Auf der anderen Seite kannte er den Kronprinzen von Kindesbeinen auf an und wusste um dessen schwarzes Herz, seine Respektlosigkeit den Göttern gegenüber und seiner Boshaftigkeit.
Schon früh hatte er sich mit allen Spielarten der Magie beschäftigt, hatte alle großen Universitäten des Reiches besucht und dort immenses Wissen erlangt.
Und sein Lehrer, den man nur als Juras den Hexer in Amargath kannte, bestärkte ihn immerfort in dem Bestreben, noch mehr Wissen zu erlangen.
Aber Thalon nutzte das Wissen nicht, um damit Frieden, Wohlstand und Glück für das Volk zu schaffen, über welches er bald herrschen sollte, sondern strebte stattdessen nach Macht und Besitz.
Von daher schmerzte es Gajon sehr, dass ausgerechnet er nun als Bote auserwählt worden war, um dem Kronprinzen mitzuteilen, dass sein Vater nach langer Krankheit verstorben war und er nun, Thalon, den Thron von Amargath geerbt hatte.
Dass der neue Lord Amargath’s Tote für sich kämpfen ließ, also auch vor den grässlichsten Lasterhaftigkeiten nicht zurückschreckte, war für den alten Gardehauptmann ein deutliches Zeichen dafür, wohin sich die Dinge bald entwickeln würden.
>>Ich bringe eine Botschaft aus dem Palast und muss mit Thalon sprechen, << sagte er zum Anführer des Wachtrupps, wandte jedoch den Blick nicht von jenem Mann ab, der eigentlich tot war, aber dennoch lebte.
Dem Hauptmann entging das nicht, doch er grinste nur.
>>Es heißt Lord Thalon, Gardehauptmann, << erwiderte er.
Gajon schnaubte verächtlich.
>>Ich habe keine Zeit für solche Haarspalterei, Mann!
Bringt mich zu seinem Zelt, und zwar sofort! <<
Den Söldnern verging allen ihr freches Grinsen.
Sie waren nicht daran gewöhnt, von einer Palastwache, ob nun Hauptmann oder nicht, so angeschnauzt zu werden.
Doch schließlich machten sie Gajon Platz und wiesen ihm den Weg ins Lager.
Während der Gardehauptmann dieses durchquerte, musste er schockiert feststellen, dass es im Lager nur so von Söldnern und Wiedererweckten wimmelte.
Er erkannte viele Männer und Frauen wieder, mit denen er einst gedient hatte und von denen er definitiv wusste, dass sie im Kampf gefallen waren.
Und mit jedem Gesicht, das er wiedererkannte, wuchs das Grauen in seinem Herzen.
Auch er wurde von einigen erkannt, doch es erklang nirgends ein erfreutes Hallo und keiner hob die Hand zum Gruß.
Nur finstere Blicke waren es, die ihm zu folgen schienen.
Düstere Mienen, wohin er auch schaute.
Das Zelt Thalon’s stach aus der Masse der einfachen Soldatenzelte heraus, nicht nur, weil es auf einer kleinen Erhebung errichtet worden war.
Es war ein imposantes Zelt aus festem, wasserabweisendem Stoff, welchen man mit Purpur gefärbt hatte. Und an der Spitze flatterte das Banner Thalon’s im Winde, eine schwarze Fahne, in deren Zentrum ein blutrotes Auge prangte.
Gajon stieg von seinem Pferd und reichte die Zügel einem anderen Soldaten, als schon Juras aus dem Zelt getreten kam, der Erste Kanzler und Berater des jungen Prinzen.
Der Hexer war ein Mann von kleinem Wuchs, ging stets leicht geduckt und wirkte von seinem ganzen Gebaren her linkisch und unberechenbar.
Sein spärliches Haupthaar war ergraut, ebenso sein spitz zulaufender Kinnbart.
Sein Blick huschte nervös mal hier hin, mal dort hin, als würde er sich verfolgt vorkommen.
Jura‘s warf einen kurzen Blick auf Gajon und trat dann zur Seite, um seinem Herren den Weg frei zu machen.
Thalon war ein schlanker, aber trotzdem muskulöser Mann Anfang Zwanzig, von hohem Wuchs und mit wachsamen Augen, aus denen jedoch stets unendliche Gelassenheit strahlte.
So zumindest hatte Gajon den Kronprinzen in Erinnerung behalten, und er war davon ausgegangen, dass sich an diesem Bild in den letzten vier Monaten nicht viel getan haben könne.
Nun aber wurde er eines Besseren belehrt.
Der junge Mann, der nun aus dem Zelt trat, gehüllt in einen weiten und leichten schwarzen Mantel,
hatte nur noch wenig mit dem früheren Bild Thalon’s gemein.
Der Kronprinz war zwar immer noch von kräftiger Statur und hohem Wuchs, doch seine einstmals bronzefarbene Haut war grau geworden. An seinen Händen schimmerten dunkelrote und bläuliche Adern durch die Haut, ebenso wie in seinem Gesicht.
Sein Haupt war kahl und seine Augen, die früher einmal blau wie das Meer gewesen waren,
funkelten nun in einem Rot, welches dem der Wolken über ihnen glich.
Aus dem attraktiven Prinzen von früher war genau das Gegenteil geworden, dachte Gajon, wobei er einen leichten Ekel nicht unterdrücken konnte.
Thalon war zu einem Zerrbild seines früheren Selbst geworden.
Doch der Prinz schien nicht zu bemerken, wie sich das Gesicht des Gardehauptmanns leicht angewidert verzog, sondern trat diesem milde lächelnd entgegen und legte seine Hände auf dessen Schultern.
>>Guter Hauptmann, wie lange ist das her? <<
Die Stimme des Prinzen war weich, geradezu freundschaftlich sein Tonfall, doch Gajon merkte sofort,
wie die Worte seinen Geist zu betäuben schienen.
>>Zuletzt trafen wir uns bei eurer Abreise aus Amargath, Herr, << antwortete er und verbeugte sich leicht vor dem Prinzen.
Thalon zog die Hände zurück und nickte andächtig.
>>Ja, vor vier Monaten sah die Welt noch anders aus, nicht wahr?
Genauso, wie ich auch, ich muss es offen eingestehen. <<
Der Prinz hob seine Hände zum Gesicht empor und drehte sie, damit Gajon einen Blick auf beide Seiten werfen konnte.
>>Man muss bereit sein, Opfer zu bringen, wenn man seine Ziele erreichen will, << fuhr Thalon fort.
>>Stimmt ihr mir da nicht zu, Hauptmann? <<
Gajon nickte, denn der Anblick des Prinzen schien ihn förmlich zu fesseln.
>>Ich verstehe nicht, << brachte er mit größter Mühe hervor.
Thalon ließ die Hände wieder sinken und löste damit auch den Bann, der über den Gardehauptmann gefallen zu sein schien.
>>Ihr seid doch schon euer ganzes Leben Soldat, << sagte der Prinz mit einem Hauch von Verwunderung in der Stimme, >> da dachte ich, ihr würdet verstehen.
Habt ihr denn noch nie eure Männer opfern müssen, um eine Mission erfüllen zu können?
Musstet ihr noch nie einen Blutzoll entrichten? <<
Gajon schüttelte energisch den Kopf.
>>Nein, Herr, in all den Jahren im Dienste eures Vaters habe ich nie einen Mann verloren oder opfern müssen! Ich schwöre es bei meiner Ehre. <<
Thalon’s Züge verhärteten sich bei der Erwähnung seines Vaters schlagartig.
>>Mein Vater hat niemals einen echten Krieg geführt oder seine Soldaten in eine ernste Auseinandersetzung entsandt.
Von daher standet ihr auch nie ernsthaft in der Situation, im Kampf etwas opfern zu müssen.
Wie geht es meinem Vater und meiner lieben, wenn auch viel zu sanftmütigen Schwester? <<
Gajon, der nun den Moment gekommen sah, seine Nachricht übermitteln zu müssen, sank auf die Knie und starrte auf die Füße des Prinzen.
>>Mein Lord, ich muss euch leider mitteilen, dass euer Vater vor zwei Tagen diese Welt verlassen hat und in die göttlichen Paradiese hinüber gegangen ist.
Die Senatoren und hohen Herren Amargath’s senden euch durch mich ihre Grüße.
Sie wünschen euch, als neuem Herren des Reiches, Glück und ewige Gesundheit und trugen mir auf,
euch ihrer immerwährenden Treue zu versichern.
Auch eure Schwester lässt euch grüßen, als ihren neuen Herren und Gebieter.
Sie trauert um euren Vater und hat, wie es ihre Pflicht als Tochter und höchste Priesterin Amargath’s ist, die Fenster aller Tempel der Stadt verhängen lassen.
Sie führt täglich Prozessionen durch die Stadt an, durch welche sie den großen Gott der Unterwelt sanft stimmen möchte, damit dieser eurem Vater den Weg ebnet in die himmlischen Gefilde. <<
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