Ihre hauchdünnen Flügel hingen schlaff herab. Ihre Unterlippe vorgestülpt, prustete sie die Luft aus.
„Anstrengend, hmm?“, fragte Esrael. Sie gab keine Antwort und warf nur einen bösen Blick zurück.
„He, komm, bist du etwa immer noch eingeschnappt?“
Keine Reaktion.
„Aber du musst doch zugeben, dass das komisch war“, feixte Esrael verschmitzt.
Sein Haar fiel heute offen bis auf die Schulter herab, gehalten von dem bronzefarbenen Stirnreif. Einer Modeerscheinung zufolge war ein Streifen im Haar blauschwarz gefärbt.
„Also, ich fand es lustig, als die fünf Haie hinter dir hergeschwommen sind.“
Eleya begann zu brodeln. Esrael verfiel wieder in ein Kichern.
„... und als dann direkt vor dir der Oktopus auftauchte ...“, weiter kam er nicht, weil ihn wieder ein Lachanfall durchschüttelte. Er schlug sich glucksend auf die Schenkel.
Eleya kochte über. Wütend knurrend drehte sie sich zu Esrael um. Ihre Ohren lagen eng am Kopf an, nach hinten verdreht, ihre Zähne mahlten aufeinander. Esrael stand gekrümmt vor Lachen da und zeigte mit ausgestreckter Hand auf Eleya. In diesem Moment erhob sie die Arme, knurrte auf und warf beide Hände in Esraels Richtung. Und dann geschah etwas absolut Ungewöhnliches. Ein Funkenregen schoss aus Eleyas Händen und preschte auf Esrael zu.
Esraels Lachen erstarb mit einem Klatschen. Er drehte sich um seine eigene Achse, stolperte, und fiel dann der Länge nach hin. Über ihm züngelten, wie kleine Schlangen, rote und blaue Blitze, die seinen Körper krampfhaft zusammen zucken ließen. Es dauerte nur Sekunden, dann war alles vorbei.
Esrael blieb bewegungslos liegen. Er lag verdreht auf der Seite, die katzenartigen Augen weit geöffnet. Erschrocken presste Eleya die Hände vors Gesicht und näherte sich ihrem reglosen Bruder. Seine starren Augen blickten nach oben.
Eleya begann zu schluchzen.
„Esrael, was ist denn los?“ Sie ging neben ihm in die Knie, berührte seine Schulter, doch ihre Hand ging ohne Widerstand hindurch.
„Hey, sag doch was.“
Sie zuckte zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.
Dann blinzelte Esrael, seine Ohren stellten sich auf. Er schielte zu Eleya und sagte: „Was war denn das?“
Langsam schüttelte er seinen Kopf und stemmte sich hoch.
„Hey, Schwesterchen, eigentlich sollte so was nicht möglich sein.“
Eleya nahm die Hände vor dem Gesicht weg, erleichtert.
„Na warte. Wenn ich das Dad erzähle, er wirds kaum glauben“, grinste er.
Eleya fing an zu kichern.
Sie nutzte die Gelegenheit, nahm allen Mut zusammen und sagte: „... so, und wenn wir schon dabei sind. Ich möchte diesen Fetzen hier nicht mehr.“
Sie deutete auf ihre sackartige Bekleidung.
„Du kommst immer mit so tollen Sachen daher, und wie laufe ich hier durch die Gegend?“
„Aber Schwesterchen, deine Sachen sind doch noch gut, ich weiß nicht, was du hast?“
Eleya legte einen grimmigen Blick auf, der aber durch das leichte Grinsen nicht so ernst wirkte. Nach einer kurzen Pause entgegnete Esrael: „Nun gut, einverstanden. Ich zeige dir, wie das mit den festen Materialien funktioniert, dann kannst du dir selber was machen.”
Eleyas Grinsen wurde breiter.
„Jetzt werde aber nicht übermütig – herstellen musst du dir die Sachen dann schon selber. Ich zeige dir nur, wie es geht. Und glaube nicht, dass dadurch deine Übungszeit kürzer wird. Betrachte es als einen vorgezogenen Teil deiner Ausbildung.“
Ein noch breiteres Grinsen entblößte zwei Reihen weißer Zähne.
„Danke, Esrael.”
„Is’ schon gut. Ich glaube, mein Schwesterchen wird langsam erwachsen. Das geht mir etwas zu schnell.“
„Aber du hast doch gesagt, ich soll schnell lernen!“
„Aber nicht das mit den Kleidern. Diese Marotte von euch Frauen mit den schicken Klamotten kommt noch früh genug.“
„Das verstehe ich nicht. Bisher hast du doch immer solche schönen Sachen angehabt.“
„Das ... ist etwas vollkommen anderes. Das verstehst du nicht. Aber jetzt lenke nicht ab. Wir haben heute noch viel vor uns. So, auf! Stell dich ordentlich hin, wir machen weiter.”
Westliches Schwarzes Meer, 14000 Fuß über Grund
Mika redete seit zehn Minuten kein Wort. Carlos, für den Schweigen schwer zu ertragen war, sprach über alles Mögliche, nur um die Stille zu durchbrechen.
„Sag mal, irgendetwas geht doch hier ab“, unterbrach ihn Mika.
„Was meinst du, Amigo?“
„Na, dieses komische Gewitter, das halb Europa bedeckt, die bescheuerten Blitze ..., und dann das Ding da draußen. Das ist doch nicht normal.“
Carlos gab nicht sofort eine Antwort.
Dann meinte er: „Ja, weißt du, ich hatte da mal eine Sendung im Fernsehen gesehen, Welt der Wunder oder was Ähnliches auf Discovery. Und da hatten sie genau so was beschrieben. Das, was früher mal El-Ninio Phänomen genannt wurde, würde sich früher oder später viel stärker werden.“
Er sah auf die aufgewühlte, schwarz-grüne Wolkenoberfläche, die selbst von hier oben heftige Turbulenzen zeigte.
„Dann lass mich doch mal zusammenfassen. Also, wie war das noch gleich? Ach ja, heute Morgen wurden wir in einen Kriegseinsatz geschickt, um unseren atomaren Untergang zu verhindern. Wir starten inmitten einer 3000 km großen Gewitterfront, wie es sie noch nie gegeben hat. Unser Radar spinnt komplett - und zwei Staffeln werden einfach so innerhalb von fünf Sekunden von einem Hurrikan verschluckt ...“
„Ja, Amigo, mir ist das auch unheimlich, wenn du weißt, was ich meine.“
Ein kurzes Brummen war von Mika zu hören.
„Sag mal”, begann er zögernd, “du hast mir doch vorhin von einer Insel erzählt, von der du geträumt hast ...“
Carlos hörte skeptisch zu, er vermutete, dass Mikas ihn deswegen aufziehen wollte. „Ja, hab ich.“
Das Säuseln der Triebwerke und ein leichtes Windgeräusch war alles, was unter dem Helm zu hören war.
„Beschreib doch mal kurz, wie die ausgesehen hat“, fragte Mika unschuldig.
Carlos Skepsis wuchs. Er überlegte kurz, ob er darauf antworten sollte. Sorgfältig wählte er seine Worte.
„Ich habe sie eigentlich nicht genau gesehen, es war eher ein Gefühl, das sich eingestellt hat.“
Mika hörte zu, und Carlos fuhr zögernd fort: „Berge. Die Insel war ... irgendwie bergig – glaube ich. Ein bisschen wie in Jurassic Park, aber höher.“
Carlos bemerkte nichts davon, dass Mika nickte, als hätte er eine ähnliche Antwort erwartet.
„Waren die Berge vielleicht eher wie eine riesige, steil ansteigende Klippe? Mit einem Einschnitt in der Mitte?“
Carlos Augen wurden größer, und sein Mund öffnete sich langsam.
„Ja ...“, sagte er, „ja, genau das war es, was ich gesehen habe. Aber woher weißt du ...“
Weiter kam er nicht, weil Mika in unterbrach. „Weil ich sie auch gesehen habe. Ich habe davon geträumt - alles war in ein dunkles, rotes Licht eingetaucht, und gleichzeitig auch sehr vertraut.“
Mika ließ seinen Blick nach links wandern. Ein Blitz schreckte ihn auf. Links von ihm, in einer Entfernung von etwa zehn Kilometern, züngelte ein Bündel Blitze und bewegte sich nach rechts über den Horizont.
„Hey, sieh’ doch“, schrie Carlos und umklammerte den Stick.
Mika hatte die Entstehung des riesigen Blitzes von Anfang an mitverfolgt. Fast wie in Zeitlupe bewegte sich der Blitzausläufer über den Horizont, da bemerkte Mika, dass sich, wahrscheinlich zur selben Zeit, rechts von ihm ein zweiter Blitz gebildet hatte, der sich nach links am Horizont entlang bewegte. Beide Blitze trafen sich vor ihnen in einer Lichtexplosion, doch damit war das Schauspiel noch nicht beendet.
Als hätten sich beide Blitze an dieser Stelle nur getroffen, um sich zu vereinen, verließ ein neuer, noch stärkerer Blitz das Leuchtgebilde und schoss zuckend direkt auf den Typhoon zu.
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