Seid ihr ein Zauberer? Könnt ihr mir helfen? <<
Der Mann lächelte Marius an und erwiderte:
>>Ja, ich bin ein Zauberer. Und ob ich dir helfen kann, muss sich zeigen.
Hast du denn ein Stipendium vorzuweisen? Ein Empfehlungsschreiben eines Ordensmitglieds? <<
Marius verneint dies, woraufhin der Zauberer wieder ernst wurde.
>>Hast du denn gar nichts dergleichen? << hakte er nach.
>>Kein Sendschreiben oder etwas anderes, was deine Befähigung zum Studium beweisen und untermauern könnte? <<
>>Herr, ich bin aus eigenem Antrieb hierhergekommen, << antwortete Marius, >> und ich wusste nicht, dass man eine Empfehlung benötigt, um die magischen Künste zu erlernen.
Bitte, Herr, ich träume doch schon so lange davon, ein Zauberer zu werden. <<
Der Mann aber schien seine Worte kaum wahrzunehmen, verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte wütend:
>>Glaubst du denn ernsthaft, wir würden jeden dahergelaufenen Bauernlümmel an unserer Akademie aufnehmen?! Was bildest du dir ein; dass du einfach hier erscheinst und erwartest, man würde dir erlauben, hier zu studieren?! <<
>>Genau das, << antwortete Marius verwirrt.
Der Zauberer starrte ihn einige Sekunden lang an, dann aber schlug er Marius mit der flachen Hand ins Gesicht, so dass dieser zu Boden fiel.
>>Verschwinde von hier, sonst mach ich dir Beine! , << knurrte der Zauberer zornig.
>>Und wenn ich dich noch einmal hier sehen sollte, dich beim Herumlungern erwischen sollte, dann werde ich dir zeigen, was ein echter Zauberer alles bewirken kann. <<
Er versetzte Marius einen letzten Tritt gegen das Bein, als dieser versuchte, sich wieder zu erheben und trat dann zum Portal, welches sich nun auch vor ihm öffnete.
Marius blieb liegen und kämpfte dagegen an, nicht weinen zu müssen.
Er hatte nicht damit gerechnet, wie ein räudiger Straßenköter davon gejagt zu werden.
Zauberer waren in seiner Vorstellung immer noble und gerechte Männer gewesen, die freundlich und mildtätig waren. Nun aber musste er feststellen, dass sie hochnäsig und arrogant waren, und dies erschütterte seine ganze Weltanschauung.
Langsam rappelte er sich auf, klopfte den Straßenstaub von seinen Kleidern und überlegte, was er nun tun wollte. Im Grunde blieb ihm jetzt nur die Möglichkeit, seinen Vater wiederzufinden, mit ihm heimzukehren und sein Leben als Viehhirte zu fristen.
Er schalt sich selbst nun für seine Naivität, seine Träumereien.
Wie hatte er bloß glauben können, er, ein einfacher Junge vom Stamme der Nameder, hätte Einlass erhalten in die größte Akademie für Magie?
Betrübt wollte er kehrt machen und zum Viehmarkt zurückkehren.
Gesenkten Hauptes ging er die Straße entlang, bemerkte, dass jemand sich zu ihm gesellte, achtete aber nicht auf den anderen Passanten.
>>Sie wollten dich nicht, stimmt’s? << hörte er eine vertraute Stimme sagen.
Marius blieb abrupt stehen und hob den Kopf.
Vor ihm stand jener Mann, der ihm den Weg zur Akademie gewiesen hatte.
Er trug noch immer seinen Mantel, lächelte freundlich und strich sich gelegentlich über seinen Spitzbart.
>>Sie haben dich fort gejagt, oder? <<
Marius nickte nur.
Der Mann zuckte mit den Schultern und sagte:
>>Mach dir nichts draus, mein Freund. Diese Narren von der Akademie würden echtes Talent nicht einmal dann erkennen, wenn man es ihnen direkt vor ihre Nasen halten würde.
Ich habe gleich gemerkt, dass da etwas in dir ist, auch wenn ich noch nicht weiß, wie viel es ist.
Aber wo bleiben meine Manieren? Ich vergaß, mich vorzustellen.
Mein Name ist Racorum von Agravin, aber unter Standeskollegen nennt man mich auch Racorum der Große! Ich bin Zaubermeister, ziehe es aber vor, durch die Lande zu streifen, anstatt wie meine verblödeten Genossen in staubigen Kammern zu hocken.
Ich könnte einen Lehrling gebrauchen, bei der vielen Arbeit, die ich habe.
Es ist eine harte Arbeit, das solltest du wissen.
Es fehlen die Annehmlichkeiten, die man in einer Akademie genießt, aber dafür kann ich dich Dinge lehren, die du so niemals in einer Zauberschule beigebracht bekämest.
Insgeheim fürchten mich die Gildenmagier, denn sie wissen, dass ich über Kenntnisse jenseits ihrer Vorstellungskraft verfüge.
Nun, bist du interessiert? <<
Marius konnte es kaum fassen.
Eben noch schien es, als wäre sein großer Traum, Zauberer werden zu können, in tausend Scherben zerbrochen. Nun aber bot ihm das Schicksal die Chance und Gelegenheit, dieses Ziel doch zu erreichen. Freudig streckte er Racorum die Hand entgegen.
>>Ja, ich will euer Lehrling werden, Herr, << erwiderte er, wobei sich seine Stimme vor lauter Freude überschlug.
Sein neuer Meister schlug in die dargebotene Hand ein und wurde ernst.
>>Gut, dann soll es so sein.
Sind deine Eltern in der Stadt? Sie müssen natürlich Bescheid kriegen, denn sonst heißt es noch, ich würde Kinder entführen. <<
Marius zögerte mit der Antwort zu lange und weckte damit das Misstrauen seines Lehrherren.
>>Du bist von zuhause ausgerissen, oder? <
>>Nein, nicht ausgerissen, << erwiderte Marius kleinlaut und schilderte dem Zauberer in kurzen Worten, wie er nach Ypoor gelangt war. Er verheimlichte auch nicht, dass er sich ohne das Wissen seines Vaters zur Akademie begeben hatte.
Racorum strich sich erneut durch seinen Bart und hörte ihm zu, ohne Zwischenfragen zu stellen.
Als Marius mit seiner Schilderung fertig war, schüttelte der Zauberer verständnislos den Kopf.
>>Ich war selbst einmal jung und hatte viele Flausen im Kopf, aber du hast dich selbst in größere Gefahr gebracht, als du vielleicht geahnt hast.
Man hätte dich ausrauben oder verschleppen können.
Sklavenfänger sind immer auf der Suche nach Jungen wie dir.
Du hättest als Galeerensklave oder Lustknabe in irgendeiner Kaschemme enden können.
Du bist entweder sehr mutig oder sehr töricht, mein Junge.
Wie lautet überhaupt dein Name? <<
>>Man nennt mich Marius, << erwiderte dieser.
Die Furcht, von seinem neuen Lehrmeister wieder verstoßen zu werden, war in ihm gewachsen, nachdem dieser ihn so zurecht gewiesen hatte.
>>Nun, Marius, ich kann dich nicht einfach so mitnehmen.
Wenn dein Vater die Wache verständigt und man uns beide aufgreift, wirft man mich in den Turm.
Kindesraub wird schwer bestraft, und auch wenn du mein Lehrling sein willst, bedarf es der Einwilligung deines Vaters. <<
>>Die wird er mir nie geben! << jammerte Marius.
>>Trotzdem kannst du dich nicht einfach davon stehlen, << erklärte Racorum mit fester Stimme.
>>Dir bliebe höchstens die Möglichkeit, einen Tempel aufzusuchen, um dich von deiner Familie los zu sagen. Du bist alt genug, um dies tun zu können, aber bedenke, dass es kein leichter Schritt ist.
Du löschst damit jede Verbindung zu deinem früheren Leben aus.
Zumeist nutzen die Angehörigen von Verbrechern diesen Weg, um ihren Familiennamen rein zu waschen, nicht nur vor den Augen der Götter.
Was ist mit dir? Ist dir nicht wohl? <<
Racorum packte Marius am Arm, um ihn zu halten, denn der Junge war mit einem Mal weiß wie Kreide, sah sich panisch um und begann zu taumeln.
Marius spürte den Griff Racorum’s nicht, für ihn war die Welt um ihn herum schlagartig grau und bitterkalt geworden.
Er spürte, wie sich etwas in seinem Innersten regte, ein grausiges Gefühl aus Leere und Furcht.
Obwohl er eben noch die warme Frühlingsluft um sich gespürt hatte, drang jetzt frostige Kälte in seinen Körper und füllte ihn mit Entsetzen.
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