„Das sind schlechte Neuigkeiten, oder?“ fragte Jessy.
„Wir sollten es nicht zu schwarzsehen. Wer weiß schon, was in diesen Zwergenwesen vorgeht. Macht euch keine Sorgen deswegen.“
„Was ist mit Magiern?“ fragte Fabesto mit der gewohnten Skepsis in der Stimme und gerunzelter Stirn. „Habt ihr welche gesehen?“
„Es mag für uns alte Kämpfer schwer zu verstehen sein, aber die meisten Menschen hier haben mit all dem abgeschlossen. Die Magie ist verschwunden, aus Westland und auch aus ihrer Erinnerung. Sie fürchten sie nicht mehr, wie ein paar von uns, die Schreckliches erlebt haben. Hier im Hügelland werdet ihr niemanden finden, der Jagd auf versprengte Magier macht und ihnen mit der Klinge droht.“ Efrem machte eine Pause. „Es herrscht Frieden.“
„Es tut gut, das aus deinem Mund zu hören“, sagte Tychon. „Im Kronrat wurde bereits Skarphedinns Name ausgesprochen und ich will auf jeden Fall verhindern, dass irgendwelche Gerüchte verbreitet werden.“
Plötzlich brachen Efrems Männer in schallendes Gelächter aus. Ihr Herr lächelte milde.
„Dann müssen wir alle dir beichten, Herr, wir sprechen diesen Namen recht häufig aus“, sagte einer von ihnen lachend. „Wir nannten den Eber in Efrems Schweinezucht Skarphedinn.“
Der Nachmittag in Efrems Gesellschaft hatte Jessys Stimmung gewaltig verbessert. Es tat gut, zu sehen, dass es auch normal denkende Menschen in diesem Land gab, die nicht paranoid in der Angst vor Zauberei lebten und auch ihre eigenen Entscheidungen trafen. Jessy hatte automatisch eine gute Meinung von den Leuten die „das Hügelland“ bevölkerten. Vielleicht stimmte es und Tychon übertrieb nur mit seiner Sorge. Vielleicht hörte das Eindringen von Dingen aus ihrer Welt bald auf und alle Sorge zerstreute sich. Aber dann wäre womöglich auch ihr Rückweg abgeschnitten…
Während sie am Abend auf ihrer Pritsche darüber nachgedacht hatte, lauschte sie wieder den fröhlichen Stimmen am Feuer und wünschte sich sehnlichst, ein Teil der Gruppe zu sein. Sogar Tychon hatte Morians Gesellschaft aufgegeben und sich zu den Wölfen gesetzt. Anscheinend gefiel ihm die Art, wie Efrem über alle Hierarchien hinweg mit den Menschen umging. Jessy fand, es passte viel besser zu dem jungen Prinzen, unter seinesgleichen zu sein, als ständig über die Probleme seines Landes palavern zu müssen.
„Wir machen eine Pause“, tönte Rheys Stimme durch die mittägliche Sonnenglut. Jessy wischte sich erleichtert die Stirn. Es war sehr heiß an diesem Tag und der Wald lichtete sich allmählich. Bald würden sie das Hügelland durchqueren und dort der Sommersonne schutzlos ausgeliefert sein. Jessy hatte bereits die Ärmel ihres Hemdes aufgekrempelt und hätte gerne auch das Wams ausgezogen, doch sie wollte niemanden damit irritieren. Also schwitzte sie in der Lederkleidung vor sich hin.
Sie stiegen aus den Sätteln und führten die Pferde in den Schatten der Bäume am Wegesrand. Albins Hengst wurde in der Hitze noch gereizter und schnappte ständig nach den anderen Pferden, während sein Reiter alle Mühe hatte, ihn zu zähmen. Am Morgen hatte er anstatt in die Flanke seines tierischen Nachbarn in Boscos Oberschenkel gebissen, was Bosco ihm mit einem festen Schlag auf die Nase heimzahlte. Das machte den Rappen nicht gerade umgänglicher. Außerdem schimpfte Bosco mit Albin und sagte, jeder Stallknecht in der Eisenfaust hätte dem Pferd längst Manieren beigebracht.
Albin zuckte unter dem Tadel zusammen und bekam noch größere Angst vor seinem Reittier. Warum war er nur so dumm und tauschte nicht einfach das Pferd mit jemandem, der besser damit zurecht kam? Aber was Männer und ihren eigenartigen Stolz betraf, das war Jessy schon immer ein Rätsel gewesen.
Jetzt band sie Lia an einen tief hängenden Ast und schlug sich in die Büsche um sich zu erleichtern. Amileehna begleitete sie. Sie gingen immer zu zweit, eine strenge Anweisung von Rheys.
Heute bot selbst das Unterholz keine Abkühlung, die Insekten schwirrten um Jessy herum und versuchten auf ihrer verschwitzten Haut zu landen. Selbst die Vögel gaben zu dieser Mittagsstunde Ruhe. Und auch Amileehna war erstaunlich schweigsam. Sie fanden ein dichtes Gebüsch, das ihnen Sichtschutz bot. Bevor Jessy sich hinhockte, sah sie etwas Glänzendes zwischen den Farnwedeln und beugte sich hinunter. Schon wieder ein Gegenstand aus ihrer Welt? Sie schob die Pflanzen zur Seite und vernahm ein lautes Geräusch wie reißendes Papier. Im selben Augenblick schoss etwas auf sie zu und ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren linken Arm. Sie schrie auf und taumelte zurück.
„Was ist?“ rief Amileehna und stürzte auf sie zu. „Was ist passiert?“
„Irgendwas hat mich gebissen!“ schrie Jessy und starrte auf die roten Spuren an ihrem Handgelenk.
„Da ist es! Es ist eine Schlange!“
„Was ist da hinten los?“ brüllte Bosco von der Straße her.
„Schnell!“ rief Amileehna aufgeregt. „Jessy wurde von einer Schlange angegriffen!“
Jessy war schwindelig. Brennender Schmerz pulsierte durch ihren Arm bis hinauf zum Ellbogen.
„Verdammte Scheiße“, murmelte sie. Nicht das! Wie weit war sie vom nächsten Arzt entfernt, der ihr ein Gegengift spritzen konnte? Lichtjahre?
Schon war Bosco bei ihr und im nächsten Moment auch alle anderen.
„Was für eine Schlange war es?“ fragte Rheys und stieß die anderen zur Seite. Er griff nach Jessys Arm. Um den Biss bildete sich bereits eine Schwellung. Sie wollte instinktiv die Hand zurückziehen, denn es widerstrebte ihr, von ihm angefasst zu werden.
„Sie war schwarz und glänzend.“
„Und sie hat gefaucht“, fügte Jessy hinzu. „So ein verfluchtes Biest!“
„Eine Blaunatter. Ist nicht so schlimm“, sagte Dennit.
„Was heißt das? Wird mein Arm abfallen?“
„Blödsinn“, sagte Rheys. Dann führte er ihren Arm zu seinem Mund und begann das Gift aus ihrem Fleisch zu saugen. Es tat weh und Jessy keuchte auf. Als er sich aufrichtete und das Gift ins Gebüsch spuckte, sah sie seine Zahnabdrücke auf ihrer Haut. Aber der Druck und das Brennen waren etwas gewichen.
„Es tut weh“, sagte sie und langsam spürte sie, wie sehr es tatsächlich schmerzte.
„Das glaube ich“, sagte Bosco mitfühlend. „Diese Viecher sind wirklich nicht zu unterschätzen. Aber keine Angst, das Gift ist raus und es wird sich nicht entzünden.“
Rheys hielt ihren Arm noch immer und betrachtete die Bisspuren.
„Sag Bescheid, wenn deine Finger taub werden oder blau“, sagte er.
Jessy schaute ihn einen Moment verwirrt an. Hatte er ihr grade das Leben gerettet? Schwer zu glauben… Sie entwand ihm ihre Hand.
„Mach ich. Danke.“
„Ist dir schlecht?“ fragte Bosco. „Gebt ihr was zu trinken!“
Die Umstehenden schienen in echter Sorge um sie zu sein, Tychons Gesicht sah schrecklich ernst aus. Alle berieten, welche Art von Umschlag man auf den Biss legen sollte.
„Setz dich ein bisschen hin“, riet Benoas, der schließlich einen Verband mit Arznei aus seinem geheimen Vorrat anlegte. „Falls noch Gift in dir ist, sollte es sich nicht verteilen.“
Als sie weiter ritten spürte Jessy noch immer den Schmerz, aber ihre Finger kribbelten lediglich ein bisschen. Langsam verebbte die Angst, dass sie sterben oder ihren Arm verlieren würde. Trotzdem war es ein Schock gewesen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie in dieser fremden Welt tausend Gefahren ausgesetzt war, die nichts mit Schwertern zu tun hatten. Keine ihrer Impfungen würde hier wirken, sie konnte an einem simplen Mückenstich oder einer Lebensmittelvergiftung sterben. Darüber sollte sie sich wohl wirklich nicht zu viele Gedanken machen.
Am Abend nahm ihr Kaj das Pferd ab und schickte sie mit einem wortlosen Nicken davon. Jessy war dankbar. Sie war entsetzlich müde und fühlte sich fiebrig. Aber das mochte auch an der Hitze liegen, die sie den ganzen Tag gequält hatte. Sie setzte sich ins Gras, lehnte sich an einen Baum und schloss die Augen.
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