Esrael sah sie schweigend an. Seine Gedanken rasten. Das habe ich noch nie gemacht, dachte er. KEINER hat so etwas bisher versucht!
Er erwachte aus seiner Starre und wiegte ihre Schultern vor und zurück, dann zupfte er kurz an einer Haarsträhne.
„Ja, Kleine. Ich glaube, genau das ist es.“ Er ließ sie los und sein flimmerndes Erscheinungsbild schritt durch sie hindurch. Er ging noch ein paar Meter weiter, als Eleya sich zu ihm umdrehte und fragte:
„Was meinst du?“
Esrael blieb stehen. Er stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme. Aus dieser Bewegung heraus griff er sich mit der Hand nachdenklich ans Kinn.
„Ja, ich glaube, das ist der Grund. Du möchtest es perfekt machen, nicht wahr?“
Eleya war immer noch zu verunsichert und vermutete eine Fangfrage dahinter. Daher sagte sie nichts und hörte zu, innerlich lauernd, ob nicht doch der nächste Ausbruch bevorstand.
„Du weißt, was du kannst. Das mit der Zwischeninterpolation habe ich übrigens vorher noch nie gehört“, lächelte er. „Ich wusste gar nicht, dass so etwas überhaupt geht. Nicht übel – für einen Anfänger!“
Verdammt, warum habe ich so etwas vorher nie versucht?
Eleya wurde verlegen und begann ebenfalls zu lächeln.
„Aber schau, Schwesterchen, genau da fängt das Problem an. Du versuchst, das alles perfekt zu machen. Du möchtest alles im Griff haben. Du willst den Fluss nach belieben steuern.“
Esrael drehte die Handflächen nach oben.
„Eleya, siehst du es denn nicht?“
Er strahlte sie an.
„Du hast alle Fähigkeiten, die notwendig sind. Aber du hast den selbstlosen Weg vergessen. Du versuchst, alles immer unter Kontrolle zu halten. Und genau das führt zu deinem Scheitern. Wir haben zu viel gelernt und dabei das Wesentliche außer Acht gelassen. Besinn dich doch nochmals auf die Anfänge deiner Ausbildung. Konzentriere dich mit jeder Faser auf deine Aufgabe. Schau sie dir in Gedanken an. Ganz genau – aus jeder erdenklichen Richtung. Achte auf alle Details. Bleib dabei aber hierbei neutral. Nicht werten, nicht beurteilen, nicht kommentieren – nur beobachten. Und dann ... übergib dich dem Fluss. Versuche nicht selbst, etwas zu regeln. “ES” wird dich regeln. Du bleibst einfach nur als Beobachter zurück. Alles wird eins. Und es geschieht einfach. Bring hierbei keinen eigenen Willen ein.“
Eleya wusste genau, was Esrael meinte. Konnte es wirklich sein, dass ... ?
Ihre Gedanken begannen zu kreisen.
In der Tat hatte Esrael Recht, sie kannte alle Details, kannte sie sogar in- und auswendig. Und bei den normalen Übungen klappt alles tadellos. Sie war davon sehr überzeugt. Ja, da strengte sie sich auch nicht mehr an, das geht einfach von selbst. Fast ohne ihr zutun. Aber immer dann, wenn sie etwas besonders gut machen will ...!
Lächelnd hob sie ihren Kopf.
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst.“
Esrael sah aufmerksam zurück.
„Und? Hab ich es dir nicht schon tausendmal gesagt?“
Er zeigte ein strahlendes Lächeln.
„Ja, schon, doch diesmal bist du so ..., so ...“, Eleya suchte nach Worten, „... so nett! Und du erklärst es auch so schön!“
Esrael stand da und präsentierte weiße Zähne. Er musste aufpassen, dass daraus keine Grimasse wurde.
Nett!
Ja, nett wollte er schon immer sein, ging ihm ironisch gemeint durch den Sinn. Er schenkte Eleya ein kurzes Nicken, gefolgt von einem Schulterzucken.
Jetzt nur nichts kaputt machen, dachte er.
„Na, was meinst du? Wollen wir es nochmal versuchen? Ich bin sicher, du schaffst es ohne Probleme“, versicherte Esrael.
Eleya strahlte.
In diesem Moment lichtete sich der Nebelvorhang und ließ wärmende Sonnenstrahlen durch.
Eleya schaute blinzelnd in den Himmel. Sie hielt als Blendschutz die Hand vor die Augen und blinzelte zwischen einem winzigen Spalt zwischen den Fingern in die Sonne.
„Esrael, sieh mal“, sagte sie. Er hatte ebenfalls den Blick auf die Sonne gerichtet und erkannte, dass ihr blaues Licht zu flimmern begann.
Schwarzes Meer, 11000 Fuß über Grund
„DOWN-Staffel, macht euch fertig, wir tauchen ab auf mein Kommando. Im Abstand von zehn Sekunden folgt die nächste Maschine. Sinkrate 20 Fuß pro Sekunde. Es dürfte unterwegs nichts Ungewöhnliches geben, achtet auf euer Radar. Daywalker Ende.“
Mika justierte den Autopiloten und leitete das computergesteuerte Abtauchmanöver ein. Seine Augen verfolgten die Anzeigen der Multifunktionsinstrumente.
Wolkenfetzen sausten am Typhoon vorbei, und auch schon im nächsten Moment waren Turbulenzen spürbar.
„So, es geht los. Könnte etwas unruhig werden“, gab Mika durch.
Das Rütteln wurde stärker, und hin und wieder heulten die Triebwerke auf.
Wieder ein Rucken, dann ein sehr heftiger Schlag. „Uhh, das geht ordentlich ab.“
„Mhhm ...“
Es dauerte keine zwei Minuten, dann durchbrach der Typhoon die untere Wolkenfront.
Mit einem Schlag wurde es komplett dunkel. Manchmal konnte man eine Bewegung in dem undurchdringlich scheinenden Wolken erkennen. Es herrschte eine bedrohliche Stimmung. Starke Blitze erhellten die dichten Wolkenmassen und beleuchteten die flutartigen Rinnsale des Regens, die über das Canopy prasselten. Als die Sensoren eine Flughöhe von fünfzig Metern anzeigten, blickte Mika aus dem Cockpit.
Da unten war Wasser. Nichts als Wasser.
Eine bis zum Horizont reichende Wasserfläche, wo eigentlich Land sein sollte.
„Hm, warte, hier stimmt was nicht”, meldete sich Carlos. “Also, das ist extrem seltsam. Ob du es glaubst oder nicht, ich erkenne wieder etwas im Radar. Es ist noch immer schwach, aber ich sehe verschiedene Maschinen, einige Vogelschwärme und ... unsere Staffel über den Wolken. Zwar sind die Signalwerte klein, die Reichweite ist nur sehr gering, aber es funktioniert wieder.“
„Seltsam. Ich sehe es jetzt auch. Noch vor einer Minute erhielten wir nur blindes Rauschen.“
Er aktivierte das Com: „Daywalker an gesamte Staffel. Schalten sie ihr Radar um auf das Betawellen Band. In diesem Sektor scheint es wieder einigermaßen zu funktionieren.“
Es dauerte keine zehn Sekunden, dann meldeten sich schon die Ersten. „Daywalker, hier Scoop. Ich kann den Radarempfang bestätigen. Roger.“
„Hier Crawler, bestätige ebenfalls die Funktion.“
Plötzlich meldete sich Carlos: “Achtung, wir haben Feindkontakt. Ich erkenne einen großen Pulk, der aus über fünfzig Flugzeugen besteht, Richtung Süd-Ost, Entfernung … noch zirka einhundertzwanzig Kilometer.”
„Einhundertzwanzig Kilometer“, sagte Mika. „Welche Höhe?“
„Negativ“, war die knappe Antwort. Carlos spielte wie wild mit den Radarscannern. „Das kann ich nicht erkennen. Das Signal wird deutlicher, einzelne Blips werden bereits vom Waffenkontrollcomputer zugeordnet, aber immer noch ohne Höhenangabe. Entfernung einhundertzehn Kilometer.“
Mika aktivierte das Com: „UP- und DOWN-Staffel, reduzieren sie die Geschwindigkeit auf Unterschall. Abstände beihalten. Ich möchte nicht, dass wir aus Versehen mit einem Schlag am gesamten Feindgeschwader vorbeifliegen.“ In seiner Stimme war deutlich sein Hass zu hören. „Abstand noch einhundert Kilometer. Also, runter vom Gas und Augen auf. Viel Glück. Daywalker Ende.“
„Das war er jetzt“, dachte Mika, „der Moment, auf den ich seit so langer Zeit gewartet habe.“
Abstand Neunzig Kilometer. Mikas Blick wanderte suchend über den Himmel.
Ein gewaltiger Blitz erhellte das Cockpit.
„Noch knapp siebzig Kilometer“, las Carlos vom Radarscanner ab. „UP-Staffel, empfangen sie das Signal? Sehen sie bereits etwas?“
„Negativer Sichtkontakt“, kam sofort die Antwort. „Das Signal kommt von unten, Entfernung sechzig Kilometer.“
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