Wieder war nur ein kollektives Nicken zu beobachten.
„Gut – wegtreten!“
Hastig wurden die Stühle nach hinten geschoben, als die Offiziere zeitgleich aufstanden.
„Oberst Gallinaro, Major Bringmann, Sie bleiben bitte noch kurz hier.“
Taylor verschränkte die Arme erneut hinter seinem Rücken und begann, im Raum auf und ab zu wandern.
Als der letzte der anderen Offiziere das Zimmer verlassen hatte, sagte er: „So, jetzt nochmal zurück zu der Überlegung von eben.“ Taylor blieb dicht vor den beiden Offizieren stehen.
„Ich benötige für diesen Einsatz einen Staffelführer, der mehr ist als nur ein guter Koordinator. Er soll brillant sein, unkonventionelle Ideen haben, aggressiv und mutig zugleich sein. Jemanden, der weiß was er tut und handelt, bevor er sich erstmals komplett abgesichert hat. Ich kann hier keinen Vorschriftenhengst gebrauchen. Ich hoffe, euch ist klar, dass unser aller Überleben davon abhängt.“
Massimo nickte seinem Freund zu. Beide zusammen warfen einen Blick auf Major Bringmann.
„Was meinst du, Ana?“
General Taylor wechselte zur persönlichen Anrede, wie immer, wenn sie sich im engen Kreis befanden. Ana überlegte kurz, dann warf sie den Kopf in den Nacken, ihre dunklen Haare hatten sich wieder selbstständig gemacht. Erst wurden ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde größer, dann zogen sich ihre Augenbrauen zusammen.
„Nein, das kann doch nicht dein Ernst sein.“ Ein ungläubiges Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Du hast ...,“ stockte sie kurz, „du hast doch nicht etwa vor ...? Ja ..., zugegeben, er ist sehr gut, aber ...“
Clark und Massimo warfen sich einen kurzen Blick zu.
„Also, selbst wenn ich mir nur vorstelle, dass er die gesamte Staffel anführen soll ...“, fuhr Ana fort.
„Ja, auch ich empfinde ähnlich“, entgegnete General Taylor lächelnd und legte die Hand auf Anas Schulter. „Aber ich befürchte, dass wir keine andere Wahl haben. Wir müssen handeln – JETZT! Lass uns alles Weitere kurz besprechen ...“
Mit diesen Worten drehte er sich um und sah aus dem Fenster. Im selben Moment zuckten kaskadenartige Leuchterscheinungen über den Horizont und färbten den Raum in ein rot violettes Licht. Ein entferntes Donnergrollen war zu hören.
„Ich hoffe nur, dass uns dieses seltsame Gewitter keinen Strich durch die Rechnung zieht!“
AI, die Existenzebene der Wächter
„Die Zwischenwelt muss jetzt erstellt werden, Esrael. Das Gedankenkonzentrat ist fertig und kann nicht mehr lange warten“, erklärte der Koordinator der Wächter.
“Dad”, erwiderte ich, wobei sich meine Stimme fast überschlug, „was wir haben, ist noch zu wenig. Aber ich bin gleich soweit. Noch ein wenig mehr, ich packe das schon. Doch wir brauchen mehr CHI.“
"Es ist nicht zu wenig", fauchte Talan. "Tu einfach nur, was der Koordinator dir aufgetragen hat. Tu es jetzt und lass endlich dein ewiges Gejammer."
Gereizt blickte ich ihn an, für einen kurzen Moment gingen meine Gedanken in eine andere Richtung, doch dann lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine geistigen Instrumente. Alles, was ich jetzt gegen ihn unternehmen würde, könnte meinen Plan gefährden.
„Destruktor, du hast den Koordinator gehört!“, sagte Talan.
Dad sah erst mir, dann den anderen Vertretern der Vierergruppe in die Augen.
„Koordinator, glaub mir, es ist noch zu wenig“, klagte ich sorgenvoll, doch Dad tat so, als ob er mich nicht hörte und öffnete mit einem einzigen Gedanken den Energiespeicher. Frisches Chi strömte in die Zwischenweltblase, und nur ich bemerkte, dass es fast zu einer Übersättigung führte.
„Direkt nachdem Esrael die Zwischenwelt erstellt hat, beginnen wir mit der Überführung des Gedankenkonzentrats. Haltet euch bereit.“
“Dad, es ist geschafft. Die Zwischenwelt ist fertig”, rief ich.
Dad blickte er Eleya in die Augen: “Mein Mädchen, Kopf hoch, du schaffst das!”
Eleya grinste zurück.
Der Koordinator atmete mit hörbarem Seufzen aus, bevor er die endgültige Anweisung gab: „Esrael, Achtung, ... jetzt!“
Hätten Astronomen diesen Raumausschnitt beobachten können, wäre ihnen etwas sehr seltsames aufgefallen. Zwischen den beiden zentralen Schwarzen Löchern des Pferdekopfnebels ging eine Veränderung vor. Die optischen Auswertungen hätten eine leuchtende Blase erkannt, die sich ausdehnte und bei einer Ausdehnung von etwa 2000 km flackernd zum Stillstand kam.
“Na, Talan, hast Du noch irgendetwas zu sagen? Ich schätze, dass du nächstes Mal deinen Mund halten solltest”, grölte ich.
Plötzlich hörte ich die Stimme des Koordinators: „Esrael, reiz’ ihn nicht. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt. Halte inne! Unsere Zeit wird kommen!“
Mir rutschte das Herz in die Hose . Was war das, fragte ich mich. Dad hatte mit seiner Flüsterstimme gesprochen. Ich hatte davon gehört, dass er so etwas konnte, und ich wusste, dass er dies nur ganz selten tat. Und ich ahnte, dass es sehr wichtig war auf ihn zu hören. Verstohlen blickte ich mich um, doch niemand sonst außer mir schien etwas gehört zu haben.
Ich beobachtete, wie die Zwischenwelt entstand. Innerhalb der Blase bewegte sich die Zeit anders, und zwar so, wie wir es wollten. Im Moment stand alles auf “Ultra-Schnell-Vorspulen”, und im Innern der Blase wurde ein kleines Universum neu erschaffen. Innerhalb weniger Minuten bildete sich eine heiße Materieballung, die sich zu zwei Sonnen und einem Planeten formten. Der Planet kühlte ab, es vergingen weitere hunderttausend Jahre, während wir von außen erkannten wie sich die ersten Aminosäureketten auf ein experimentelles Spiel einließen.
Die unterschiedlichen Katalysatoren, die ich hinzugefügt hatte, bewirkten die Entwicklung einer kompletten Flora und Fauna. Auf Zwischenwelt verbanden sich DNS-Stränge und formten eine Art Protoplasma, eine unförmige Masse aus verschiedenen Zellen. Der danach eingeleitete Wachstumsprozess ließ einen Körper entstehen.
Doch es war lediglich eine leere Hülle ohne Bewusstsein. Alle notwendigen Verbindungen waren vorhanden, wartend, lauernd. Und sie warteten, bis endlich das Gedankenkonzentrat eintraf.
„Eleya, bist du soweit?“, wiederholte ich meine Frage.
Ihr geistiges Abbild nickte mir entgegen, ein zartes Lächeln formte sich.
„Ja, ich bin so weit. Also, bis dann, auf der anderen Seite.“
Ich warf ihr ein Petzauge zu.
Der Prozess begann, und es war wie immer.
Eleyas Gedanken wurden losgeschickt. Für uns Zurückgebliebene erschien es, als würde sich ihr Geist zurückziehen, bis niemand mehr ihre Anwesenheit vernahm. Die Entfernung durch Raum und Zeit, die Eleyas Bewusstsein überbrückte, bewirkte einen gewaltigen Schock bei Ihrer Ankunft. Eben noch war sie Teil eines geistigen Verbundes, in dem ihr eine Vielzahl von Sinnen und Verständigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Doch nun musste sie in der speziell für sie erschaffenen Trainingswelt in ihrem neuen Körper lernen, mit weniger Sinnen zurechtzukommen.
Den größten Teil ihrer Erinnerungen hatte ich fürs Erste isoliert, quasi eingefroren. Nur rudimentäre Begriffe waren geblieben. Dafür hatte ich ihr eine Art Pseudoerinnerung mitgegeben, die es Ihr ermöglichen würde, sich entsprechend ihres Auftrages zu entwickeln.
Als Eleyas Bewusstsein ihren neuen Körper erreichte, funktionierten alle Sinnesorgane perfekt.
Schlagartig erfasste ihr Bewusstsein die Flut der neuen Eindrücke.
Sie schlug die Augen auf. Sie hatte einen verrückten Traum, aus dem sie nun erwachte. Sonnenaufgang - es war ein gutes Licht. Golden, warm und klar.
Sie öffnete die Augen und sah den klaren violetten Himmel. Dann bemerkte sie das Jucken in ihren Unterarmen. Sie kratzte sich in der Ellbogenleiste und an beiden Handgelenken.
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