus, die in schwarzen ledernen Hosen steckten. Sein Hemd war aus blauer Seide und sein Wams mit Stickerei verziert. Jessy hatte den Eindruck, dass er der Herr dieses Zeltes war und nicht ein anderer.
„Ich möchte mit dir plaudern, das ist alles. Es gibt so viele Dinge, die ich über dich erfahren möchte. Ich bin von Natur aus sehr neugierig.“
„Zum Beispiel? Noch mehr Kram aus meiner Welt?“
„Nein, ganz im Gegenteil. Du bist es, die mich interessiert.“ Seine Stimme klang gefährlich leise. „Bisher sind wir davon ausgegangen, dass du durch einen Zufall hier her gelangt bist. Aber vielleicht war es auch die Vorsehung, die ausgerechnet dich auf diese Reise geschickt hat. Irgendetwas Besonderes ist an dir, das spüre ich genau. Deshalb möchte ich dich kennen lernen. Um zu verstehen, welche Rolle du hier spielen wirst.“
Jessy antwortete nicht. Was für ein eigenartiger Gedanke. Bisher hatte sie selbst über ihr Leben bestimmt. Schicksal – gab es das überhaupt? In jedem Fall würde sie mit Morian das Ganze nicht erörtern. Sie vertraute diesem Mann kein Stück.
„Warum führen wir dieses Gespräch nicht mit Tychon. Er sollte über alles Bescheid wissen“, sagte sie. Ihre Finger hielten den Becher fest umklammert. Es war unmöglich, sich in der mächtigen Gegenwart dieses Mannes zu entspannen. Nun wurde seine Miene eine Spur unfreundlicher.
„Du bist ihm sehr ergeben, nicht wahr? Dabei dürfte dir klar sein, dass ich allein es war, der deinen Kopf gerettet hat. Nur meine Stimme hat im Kronrat Gewicht und deine Begnadigung habe ich bewirkt.“
„Und deshalb soll ich mich dir verpflichtet fühlen und den Prinzen hintergehen? Wie wäre es, wenn ich morgen früh zu ihm gehe und ihm berichte, dass du irgendetwas gegen ihn ausheckst?“
Morian lachte laut. „Ich hecke etwas aus? Ich bitte dich. Meine Familie ist seit dreihundert Jahren im Kronrat vertreten. Niemand könnte loyaler sein. Und warum sollte ich Tychon oder dem König etwas anhaben wollen? Mir geht es gut, wo ich bin.“
„Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass du irgendwelche Ziele verfolgst, die du nicht offen legst. Ich werde schon dahinter kommen.“
„Du hast eine sehr schlechte Meinung von mir, wie mir scheint. Dabei habe ich dich immer sehr zuvorkommend behandelt. Ein Grund mehr unsere Bekanntschaft zu vertiefen. Ich bin immerhin kein Bösewicht.“
Seine Zähne leuchteten unnatürlich weiß. Jessy verabscheute sein selbstsicheres Gehabe und sie stand ruckartig auf.
„Wir können gerne über alles sprechen, was du wissen möchtest. Aber nur in Gegenwart des Prinzen. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm.“
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