Dieses Jucken in den Armen ...!
Unter der geröteten Haut der dürren Arme zeichneten sich die beiden Unterarmknochen ab.
Eleya ballte die rechte Hand zur Faust, um sie anschließend wieder zu öffnen.
Beide Arme waren total geschwollen, geradezu aufgequollen! Alles war viel zu stramm. Sie drehte die Handfläche nach oben und sah sich ihre Daumen genauer an. Der Daumenballen war am stärksten angeschwollen. Sie ballte nochmals die Hand zur Faust und drückte sie mit aller Kraft zusammen, als sich mit einem schmatzenden Geräusch der Daumennagel abhob. Doch anstelle eines Schmerzes wich das anfängliche unbehagliche Gefühl einer wahren Erleichterung. Die Haut am Daumen begann weiter aufzuplatzen wie die Oberfläche einer reifen Frucht. Zwei Zentimeter, drei Zentimeter. Eleya spannte den Arm an. Mit einem Schlag riss die gesamte Haut bis zum Ellbogen auf. Ein Schwall klarer Flüssigkeit floss heraus. Als sie die Hand nach hinten abwinkelte, löste sich einer der Unterarmknochen vom Ellbogengelenk. Wie ein zusammengefalteter Zollstock begann sich das neue Gebilde auszustrecken. Die Haut riss weiter auf, erst bis unter die Achselhöhlen, entlang des Rückens bis in die Mitte der Schulterblätter.
Fasziniert beobachtete sie diesen schmerzfreien Vorgang. Sie blickte auf den linken Arm, an dem dieselbe Verwandlung eingesetzt hatte. Als sie die Arme ausstreckte, spannte sich ein feuchter Strang zwischen den Schulterblättern und der Spitze des neuen Fingers, der ehemals ein Unterarmknochen war.
Erste Gedanken begannen sich zu bilden: „Welche Erleichterung! Wie angenehm. Endlich frei“!
Und noch während es die beiden Arme zu der gesamten Länge ausstreckte, bemerkte sie den hauchdünnen Film, der sich aufspannte. Überrascht und glücklich zugleich betrachtete sie die feuchten, zerbrechlichen Schwingen, die in sämtlichen Regenbogenfarben schillerten. Mit weit ausgebreiteten Flügeln stand sie da, den Kopf in den Nacken gelegt und ließ die zerbrechlichen Schwingen im warmen Wind trocknen.
„... ELEYA ...”, hallte der Ruf durch ihren Geist. Schlagartig war sie sich ihrer selbst bewusst. Ihre Reise war abgeschlossen.
Ramstein, Headquarter
Mit quietschenden Reifen beschleunigten die 350PS den Geländewagen in Richtung Hangar. Ein feiner Nieselregen setzte ein, am östlichen Horizont erkannte man ein leuchtendes Band, in dem sich die Sonne abzeichnete. Mika schaltete das Funksprechgerät ein. „Transportcar 1 an Flightcontrol, Eurofighter Staffel 1 und 2 sind unterwegs zum Hangar.“
Der Hummer schilderte in die Kurve und beschleunigte die letzten hundert Meter auf den Hangar zu. Vor der Flugzeughalle waren zwei Typhoon platziert, ein Dritter wurde von dem Schleppfahrzeug aus der Halle gezogen. Dreißig Meter vor den Typhoons trat Carlos in de Bremse des Hummers und riss das Lenkrad herum. Mit einem Ruck kam der Hummer exakt zwischen den beiden Typhoons zum Stehen.
Die Piloten bewegten sich auseinander und gingen auf ihre Maschinen zu. Jeder wusste, was zu tun war. Jeder kannte die einzelnen Handgriffe beim Pre-Flight-Check genau.
Die Regel war, dass die Wartungstechniker die Arbeiten ausführten und der Pilot hinterher nochmals bei einem letzten Rundgang die Ergebnisse von Aussen überprüfte.
Mika ging auf seinen Mechaniker zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Hi Lorenzo, läuft alles?“
„Oh, nixda laufed. Engine grande male. Carlos sagen, bueno Tarda muss her. Nullo, nienda Zeit.“
„Ich verstehe“, sagte Mika und nickte. Vor einer Woche wurden in der gesamten Staffel die verbesserten Eurojet Triebwerke eingebaut. Doch im Moment gab es einige Probleme, die noch nicht behoben waren.
„Wie viele NO-GOs werden jetzt noch angezeigt?“
„Zwei-zwanzig, Katastrophe grande!“
„Hmm, das ist nicht gut“, nickte Mika. „Kann die Mühle wenigstens ohne Probleme in die Luft gehen?“
„Hmm, ja, schon! Aber Probleme mit Chauda.“
„Womit?“
„Hiddsa – Tempratura ...“
„Ah, verstehe“, Carlos überlegte kurz. „Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?“
Lorenzo grinste und schüttelte dabei den Kopf.
„Klasse. Vielen Dank! Wir müssen demnächst wieder mal ein Bier zusammen trinken.“
„Si, Signore! Allecantario!“
Die gesamte Umgebung tauchte in ein unwirkliches, rot violettes Licht, ein lang gezogener, grollender Donner zu hören. Mika sah besorgt nach oben.
Die Piloten kletterten über die angestellte Rampe ins Cockpit. Mika nahm als Ausbilder und Chefpilot auf dem vorderen Sitz Platz, Carlos auf dem hinteren. Sie schnallten sich an, zogen den Rest der Schutzbekleidung an und begannen mit den Checks der Startvorbereitungen, danach nickte Mika Lorenzo zu.
“Typhoon GT-34 bereit zum Starten der Triebwerke”, meldete Carlos an den Tower.
“Typhoon GT-34, Triebwerke starten” kam die knappe Antwort.
Der Mechaniker ließ den rechten Arm kreisförmig über seinem Kopf rotieren und Carlos aktivierte den Kompressor-Schalter auf der rechten Konsole. Im selben Moment begann ein jaulendes Kreischen, das lauter und immer höher wurde. Lorenzo nickte und trat zur Seite.
Knapp eine Minute später hatte der Kompressor seine Endgeschwindigkeit erreicht. Carlos bewegte den zweigeteilten Schubregler auf der linken Konsole nach vorne und leitete den Start der linken Turbine ein.
Mit donnerndem Getöse erwachte das Triebwerk, und die Luft hinter den Auslassdüsen begann zu flimmern. Wenige Sekunden später wurde automatisch das zweite Triebwerk aktiv. Ab diesem Moment war eine normale Unterhaltung nicht mehr möglich. Tief in der Brust verspürte man das ultratiefe Wummern der verschiedenen Resonanzfrequenzen.
“Triebwerk läuft”, meldete Carlos standartgemäß über die interne Sprechfunkverbindung, “bereit zur Übergabe der Kontrollen.”
„Ok, Steuerkontrollen sind festgelegt”, antwortete Mika. “Na, dann überprüf deine Instrumente und bestätige den Zustand der Kontrollen“, forderte Mika Carlos auf.
Carlos wusste nicht, was Mika damit meinte. Er hatte doch eben gerade erst alles überprüft.
Carlos Gedanken stockten kurz.
Grün – sie leuchtete eindeutig grün! Sein Herz begann wild zu schlagen.
Er konnte es noch gar nicht fassen! Ganz augenfällig waren sämtliche Steuerkontrollen an ihn auf das hintere Cockpit übertragen worden.
„Der Typhoon gehört Ihnen, Sir“, meldete Mika formal. „Bringen Sie uns zum Waypoint 1.“
Nach einer kurzen Pause ergänzte er: „Und mach mir keine Schande, Kumpel!“
„Nein, SIR!“, antwortete Carlos erregt. Er strahlte übers ganze Gesicht, doch davon war durch die Sauerstoffmaske nichts zu erkennen. Carlos beschleunigte und brachte den Typhoon zur Startmarkierung.
“Typhoon GT-34, bereit zum Start”, meldete er an den Tower.
“Startfreigabe für GT-34”, kam die knappe Freigabe zurück.
Carlos legte seine linke Hand auf den zweigeteilten Schubregler und verharrte für eine knappe Sekunde.
„Na gut, dann wollen wir mal schnell rauf ...“, jodelte er und schob die Schubregler nach vorne in die vorletzte Stellung. Augenblicklich erwachten die Turbinen zu einem Leben. Tiefe Vibrationen erreichten das Cockpit. Im rechten DISPLAY kletterten die Leistungsnadeln der beiden Triebwerke langsam höher. 20 Prozent, 30 Prozent, 45 Prozent orgelten die Turbinenschaufeln in den beiden Eurojet-Triebwerken. Noch hielt die Feststellbremse den Typhoon an Ort und Stelle fest.
Ein unbestimmtes Gefühl beschlich Mika. „Was genau meinst du mit schnell rauf ? Was hast du denn jetzt wieder vor?“, hakte er nach.
50 Prozent, 55 Prozent ...
„Oh nein, das wirst du besser nicht tun ... Geh es nicht so schnell an ...“
Bei 70 Prozent schob Carlos die beiden Schubregler mit einem Ruck ganz nach vorne. Mit donnerndem Brüllen erwachten die Triebwerke zu endgültigem Leben, als sich die beiden Nachbrenner entzündeten. Ein zwei Meter langer Feuerstrahl schoss aus den Triebwerksöffnungen. Carlos löste die Feststellbremse und der Typhoon nahm mit einem gewaltigen Aufbäumen der Nase unter extremer Beschleunigung Fahrt auf. Mika wurde brutal in den Sitz gepresst, als er Carlos Stimme hörte.
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