„Hey, über dem Bodensee findet ein Rendezvous statt. Dort werden wir uns ein paar anderen Jungs anschließen.“
„Mhmm.“ Carlos scrollte in der Liste. „Dann gehts weiter nach ..., dann über ...“ Carlos verstummte. „Hey, du wirst es nicht glauben. Die schicken uns nach Pakistan!“
„Pakistan?“, entfuhr es Mika. „Was geht denn da ab?“
„Ich hab’ nicht die geringste Ahnung.“
Der Typhoon stieg immer höher - 8000 Fuß, 8050 Fuß, 8100 Fuß. Das Donnern der Triebwerke war im Cockpit unter dem Helm und dem Einfluss der schallabsorbierenden Gehörschutzstopfen nur noch als dumpfes Prasseln zu hören. Bei 8500 Fuß bemerkte Mika zum ersten Mal hellere Wolkenfetzen.
„Denk diesmal an deinen Blendschutz.“
„Ist doch schon lange unten“, log Carlos und klappte hastig die verspiegelte Displayschale vor seine Augen. Danach ging es sehr schnell. Noch zwei, dreimal flackerten die ersten Lichtfetzen durch die Wolkenfront, dann durchbrach der Typhoon mit einem Schlag die Wolkendecke. Mika und Carlos starrten in einen stahlblauen Himmel, in dem sich berghohe Wolkentürme formten. Dahinter erstreckte sich eine gewaltige schwarze Ebene, sie wirkte unecht, undurchdringbar, wie die Grenzfläche zu einer anderen Welt.
„Hast du so etwas schon mal gesehen?“, fragte Carlos.
„Hmm, ja. Ich glaube, in irgendeinem Kubrik-Film. Oder, nein, warte! War es einer dieser Emmerich Filme? Nein, es war irgendwo anders ... ich hatte in meinem Traum ...“, plötzlich verstummte Mika mitten im Satz.
Eine Stimme im Com meldete sich: “GT-34, hier ist Braveheart, Staffelführer der Staffel Violett. Ich kommandiere die 15 Eurofighter, 12 Tornados und 9 Tomcats, die ich hier im Schlepptau habe. Ich nehme an, dass ich mit Daywalker spreche.“
„Passt schon.“
„Was?“
„Ja, Roger!“
“Daywalker, ich habe die Order, die Führung der gesamten Staffel an Sie zu übergeben. Mir wurde aufgetragen, Ihnen von General Taylor eine Aufzeichnung zu übermitteln. Achtung, Übertragung läuft”.
Wieder summte es dreimal, auf dem rechten Display erschien die Meldung “Incoming Message”.
Mika sah, dass es sich um eine Audiodatei handelte.
“Daywalker,” begann Braveheart, “General Taylor ließ ausrichten, dass jeder der Teilnehmer dieser “Expedition”, wie er den Einsatz nennt, dieses Audiofile hat, sie waren der letzte, der es erhalten hat. Sobald Sie Ihre Nachricht starten, beginnt damit der synchrone Ablauf auf allen Maschinen. Sind Sie bereit?”
“Bereit”, antwortete Mika und startete das Audiofile. Zeitgleich startete es in jedem internen Com der anderen Maschinen.
“Hallo Mike”, erklang eine Stimme über das interne Com, “hier ist Ana. General Taylor hat mich als Einsatzleiterin ernannt und mir aufgetragen, dir Deine Order auf diese Weise zu erteilen. Diese Order geht hiermit auch an alle Einsatzteilnehmer, die mich im Augenblick hören. Wir wählten diesen Weg, um eine absolute Funkdisziplin zu gewährleisten, um dadurch Euren Auftrag geheim zu halten. Du kennst mich seit Langem, jetzt hör mir genau zu. Ich will, dass wir uns absolut klar verstehen, denn es wird keine weitere Kommunikation zwischen uns geben. OK?“
Es waren genau diese einfachen, unverblümten Worte, die jedem ein mulmiges Gefühl in der Magengegend vermittelte.
„Wir haben vor nun genau 95 Minuten vom Nachrichtendienst eine unglaubliche Mitteilung erhalten. Demzufolge ist heute Morgen um Nullsiebenhundert Zulu eine Staffel von 39 Bombern verschiedenster Bauart aus den Gebirgshangars in Pakistan gestartet.
Die verschiedenen Aufklärungsberichte der vergangenen Wochen haben mit einem Mal einen Sinn ergeben. Es gab Gerüchte, dass die weltweite Terrorgruppierung der Gotteskrieger einen gewaltigen Anschlag plant. Es gab bisher aber absolut nichts Konkretes. Doch nun hat es sich bestätigt: Eine Schwadron der Gotteskrieger ist mit selbstgebauten Atomgranaten unterwegs. Man sagt, die Piloten seien Selbstmordkrieger, Ruhm und Ehre wären ihnen und ihren Familien sicher.
Das war das Letzte, was sie per Satellit übermitteln konnten, bevor man sie entdeckte!
Also, nochmals: zirka 39 Bomber sind im Anflug auf Europa. Jeder dieser Bomber transportiert einen Atomsprengkörper mit unbekannter Sprengkraft. Unsere Spezialisten gehen davon aus, dass selbst der kleinste davon ausreicht, um z.B. Hamburg mitsamt Umgebung in einem Rutsch auszuradieren. Es handelt sich um Sprengkörper einfachster Bauart. Das bedeutet, dass sie keinen komplizierten Sprengkopf haben. Es ist also möglich, die feindliche Flotte zu zerstören, ohne das eine Bombe hochgeht. Kein einziges Flugzeug darf durchbrechen.“
Schweigen.
“Bei den Bomben handelt es sich um mindestens 55 kg angereichertem Plutonium, zum Teil aus unseren eigenen Atomkraftwerken. Woher wir das wissen? Nun, das Plutonium hat eine gewisse Signatur, die ..., aber das ist jetzt nebensächlich. Sie fragen sich, wie die Kerle an unser Plutonium kamen? Auch das ist jetzt erstmals egal.
Tatsache ist, dass sich Hunderte von Freiwilligen gefunden haben, ihrer „Heiligen Sache“ zu dienen, indem sie das Plutonium in kleinen Gummisäckchen ins Land geschmuggelt haben. Alle Sicherheitsbehörden suchen dort nur nach Waffen, Metallen oder nach Rauschgift. Bei Plutonium springt aber kein Scanner an. Auf diese Art und Weise sind über 2000 kg Plutonium nach Pakistan geschleust worden.
Doch jammern ist nun zu spät. Wir müssen jetzt handeln.
Bei Waypoint 4, über dem Bodensee, werden sie sich mit der spanischen und italienischen Staffel verbinden, in etwa fünfunddreißig Maschinen verschiedener Typen sein. Die jeweiligen Staffelführer sind bereits eingewiesen. Es herrscht bis dahin absolute Funkstille, es sei denn es geschieht irgendetwas, was die Mission gefährdet. Viel Glück. Ende.“
Mika meldete sich ein letztes Mal:
„Roger and Out“.
Die Sonne befand sich knapp über dem Horizont und beleuchtete schräg von vorne die 37 Kampfjets, die sich wie ein großer Vogelschwarm in Richtung Süden bewegte. Doch anders als bei Zugvögeln wichen sie nicht dem Winter aus, sondern versuchten, einen solchen zu vermeiden. Einen sehr langen Winter.
Zwischenwelt, Eleyas Ausbildungsort
Eleya erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als sie eine Berührung an ihrem Arm merkte. Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf. Zwei Sonnen standen hoch am Himmel.
„He du, aufwachen, was geht? S‘is schon lange hell.“
Erschrocken drehte sich Eleya um und sah in einem Meter Entfernung einen Jungen sitzen. Er stocherte mit einem Stock auf dem Boden herum. Sein Alter war schwer zu schätzen, doch Eleya ahnte, dass er so um die vierzehn Jahre alt war. Sein kinnlanges Haar wurde von einem bronzefarbenen Stirnreif gehalten. Er grinste.
„Hei kleine Schweggi, ich soll dich von Dad grüßen. Ihm ist was Wichtiges dazwischen gekommen.“
Eleyas erstauntes Gesicht wandelte sich in ein Grinsen: „Esrael ...“, quietschte sie und wollte nach ihm greifen, als ihre Hand durch seinen Arm hindurch griff.
Grinsend hob der Junge seine Augenbraue: „Hm, geht nicht, weißt du.“
Eleya lachte. „Ja, ist ja schon gut, weiß ich doch“, entgegnete sie. „Bin froh, dich zu sehen. Mein Bruder ist wieder da ...“, quiekte sie übermütig. „Esrael. Wo warst du denn?“
„Hatte zu tun – reine Männersache! Verstehst du eh’ nicht’’, erklärte er mit wichtiger Mine.
„Pöh“, machte Eleya und zog einen Schmollmund.
„Dad hat gesagt, wir sollen schon mal ohne ihn anfangen, Schwesterchen“, sagte Esrael und erhob sich vom Gras.
Er trug eine seltsame Mischung aus Toga und Kimono, in der Taille von einer Kordel gerafft, die mehrmals um ihn geschlungen war. Esrael blickt verschmitzt auf Eleya herab.
Читать дальше