1 ...7 8 9 11 12 13 ...45 „Bist du eine Hure? Ein angeworbenes Weib, das Skarphedinn eingeschleust hat?“
Jessy stieß die empört die Luft aus. „Das ist ja eine Unverschämtheit. Verschwinde, ich will nichts mit dir zu tun haben. Ich weiß nichts von deinem ganzen Zeug.“
Eine Sekunde später hatte der Mann sich davon gemacht. Jessy blinzelte. Sie fühlte sich, als wäre plötzlich ein großer Druck von ihr abgefallen.
Der Mann kam nicht zurück. Sie setzte sich wieder auf ihren Strohhaufen und tröstete sich am Anblick des leuchtenden Schmetterlings. Er war seltsam und sie konnte sich gar nicht daran sattsehen. Es war ein lebendiges Tier, sie konnte keine Spur von Elektronik erkennen. Sie wollte ihn gerne genauer untersuchen, befürchtete aber, das filigrane Wesen zu verletzen. So ließ sie ihn einfach herumflattern und wartete frierend und voller dunkler Ahnungen auf den Morgen.
Sanfte, wärmende Finger streichelten Jessys Gesicht und ein Gefühl des Friedens breitete sich in ihr aus. Alles würde gut werden. Der Albtraum war zu Ende.
Jäh wurde sie aus dem tröstlichen Halbschlaf gerissen. Im Morgengrauen hatte sie die Augen nicht mehr offen halten können und war in einer unmöglichen Körperhaltung an der Wand kauernd eingeschlafen. Nun ertönten draußen vor der Kerkertür laute Stimmen und ihre Lider fühlten sich bleischwer an, als sie sie mühevoll öffnete. Der süße Traum wich von ihr und sie spürte schlagartig ihre vor Kälte steifen Glieder. Die wärmenden Finger auf ihrem Gesicht waren die zaghaften Sonnenstrahlen gewesen, die durch das kleine Gitterfenster in ihr Verlies vorgedrungen waren.
Jessy war sofort in Alarmbereitschaft und kam ungeschickt auf die Füße, wobei jeder Muskel in ihrem Leib schmerzte. Sie band sich das Haar zurück und spritzte sich eilig etwas Wasser aus dem Krug ins Gesicht. Es war eiskalt und ließ ihre Haut prickeln. Die beinahe schlaflose Nacht hatte ihre Gedanken träge werden lassen und sie betete um Konzentration im entscheidenden Moment. Sie musste sich wappnen für all das, was ihr jetzt drohte. Und was in der nächsten Minute durch die schwere Holztür herein kommen würde.
Die Diskussion draußen war offenbar beendet, denn Jessy hörte den Schlüssel im Schloss knirschen und holte tief Atem. Der Gestank in der Zelle stieg ihr scharf in die Nase. Hoffentlich kam sie bald hier heraus. Egal, was danach drohte, hier wollte sie auf jeden Fall nicht noch eine Nacht bleiben.
Eine große Gestalt trat unter der niedrigen Tür hindurch in den Raum und richtete sich auf. Es war Bosco. Jessy war sofort erleichtert, obwohl sein Gesicht noch immer besorgt und ernst wirkte. Doch als sie sah, dass hinter ihrem Freund der rothaarige Junge eintrat, der sie an den Kronrat verraten hatte, wurde ihre Freude etwas gedämpft. Was hatte er denn hier zu suchen? Misstrauisch wich sie einen Schritt zurück. Ihr war klar, dass sie Bosco enttäuscht hatte. Wer konnte schon wissen, ob er noch bereit war, ihr zu helfen?
Er hob beschwichtigend seine riesigen Hände.
„Sei unbesorgt“, sagte er. „Wir sind auf deiner Seite. Dieses kleine Klatschmaul hier wollte dir keinen Ärger bereiten. Stimmt’s?“ Er gab Albin einen heftigen Stoß, der den Jungen fast umwarf und sicher auch nicht angebracht war. Immerhin war er ein Adelsspross. Doch Albin schien so beschämt, dass er kaum den Kopf heben konnte. Seine Schultern waren eingesunken von vielfacher Demütigung und seine Ohren leuchteten im trüben Licht der Zelle. Jessys Zorn auf ihn verrauchte etwas.
„Es tut mir Leid. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das passiert“, sagt er leise. „Der Gedanke, etwas Hilfreiches beizutragen war so verlockend. Und als die Kronräte wieder über die fremdartigen Dinge diskutierten, die uns heimsuchen, fiel mir ein, dass ich dich und deine merkwürdige Kleidung gesehen hatte. Das erschien mir zu wichtig um es zu verschweigen. Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“
„Daran bist du nicht allein schuld“, sagte Jessy ein wenig versöhnt. Sie sah, dass er ehrlich geknickt war. „Ich hätte den König nicht anlügen dürfen.“
„Nein, hättest du nicht“, sagte Bosco streng. Er hatte die Arme vor der mächtigen Brust verschränkt. „Der König ist ein guter Mann, du hättest ihn für dich gewinnen können. Aber du hast jeden, der womöglich an deine Unschuld geglaubt hat, vor den Kopf geschlagen. Mich eingeschlossen. Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du die Sachen kennst?“
Jessy tat es leid, das Bosco ihretwegen sicher einige Probleme bekommen hatte. Sie verschränkte die nervösen Hände ineinander.
„Ich dachte, wenn ich mich als wertvoll erweise, weil ich Informationen für euch habe, lasst ihr mich niemals wieder gehen“, gab sie niedergeschlagen zu. „Ich will hier nicht bleiben, ich will nach Hause! Und ich kann euch nichts erzählen, was euch helfen wird. Ja, ich kenne diese Sachen und ich musste es einfach sagen, denn sonst hättet ihr noch eure Burg angezündet. Aber warum das alles hier ist, warum ich hier bin – das weiß ich doch auch nicht!“
Heiße Tränen standen in ihren Augen.
„Tja, aber genau das wird wohl der einzige Weg sein, deinen Hals zu retten“, murmelte Bosco.
„Wie meinst du das?“ fragte sie und wischte sich die Nase. Sie wollte nicht heulen, sondern sich stark zeigen. Aber die Angst und die Nacht hier unten hatten mehr an ihren Nerven gezehrt, als sie zugeben mochte.
„Ich habe mir alles genau überlegt“, sagte Albin plötzlich auflebend und kam einen Schritt auf sie zu. „Du hast heute noch einmal die Möglichkeit, dich vor dem Kronrat zu äußern. Dann wirst du die ganze Wahrheit sagen. Du musst dich zutiefst reumütig zeigen, weil du gelogen hast. Sprich von deiner Angst und Verzweiflung. Das wird die weicheren unter ihnen überzeugen. Immerhin bist du…“ Hier errötete Albin ein bisschen und machte eine fahrige Geste in Richtung ihres Mieders.
„…ein Mädchen.“
Jessy grinste. Schon lange hatte sie niemand mehr als Mädchen bezeichnet.
„Aber schwieriger zu überzeugen werden die Kronräte sein, die grundsätzlich auf ihren eigenen Vorteil aus sind. Allen voran mein Vater und auch Meltis – das ist der Dicke. Das wichtigste ist jedoch, dass du Morian auf deine Seite ziehst.“
„Der Schwarzhaarige mit den vielen Juwelen?“
„Ganz genau“, sagte Albin. „Er zieht im Kronrat alle Fäden. Seine Familie ist sehr reich durch Handelsbeziehungen mit dem Südland. Kaum eine importierte Ware in Westland, die nicht durch sein Kontor eingeführt wurde. Er hat großen Einfluss auf den König und auch eine sehr gewinnende Art. Du wirst es sicher noch merken. Aber er wird hart wie ein Fels bleiben, egal wie sehr du das Mitleid der anderen erregst. Und wir haben leider nicht so viel anzubieten.“
Hier versank Albin für einen Moment ins Grübeln. Die Sache zu durchdenken hatte ihm offenbar viel Spaß gemacht. Während er redete, hatte sein Gesicht eine etwas gesündere Farbe angenommen und sein offenkundiger Wunsch, ihr zu helfen, rührte Jessy.
„Mach dir keine Gedanken“, sagte sie nun. „Ich werde mit diesem Kerl schon fertig. Wenn du denkst, ich habe eine Chance, mit Ehrlichkeit ans Ziel zu kommen und dass mir die anderen glauben werden, dann schaffe ich es.“
Wirklich? Für einen Moment wurde Jessy schwindelig bei dem Gedanken, dass es hier tatsächlich um ihr Überleben ging. Das alles war doch einfach absurd…
„Eines hat unser Freund hier aber noch vergessen und das ist das Wichtigste“, sagte Bosco streng. „Du musst auf Stein und Bein schwören, dass du mit den Magiern nichts am Hut hast. Wenn sie daran auch nur einen winzigen Zweifel haben, unterschreiben sie das Todesurteil schneller, als du blinzeln kannst.“
„Das ist kein Problem“, erwiderte sie ernst. „Ich habe nämlich wirklich überhaupt keine Ahnung, was es damit auf sich hat. Aber heute Nacht kam ein seltsamer Mann hier an das Fenster. Er fragte mich alles Mögliche, ob mich ein gewisser Skar-irgendwas geschickt hat und ob ich eine Spionin bin. Dann schickte er einen leuchtenden Schmetterling herein. War das ein Magier?“
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